Er bittet mich endlich los, und da ich viel von Satisfaction räsonnire, meint der Bürgermeister, ich solle dem Himmel danken, so wohlfeil abzukommen; denn für mein Schimpfen auf die Obrigkeit müßte ich eigentlich acht Tage bei Wasser und Brot sitzen. Der Schließer mußte nun auch noch ein Trinkgeld haben. Jetzt hatte ich noch sechs volle Meilen zurück. – Hab' ich's doch immer gesagt: die complette Confusion ist schon im Lande; der Dieb läßt den Redlichen einstecken, die verkehrte Welt oder die Revolution ist da!

 

Nach einiger Zeit befand sich Kronenberg zu Pferd, um seinen Besuch in Neuhaus abzustatten. Der Frühling und die Sommerwärme hatten sich eingestellt, und dem Reisenden, der seine Sorgen vergessen, war jetzt so leicht und wohlgemuth, wie es dem Jünglinge wohl zu seyn pflegt, wenn er sich das erstemal von seiner Heimath entfernt, um die Welt kennen zu lernen. Er hatte schon in der Nähe einige angenehme Landsitze besucht, und war heiteren Sinnes durch Wald und Gebirge gestrichen, und jetzt, auf dem lustigen Wege in der Ebene, gingen die Gestalten und Begebenheiten seiner frühesten Jugend seinem Geiste vorüber; er war in jener fröhlichen Träumerei befangen, in der uns alle Erinnerungen ergötzen, und Thorheit wie Ernst mit gleichen Blicken anschauen. Er hatte auch oft Gelegenheit gehabt, der Warnung seines Freundes eingedenk zu seyn; denn sein Roß wollte künstlich und mit aller Aufmerksamkeit behandelt seyn. Es war von guter Raçe und kräftig, aber durch seine Reiter verwöhnt; die Eigenschaften des Herrn gehn auf gewisse Weise in die Thiere über, und so war dieses seltsam zerstreut; es scheute oft ohne Veranlassung, und sprang von der Seite, auch stolperte es ohne alle Ursach': es war einmal schon geschehn, daß es den Zaum vor die Zähne nahm und im blinden Nennen fortstürzte, ohne auf seinen Regierer und dessen Willensmeinung die mindeste Rücksicht zu nehmen. So ward es eine Nebenabsicht Kronenbergs bei dieser Reise, da er sich für einen trefflichen Reiter hielt, das schöne Thier wieder an Ordnung und Vernunft zu gewöhnen: er lernte beim Erziehn, daß er ebenfalls mehr zerstreut sei, als er von sich geglaubt hatte: der schlimmste Fehler, durch den jede Erziehung bei vernünftigen oder unvernünftigen Wesen unmöglich wird.

Am folgenden Tage sah er von einer Anhöhe das Schloß hinter Gehölzen schon vor sich liegen, als sich ein junger Mensch, ebenfalls zu Pferde, zu ihm gesellte. Als dieser nach einigen Fragen und Antworten die Absicht Kronenbergs erfahren hatte, rief er aus: ei! da kommen Sie ja recht zu gelegener Zeit, denn in zwei oder drei Tagen wird die Hochzeit des Fräuleins seyn.

Des Fräuleins vom Hause? – Unmöglich!

Warum unmöglich? Sie wollen doch nicht Einspruch thun? Das Fest wird um so glänzender, weil der Vater an dem nämlichen Tage das Andenken seiner fünf und zwanzigjährigen Verbindung feiern will. Die ganze Nachbarschaft ist schon längst eingeladen, und da die Sache so weltbekannt ist, so konnte ich gar nicht vermuthen, daß sie Ihnen fremd seyn würde. Das Schloß wimmelt von Gästen, und Sie werden sich vielleicht in einem Wirthschaftsgebäude oder der Pachterwohnung begnügen müssen.

Aber in aller Welt, rief Kronenberg aus, wen heirathet das Fräulein?

Das ist eben das Sonderbare von der Sache, schwatzte der junge Mensch mit dem Ausdruck des größten Leichtsinns geläufig weiter: es ist eine Parthie, an die Vater und Mutter und selbst das Mädchen noch vor einem Vierteljahr unmöglich denken konnten: denn es ist eine Mesalliance, die auch eigentlich ganz gegen alle Vernunft streitet. Denken Sie nur, vor sechszehn Wochen etwa kommt ein junger Fant durch das Dorf, giebt einen Brief ab, wird freundlich aufgenommen, ein Mensch ohngefähr meines Alters, mir auch im Wesen und Gesicht nicht unähnlich. Er ist so eben von der Universität abgegangen, ein Amtmanns-Sohn, sieben bis acht Meilen von hier wohnhaft. Das junge Blut macht Verse, spricht Zärtlichkeit, ist artig, liest Bücher vor. Wie ein Narr wird er in das reiche schöne Mädchen verliebt; sie wird unvermerkt von derselben Narrheit angesteckt; die Eltern sind unzufrieden, die Mutter weint, der Vater tobt. Doch alles Fluchen hat seine Gränze, auch die ergiebigsten Thränen versiegen, nur die Liebe ist ewig und unerschöpflich. Nicht wahr, so sagt, ja alle Welt? Das bewährt sich denn auch hier, und zum bösen Spiel gute Miene machen, ist eigentlich die ganze Kunst der vornehmen Leute. Kurz, der junge Windbeutel ist glücklich.

Verzeihen Sie die Frage, sagte der Reisende: Sie sind wohl selbst der Bräutigam?

Mit schadenfrohem lautem Lachen sah der junge Mensch ihn an, gab dem Pferde die Sporen, und flog davon, so daß das leichte Sommerröckchen in der Luft nachflatterte, indem er noch zurück rief: kommen Sie bald nach, Kamerad.

Armer Freund, sagte Kronenberg zu sich selber, so ist es also mit deiner Hoffnung und allen deinen Wünschen auf immer zu Ende! Eben so ist dein Vater nun aller Sorge enthoben, und meine entgegengesetzten Aufträge dürfen mir jetzt keinen Kummer machen. Er ritt in Gedanken langsamer, und als er endlich auf den Hof des Schlosses kam, sprang ihm der junge leichte Mensch schon wieder aus dem Stalle entgegen. Aha! rief er mit lachender Miene, da sind Sie ja endlich! Sie werden sich aber verwundern, wen Sie oben bei dem Herrn Baron finden werden! Einen alten Bekannten!

Doch nicht etwa meinen Freund, den Herrn von Wildhausen, der mir vorangeeilt ist? fragte Kronenberg.

Nein, er heißt ganz anders.

Oder Herr Freimund?

Weit davon.

Doch nicht etwa gar, sagte der junge Mann zögernd, ein Herr Wandel?

Richtig! rief der Jüngling, und sprang die Treppe hinauf, indem er noch bemerkt hatte, wie Kronenberg plötzlich blaß geworden war; denn auf diesen Mann lautete sein bedeutendster Wechsel. Er überlegte schnell, ob es nicht besser sei, rasch wieder das Pferd zu besteigen und eilig die Landstraße zu gewinnen; indessen aber waren die Stalldiener schon herzu gekommen, und Bediente umgaben ihn. Er sah sich wie ein Gefangener an, und folgte mit schwerem Herzen dem voraneilenden Diener, der ihn melden wollte. Vom Balkon herunter begrüßte ihn mit holdseliger Freundlichkeit eine schöne Mädchengestalt. Indem er den Blick wieder erhob, glaubte er ein muthwilliges oder auch vielleicht boshaftes Lachen zu sehn, das sich aber augenblicklich wieder in ein holdseliges Lächeln auflöste. Als er die Treppe hinan und über den weiten Vorsaal schritt, verwunderte er sich über die Ruhe und Stille im Hause, die bei den vielen Gästen unbegreiflich war. Der Baron kam ihm mit heiterer Bewillkommnung entgegen, indem er sich freute, einen Freund des jungen Wildhausen kennen zu lernen, der ihm die Einsamkeit seines ländlichen Hauses ermunternd beleben würde.

Einsamkeit? fragte Kronenberg verwundert: ich muß fürchten, Ihrem Hause bei diesem schönsten Feste Ihres Lebens ein überlästiger Gast zu seyn.

Der Baron sah ihn verwundert an. Die Vermählung Ihrer Tochter, Ihre silberne Hochzeit, fuhr Kronenberg fort – aber der Baron unterbrach mit schallendem Gelächter seine Rede, und rief endlich: ich wette, Sie sind schon unserm Windbeutel, dem jungen Wehlen, in die Hände gefallen. Dieser Mensch, ein Universitätsfreund meines Sohnes, hat es sich schon seit lange zum Geschäft gemacht, Unwahrheiten auf Unwahrheiten zu ersinnen, und dadurch ist ihm endlich das Lügen so zur Natur geworden, daß er selbst bei den gleichgültigsten Dingen niemals der Wahrheit getreu bleiben kann. Von keinem Spaziergange kömmt er zurück, ohne etwas Gleichgültiges zu erdenken, das ihm wohl hätte begegnen können.