Er untersuchte ihr Gesicht. Er wollte heraushaben, wo eigentlich ihre Gemeinheit saß, aber er bekam keine Antwort. Er erhob sich hinter seinem Sessel und wartete. Ihm war, als zitterten ihre Lippen von leisen Worten gleich Schmetterlingen über einer abendlichen Wiese.

Teufel, sie war sehr schön in ihrer Verworfenheit.

War sie stumm, sprach sie? Oh, er hätte sich bessere Ohren gewünscht, um alle ihre Gemeinheiten erfahren zu können, und sie dann mit doppelter Gerechtigkeit zu verdammen.

Welche Weisheiten des Abgrundes, welche Gedanken der Hölle mochten hinter ihrer Stirn wohnen. In welche Tiefen hätte man geschaut, wenn man die silberne Pforte dieser Schläfe aufgestoßen hätte. O Gott.

Und die Stille ließ das Blut in seinem Kopfe brausen, er hörte es wie ein unterirdisches Wasser an seinen Ohren vorbeirauschen in der weiten Stille dieser Säle, in der vielleicht noch einige Worte aus jenem Munde verzitterten, wie Tropfen, die in ein silbernes Becken gefallen sind.

Ein Schatten lief über ihr Gesicht wie eine Trauer. Ihr Mund schien sich zu schließen, und sie schwieg.

Aber das Schweigen, das von ihr ausging, war wie ein ewiger Gesang, wie das Brausen ferner, blauer und unermeßlicher Meere.

Der Sturm draußen war vorüber. Nur ab und zu ging noch ein verlorener Windstoß in den hohen Bäumen. Die Abendsonne warf eine feurige Fackel herein, und die tiefen lombardischen Farben des Bildnisses belebten sich in Purpur, das Gewand rauschte und flammte auf, das rote Licht ging über ihr Gesicht herauf und verfing sich in den goldigen Netzen ihres leisen Gelächters. Und langsam schien sie sich in der Dämmerung aufzulösen wie ein Duft, wie ein Hauch, die Berge hinter ihr, ihre Stirn, ihre Haare, alles wollte langsam in blauen Schatten vergehen, aber ihr Lächeln blieb schwimmend im Licht, leise wie der silberne Schall einer höllischen Harfe, ihr Lächeln wie der tiefe und goldene Abglanz der Küsse Arimans, das große Insiegel Satans, das das Feuer seiner Umarmungen für ewig in ihre Lippen gegraben hatte.

Und nun mußte sie untergehen. Ja, sie mußte, es war ihm befohlen. Und schließlich durfte er Gott nicht trotzen. Denn Gott hatte ja keinen andern als ihn.

Sie mußte zerschmettert werden. Ja, Teufel, sie war sehr schön. Es half alles nichts, ihre Stunde hatte geschlagen. Und die letzte Schlacht mußte beginnen.

Er drehte sich um, kniete sich auf die Erde, holte seine Bibel hervor und las noch einmal die Worte der Apokalypse:

»Und ich sahe das Weib sitzen auf einem rosinfarbenen Tiere, das war voll Namen der Lästerung, und hatte sieben Häupter und zehn Hörner.

Und das Weib war bekleidet mit Scharlach und Rosinfarbe, und übergoldet mit Golde und Edelgesteinen und Perlen, und hatte einen goldenen Becher in der Hand voll Greuels und Unsauberkeit ihrer Hurerei.«

Ja, voll Greuels ...

Seine haarige graue Mähne war über sein Gesicht gefallen, seine Brille war ihm über seine graue Nase gerutscht, und, wie er da kniete, glich er einem uralten Affen, der am Ende seiner dunklen Höhle über seinem Fraße hockt.

Und er las weiter das sechste Kapitel des Briefes an die Hebräer, am vierten Verse:

Denn es ist unmöglich, daß die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe, und teilhaftig geworden sind des heiligen Geistes, und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen und wiederum ihn selbst, den Sohn Gottes, kreuzigen, und für Spott halten, daß sie sollten wiederum erneuet werden zur Buße.

Ja, wenn er abfiel, wenn er, der den Himmel offen gesehen hatte, Gott den Gehorsam aufsagte, so machte er sich selbst zum Spott und kreuzigte sich selbst, sich, den wahren Messias und Boten Gottes. Und er kam unten zu liegen, in den tiefsten Abgrund und die Eingeweide der Hölle. Da gab es doch keine Wahl.

Er versteckte das Buch, stand auf, ging noch einmal durch alle Säle, alles war leer.

Er ging zurück, stellte sich noch einmal hinter seinen Sessel, sammelte noch einmal alle seine Kraft.

Würde er siegen, würde er zerrissen werden? Aber er war ruhig, er hatte keine Furcht mehr. Mochte sie schon über ihn herfallen und ihn zerreißen. Er verbeugte sich noch einmal nach dem oberen Fenster vor Gott, er befahl ihm seine Seele, dann ging er langsam vorwärts, bei jedem Schritte laut den Beistand des Himmels herabrufend.

Er kam bis nahe an das Bild. Niemand rührte sich. Er sah sich nach allen Seiten um. Nur im Dunkel der Dämmerung eines Winkels schien es zu schwanken wie ein riesiger formloser Schatten.

Er wagte noch nicht, sie zu berühren. Aber er stand ihr dicht gegenüber und sah sie an. Er tauchte seine Augen zur letzten Schlacht in die ihren. Und sie antwortete. Die Hölle hatte die Herausforderung angenommen.

Und da standen sie sich gegenüber, der Irre und das Weib, ein zerrissener Sturm und eine ewige Stille.

Sein Gesicht ward dunkel wie eine sterbende Kerze, aber über der Stirn des Weibes stand es wie die fahle Morgendämmerung einer zeitlosen Ewigkeit. Und während sich sein Gesicht fortwährend zu verändern schien, selbst in der Starre des Krampfes, wie ein wolkenschwangerer Himmel über einem stürmischen Meer, war das ihre wie ein Brunnen, darüber viele Schatten und Bilder ziehen, aber das Wasser bleibt ewig in Ruhe.

Es kam nichts. Niemand kam. Und die Zeit ging dahin.