Ich habe aber auch bemerkt, daß man sich erst wirklich dazu abrichten, recht eigentlich dressiren muß, um ein solches Papierleben in Büchern führen zu können; auch verlieren diese Leute alles Auge und allen Sinn für die Wirklichkeit.

Aber, sagte der Vater mit ernster und wichtiger Miene, laßt uns, meine Freunde, unsre französischen Lieblinge wieder vornehmen; denn es steht uns vielleicht nahe bevor, daß wir die Sprache und die Ausdrücke der feinen Gesellschaft dieser Nation höchst nöthig brauchen. Wer sich mit dem Franzosen gut und auf seine Weise zu unterhalten weiß, hat ihn schon halb gewonnen, und wenn die Monarchen Truppen mobil machen und Arsenale und Artillerieparks anlegen und vermehren, so laßt uns auch wieder, meine Theuren, uns jener Wendungen, Witzspiele, der leichten Konversationssprache unserer sogenannten Feinde bemächtigen, um ihnen durch die genaue Kenntniß ihrer Racine, Voltaire und Diderot den gelindesten Widerstand zu thun.

Ja wohl, sagte der Sohn, dieses sind Schutz-, wenn auch nicht Trutz-Waffen, die uns vielleicht sehr nützen können.

Lügen muß man, warf Wehlen lachend ein, daß die Kerl' nicht aus noch ein wissen, und schwadroniren, daß sie sich als Deutsche vorkommen; dann hat man gewonnen.

Als am folgenden Tage Kronenberg mit dem Fräulein im Garten allein war, schien es ihm, daß sie sich noch vertraulicher gegen ihn betrüge. Er gab ebenfalls seiner Stimmung nach, und machte sich doch innerlich Vorwürfe, daß er des Auftrages, den ihm sein Freund gegeben hatte, wenig gedenke. Er konnte sein Benehmen nur dadurch vor sich selber entschuldigen, daß er bei sich ausmachte, sein Freund sei niemals geliebt worden, und es sei daher Unrecht, eine Verbindung zu befördern, durch welche beide nur unglücklich werden könnten. Ob er ein Glück annehmen dürfe, das ohne sein Zuthun, wie eine reife Frucht in seinen Schooß falle, darüber war er noch unentschieden; auch fühlte er keine Leidenschaft, und überließ also den Erfolg der Zukunft, ihn so oder so zu entscheiden.

Aus diesen Sophismen wurde er schnell genug auf eine unangenehme Art gerissen, indem das Fräulein mit veränderter Stimme und Miene plötzlich ausrief: so gehören Sie denn also auch zu der Mehrzahl jener charakterlosen Männer, die keiner Lockung widerstehen, keine anscheinende Gunst mit edler Art abweisen können? Sie wollen ein Freund seyn, und haben kaum noch den Namen meines Geliebten gegen mich ausgesprochen? Er meldete mir, noch ehe Sie kamen, daß Sie für ihn handeln würden; aber beim geringsten Anschein, als ob ich Ihnen wohl wollte, hatten Sie auch alle Ihre Versprechungen vergessen. So oft ich mir noch einen solchen Scherz erlaubt habe, so ist er mir auch gelungen, und es ist den Mädchen daher wohl nicht zu verargen, wenn sie von der Trefflichkeit des männlichen Geschlechts keine zu erhabenen Begriffe einsammeln können.

Kronenberg suchte sich schnell zu fassen, und erwiederte: aber glauben Sie denn in der That, reizendes Fräulein, daß ich nicht gleich die verständige Koquette in Ihnen erkannte? Meinen Sie denn wirklich, ich habe etwas anderes gewollt, als Sie auf die Probe stellen, wie weit Sie Ihren Muthwillen treiben möchten? Ich muß mir viel Schauspieler-Talent zutrauen, daß Sie, die Sie so fein sind, so fest an den zärtlichen Schäfer in mir haben glauben können.

Mit diesem Talente, antwortete sie im Lachen, steht es doch nur so so; den Verliebten spielten Sie wenigstens viel natürlicher, als jetzt den Weltmann, der seine schlau angelegte Maske abwirft. Sie sind offenbar in Verlegenheit, so sehr Sie sich auch sammeln wollen. O ja, mein Herr, in der Schule der großen Welt haben Sie noch vieles zu lernen; Sie sind ihr nur aus einer der untersten Klassen entlaufen.

Sie verließ ihn spottend, und der Verstimmte ging in eine dunkle Laube, wo er den Sohn des Hauses lesend antraf. Wo ist Ihr Herr Vater? rief er lebhaft; ich komme, Abschied von ihm zu nehmen, denn meine Reise ist dringend. Mein Vater, antwortete der Sohn, ist oben in seinem Arbeitzimmer, in der nothwendigsten und überflüssigsten Beschäftigung von der Welt.

Wie soll ich das verstehn?

Sie haben ja wohl von ihm gehört, daß er seinen Stolz darein setzt, seine Güter selbst zu bewirthschaften. Es fügt sich aber, daß er gar nichts von der Sache versteht. Seine Leute wissen das auch; aber er wendet, wie er meint, die größte Kunst an, ihnen dies zu verbergen. Wirthschafter, Förster, Verwalter müssen täglich zu ihm kommen, um Rechenschaft von ihren Arbeiten abzulegen und neue Befehle zu empfangen. Diese Konferenz dauert einige Stunden. Der gute Vater quält sich, treffliche Fragen auszusinnen, Verordnungen zu machen, die unmöglich oder unausführbar sind, und um die Sache nicht ins Leichtsinnige zu spielen, und die Komödie zu schnell zu beschließen, herrscht oft ein viertelstündiges heiliges Stillschweigen, wenn er nichts mehr zu fragen, und die andern natürlich auch nichts mehr zu antworten wissen. Vor dieser Stunde fürchtet er sich an jedem Tage, und hat täglich eine geraume Zeit nöthig, um sich von ihr zu erholen. Gehn Sie hinauf, vielleicht erlösen Sie ihn dadurch aus einem Fegefeuer.

Kronenberg folgte diesem Winke, und traf im Zimmer des Barons die aufgestellte Dienerschaft in schweigender erzwungener Aufmerksamkeit, und den Herrn sinnend, den starren Blick zum Himmel gerichtet. Sein Gesicht erheiterte sich, als er den Eintretenden wahrnahm; er verabschiedete alle, mit dem Ausruf: morgen weitläufiger, – ich habe heute nicht länger Zeit. Er bedauerte, als er hörte, daß sein unterhaltender Gast ihn schon morgen oder übermorgen verlassen wolle. Indem hörte man Thüren laut werfen, heftiges Schellen, Geschrei der Bedienten, dazwischen die laute Stimme des jungen Herrn, und eilende Tritte über die Corridore und die Treppe hinab und hinaus. Ums Himmels Willen, rief der erstaunte Kronenberg, was hat das zu bedeuten? – Seyn Sie ruhig, antwortete der Baron gelassen, es ist nichts weiter, als daß mein Sohn studirt. – Wie? Studirt? – Ja, er kündigte mir schon heute Morgen an, daß er noch vor Abend seine Studien wieder beginnen wolle, und da ich weiß, daß es dabei etwas unruhig zugeht, so war ich auf dies Getümmel schon gefaßt. Der junge Mann, wie Sie werden bemerkt haben, lebt ziemlich zerstreut und eigentlich unbeschäftigt. So lange diese unbestimmten Spaziergänge, Jagdvergnügungen, leichte Lectüre, Reiten und Besuchemachen seine Zeit hinnehmen, ist er ziemlich ruhig. Aber alle drei Monate fällt es ihm einmal wieder ein, daß er seine Studien nicht ganz vernachlässigen darf. Alsdann schleppt er sich wichtige tiefsinnige Bücher zusammen, und setzt sich mit dem redlichsten Eifer zu ihnen nieder. Aber kaum hat er sie aufgeschlagen, so fallen ihm in dieser einsamen Zurückgezogenheit tausend Dinge ein, an welche er sonst niemals denkt: da hat ein Bedienter dies und jenes verschleppt, was er wieder suchen muß; es muß ein nothwendiges Billet in die Nachbarschaft versendet werden; da schickt man, den Tischler und Schmidt zu rufen, um eiligst und mit Heftigkeit ein Utensil zu bestellen, das eigentlich überflüssig ist; da läßt man in der Bibliothek herum reißen, um ein Buch zu suchen, das nachher verkramt wird. Und so ein lärmendes Geschäft nach dem andern. Es ist darum nicht immer wahr, daß die Musen die Einsamkeit und Stille lieben, und haben wir keine brausenden Wasserfälle, bei denen es sich, wie viele versichern, vertrefflich soll denken lassen, so benutzen wir hier die Treppen zu Kaskaden und die zugeschlagenen Thüren als Echo des Gebirges.

Kronenberg entfernte sich mit einem sonderbaren Gefühl; er dachte nach, wie in dieser Familie kein Mitglied das andere zu achten scheine, und alle doch so ziemlich gut mit einander fertig würden. Als man am Abend sich beim Thee wieder versammelte, trat die Mutter mit Freundlichkeit zum Gaste, und flüsterte ihm zu: meine Tochter hat mir gesagt.