Der Portier begrüßte ihn, er gab ihm ein Trinkgeld. Oben in den Sälen war es schon leer, und nur das bedrückende Schweigen all der Bilder war in den dämmernden Sälen wie von Leuten, die über jemand gesprochen haben. Er kam heran, sie wurden plötzlich stumm. Aber die bösen Gespräche dieser niederen Teufel, dieser Schatten und Toten schienen noch in dem Raum zu schwingen und in seinen Ohren fortzuklingen.

Ein Wärter schlief auf einem Stuhl im Zwielicht. Als er Schritte hörte, erwachte er; er sah nach der Uhr, es war Zeit zu schließen.

Der Irre trat zu ihm, gab ihm ein Fünffrankenstück und sagte ihm, er sollte ihn in zwei Stunden holen und ihn hinauslassen. Der Wärter nahm das Trinkgeld und ging laut gähnend davon.

Nun war er ganz allein, ein Einsamer auf den entlegensten Vorgebirgen des Lebens, unter den Schrecken der letzten und unsichtbaren Geheimnisse. All die toten Augen der Menschen entschwundener Jahrhunderte sahen ihn hochmütig aus dem Dunkel ihrer Rahmen an, als er an ihnen vorüberging. Und hinten hörte er immer ein Rascheln und Wispern, als warteten sie nur, bis er vorbei wäre, um sich über ihn lustig zu machen. In allen Ecken schien jemand auf ihn zu warten, etwas Großes und Dunkles, und wenn er herankam, ging es davon, ihm voraus. Er hörte einen Schritt hinter sich, was war das? Er blieb stehen. Die Schritte verstummten. Er ging weiter, es war wieder da. Plötzlich merkte er, daß es nur der ferne Widerhall seiner eigenen Schritte gewesen war.

Es wurde dunkler, am Himmel schien ein Gewitter heraufzuziehen. Ein gewaltiges Brausen erfüllte draußen die Luft. Und vor einem der Fenster trieb oben ein Haufe Blätter und Staub vorbei. Fern irgendwo in den Sälen erhob sich ein Säuseln, der Wind hatte irgendwo hereingefunden, es war wie ein Wimmern, und das Blut in den Adern erstarrte ihm vor Entsetzen.

Hinter dem Eingang zu dem Zimmer der Gioconda stand ein großer Sessel. Er ließ sich auf die Hände hinunter, und so kroch er auf allen vieren wie ein Tier durch den Vorraum, schnell durch die Tür, und verbarg sich hinter der breiten Lehne des Sessels.

Er hatte allen Mut verloren, und die Furcht schüttelte ihn hin und her mit ihrer riesigen Faust. Am liebsten wäre er umgekehrt. Aber wenn er jetzt schwach war, fielen die Teufel sicher über ihn her, in zwei Sekunden war ihm der Hals umgedreht. Er blieb hier liegen wie ein ausgeleerter Sack, und die Menschen mußten wieder Jahrtausende auf die Erlösung warten. Er versuchte, zu überlegen, er wollte sich aus den Fingern der Angst befreien. Er gab sich Mühe, sich zu beherrschen. Er versuchte, an irgend etwas Gleichgültiges zu denken. Er zählte die Fransen des Sessels, er begann zu beten, und endlich, da niemand kam, begann seine Erregung, sich zu verlieren. »Dein Wille geschehe« – sagte er noch einmal leise, und dann steckte er vorsichtig seinen Kopf hinter dem Sessel hervor.

Und da hing sie.

Sie sah ihn, sie blieb ruhig, sie erschrak nicht einmal. Sie war also schon benachrichtigt, vielleicht hatte sie ihn schon hereinkriechen sehen.

In dem Dunkel des wolkenverhangenen Himmels schien ihr Gesicht dreifach zu leuchten vor Lüge und Bosheit. Woran lag es nur, daß sie so böse aussah? Es war doch kaum eine Falte in ihrem Gesicht. Doch war es schrecklicher anzusehen, als wenn es ganz von den Runzeln der Wut zerrissen gewesen wäre. Und plötzlich konnte er sie ganz ruhig betrachten. Er maß sie ab von ihrer reinen Stirn, die unter einem Heiligenschein zu leuchten schien, bis herab an ihre Hände, die von jedem Laster der Unzucht, von jedem Verrat, vom Spiel mit spitzigen Dolchen und vom Mischen weißer, unschuldiger Gifte wußten.