Mit meiner Tochter übt er tausend Eulenspiegelstreiche. Wir sind es alle so gewohnt, daß kein Mensch im Hause mehr auf ihn hört, und daher ist es ihm ein Festtag, einmal auf einen Fremden zu treffen, der sein Naturell noch nicht kennt.

Dem jungen Mann fiel durch diese Erklärung eine Last von der Brust, daß er also auch wohl von dem Herrn Wandel nichts zu befürchten habe: dennoch aber konnte er eine Empfindlichkeit nicht unterdrücken, sich von einem jungen Burschen so genärrt zu sehn. Wenn der junge Mensch, sagte er, das Lügen so zu seiner Gewohnheit gemacht hat, so ist es mehr als Scherz; man darf diese völlige Verachtung der Wahrheit wohl ein Laster nennen. Und wird er diesen Hang nie zum Bösen anwenden? Ich fürchte, diese Thorheit, die zwar jetzt nur noch Lachen erregen soll, wird ihm und andern in Zukunft manche bittre Thräne bereiten. Wie kann man nur so mit dem Leben spielen! Er wird aber auch gewiß seiner Strafe und einer, vielleicht zu späten Reue nicht entgehn.

Trefflich! sagte der Baron mit Lächeln: aber, lieber junger Freund, haben Sie denn schon viele Leute gekannt, die die Wahrheit gesprochen haben? Alles in der Welt lügt ja doch, jedes auf seine Weise, und die des närrischen Wehlen ist noch eine der unschuldigsten. Ich vertraue keinem Menschen, und mache auch nicht die unnütze Forderung, daß mir einer trauen soll. Wahrheit hält die Welt gewiß nicht zusammen, und welchen Schreck würde es geben, wenn die gute Kreatur, von der schon so viel gefabelt ist, wirklich einmal erschiene. Sie haben sich recht warm und herzlich ausgedrückt, und manchem Andern würde das noch mehr, als mir gefallen; denn, – kommen Sie, Liebster, in den Garten! – ich glaube immer bemerkt zu haben, daß wir diejenigen Fehler an andern am bittersten rügen, von denen wir uns selber nicht ganz frei fühlen.

Im Garten traf man die Frau und Tochter, mit dem jungen Wahrheitsfeinde. Kronenberg war bei den letzten Worten des Barons übermäßig roth geworden. Wehlen näherte sich ihm ohne alle Verlegenheit, und erzählte selbst sein lustiges Stückchen, wie er es nannte. Sie haben mich schon ganz, sagte Kronenberg, wie einen vertrauten Freund behandelt, und ich muß Ihnen dafür danken. – Haben's nicht Ursach', erwiederte der Springinsfeld; die Sache wäre gewiß ganz unschuldig, wenn nicht jedes, auch das beste und dickhäutigste Gewissen in der Welt irgend ein wundes Fleckchen hätte; so haben Sie mir selbst den Namen Wandel wie einen Zauberstab in die Hand gegeben, mit dem ich Sie erschrecken kann. Darauf muß ich nächstens doch noch einmal eine Geschichte erfinden.

Der Reisende fing an, verstimmt zu werden; denn dieser zu leichte und rücksichtslose Ton schien ihm an die Ungezogenheit zu gränzen, und er begriff nicht, wie ihn die Bewohner des Hauses, vorzüglich die Damen, dulden konnten. Diese aber schienen sich ganz behaglich zu fühlen, und der junge Thor wurde durch Beifall aufgefordert, auf diese ziemlich rohe Weise noch mehr die Unterhaltung zu beherrschen. Jetzt kam auch der Sohn des Hauses von der Jagd, und indem er Flinte und die geschossenen Schnepfen dem nachfolgenden Jäger übergeben, rief er aus: ei! Wehlen! da bist Du ja! Im Gehölz ist Dein Vater, und sagt, er bringe Dir das Geld, um das Du neulich geschrieben hast. – Ohne Antwort sprang jener fort, worauf der junge Baron ein lautes Gelächter aufschlug: so habe ich ihn denn auch einmal mit gleicher Münze bezahlt, rief er aus; er setzt was darein, daß man ihn nicht soll hintergehen können. Sein Vater denkt nicht daran, herzukommen.

Kronenberg würde sich sehr unbehaglich gefühlt haben, wenn die Freundlichkeit des schönen Mädchens, und ihre zuvorkommende verbindliche Weise ihn nicht entschädigt hätten. Bei Tische saß er neben ihr, und die Unterhaltung war, wenn auch unbedeutend, doch heiter und leicht; und erst gegen das Ende der Mahlzeit schlich der gedemüthigte Wehlen herbei, und war, wie alle behaupteten, seit einem Monate zum erstenmale beschämt und schweigsam verlegen.

 

Ich muß die Familie noch erst mehr kennen lernen, sagte nach einigen Tagen Kronenberg zu sich selber; ich weiß meine Unterhandlung noch nicht anzuknüpfen. Er mochte es sich selber nicht gestehn, daß ihn die zuvorkommende Freundlichkeit der Tochter fesselte. Schien sie doch für ihn nur Augen zu haben, und in seinen Blicken zu leben; an seinem Arme ging sie spazieren, und sprach nur mit ihm, wenn auch die andern sie begleiteten; von ihm ließ sie sich vorlesen, und lobte seine Stimme und den Ausdruck, mit welchem er las, mehr, als er es je von seinen Freunden sonst vernommen hatte. So gingen die Stunden und Tage unter Scherz und Spiel hin, und er konnte die Minuten nicht finden, für seinen Freund zu sprechen, noch weniger aber diesem, oder dem alten Wildhausen den versprochenen Brief zu schreiben.

Als man sich wieder an einem regnigten Nachmittage in der Bibliothek mit einem Buche unterhalten hatte, fing Kronenberg an: ich gestehe, nach dem, was man mir von Ihrer Vorliebe für die französische Literatur gesagt hatte, konnte ich nicht glauben, hier alle unsere guten deutschen Schriftsteller anzutreffen, und ich bin immer noch verwundert, daß ich Ihnen bis jetzt nur aus diesen, nach Ihrem Verlangen, habe vorlesen dürfen.

Lieber Herr Baron, sagte die Mutter, ich sehe hier nichts, worüber Sie sich verwundern könnten. Es ist nur, daß wir die Lectüre nicht überall so ernsthaft und schwerfällig nehmen, wie die meisten Menschen, die die sehr lästige Rolle nun einmal übernommen haben, für diese oder jene Parthie enthusiastisch erhitzt, oder in Feindschaft dagegen entbrannt zu sehn. Da setzen sie sich denn selbst ein Gespenst zusammen, das sie Geschmack, oder Fortschritte der Kultur, oder Bildung betiteln, dem sie ihren Zeitvertreib zum Opfer bringen, und an das sie doch selbst in vielen Stunden nicht glauben, um sich nur recht erhaben vorzukommen. Was soll man immer thun? So wie wir einmal beschaffen sind, müssen wir zu Zeiten lesen, – das geht mit unsern weiblichen Arbeiten Hand in Hand, und dabei verschwindet denn so recht behaglich Stunde, Tag und Woche.

Fräulein Lila hatte kurz vorher noch mit Begeistrung und glänzenden Augen von dem tiefen Eindruck gesprochen, den die Tragödie, so trefflich vorgetragen, auf sie mache, und die begeisterte Eitelkeit des Vorlesers war durch die letzte Rede mit einiger Gewaltthätigkeit abgekühlt worden. Man schwimmt, sagte Lila jetzt, auf einem Strom von Wohllaut gemächlich hin, und merkt nicht das Verweilen der Gegenwart.

Das verstehe ich nicht, rief Wehlen aus, ich freue mich nur drüber (indem er auf die Dichter und Romanschreiber hindeutete), daß alle diese Reihen deutscher, französischer und englischer Bücher das so recht im Großen und Umfassenden getrieben haben, was auch meine Liebhaberei ist. In allen diesen Centnern von Lügen würde doch auch noch kein Gran von Wahrheit herausgebrannt werden können. Und mir will der ehrbare, moralische Herr von Kronenberg meine unschuldige Gemüthsergötzung verargen!

Wie kann man dergleichen nur mit einander vergleichen! rief dieser aus.

Warum nicht? bemerkte der Sohn des Hauses. Es ist dasselbe Talent, nur mehr ausgebildet und ausgesponnen. Darum habe ich mich auch von Kindheit an darüber geärgert, wenn meine Mutter oder Schwester über das ersonnene Zeug Thränen vergießen konnten. Ich kann nicht beschreiben, wie seltsam mir dergleichen Aeußerungen, lautes Lachen, oder ein gespanntes Interesse, vorgekommen sind, da ich noch niemals in der Täuschung gewesen bin.