Sie hätten den Scherz des jungen Mädchens mit einiger Empfindlichkeit aufgenommen; aber als ein Mann von Welt sollten Sie es nicht. Was können wir armen Weiber in der Einsamkeit anders thun, was uns wenigstens so unterhielte, als die Huldigungen der Jugend und des Alters annehmen? Lieber junger Freund, das ist ja nur eine andere Art von Kartenspiel, und geschickt mischen, mit Feinheit spielen, den Andern errathen, sich selbst nie bloß geben, am allerwenigsten aber diesen artigen Scherz für Ernst halten, dies alles sind Eigenschaften, die eine gute Erziehung durchaus lehren muß, und ich habe es mich bei meiner verständigen Tochter Zeit und Mühe kosten lassen, ihr alle diese kleinen Künste beizubringen, damit sie niemals das Opfer eines Kluggebildeten werde, der die Unerfahrne mit dergleichen fangen und unglücklich machen könnte. Wir thören die Männer, müssen uns aber niemals bethören lassen, und ich wunderte mich schon am ersten Tage, daß Sie so hastig in das Garn gingen.

Kronenberg verbeugte sich höflich, und dankte mit einiger Rührung, daß man es mit ihm noch so gnädig habe machen wollen. Bald aber wurde jedes leisere Gespräch durch die Schwänke unterbrochen, welche der junge Wehlen in seiner schreienden Manier vortrug, und denen Vater und Sohn schon seit einiger Zeit ein williges Ohr geliehen hatten. Es war ein Brief angekommen. Ah! von dem alten Baron Mannlich! rief Wehlen aus, – der im vorigen Jahre so lange das Mährchen der Nachbarschaft war, als er zum Besuch sich in Ihrem Hause aufhielt. Eine seiner sonderbarsten Geschichten ist Ihnen gewiß noch unbekannt. Sie waren damals verreist, und er ließ es sich recht gerne gefallen, mit mir einige Tage allein hier zu hausen. Ich bin auf der Jagd. Vor dem Dorfe bricht ein Wagen; der alte Herr macht sich herbei, hilft einem ältern und jüngern Frauenzimmer auf die Füße, die, wie sich nachher auswies, zwei Erzieherinnen waren, führt sie spazieren, zeigt ihnen Garten und Gegend, und endlich auch sogar das ganze Schloß, als sein Eigenthum. Um sich recht bei den Dämchen in Autorität zu setzen, schilt er mit den Domestiken der Herrschaft, wettert und flucht in den Wirthschaftsgebäuden herum, befiehlt, daß dieses und jenes am folgenden Tage ganz anders eingerichtet werde, und da die Knechte und Tagelöhner verblüfft ihn nicht begreifen, prahlt er gegen seine Begleitung, wie sehr alle seine Unterthanen seine Majestät fürchten. Das Lustigste aber war, daß er einen Bauer, der auf eignem Hofe Tabak rauchte, unter auffallendem Lärm und großem Geschrei ins Gefängniß stecken ließ. Als nun die Frauenzimmer, vom Wandern, Lärmen und unendlicher Verehrung ganz ermüdet, endlich in ihrem alten geflickten Wägelchen weiter reiseten, mußte er mit mehreren Thalern den eingesperrten Bauer zufrieden stellen, die Dorfgerichte bestechen, den Knechten und Tagelöhnern ansehnliche Trinkgelder geben, und an mich Unbedeutenden viele Umarmungen und Küsse, so wie herzliche Freundschafts-Betheurungen wenden, damit nur Keiner verriethe, mit welchem Glanze falscher Herrlichkeit er sich als dreistündlicher Tyrann aufgeputzt hatte.

Viele Scherze und Anekdoten kamen nun auf die Bahn, und der junge Mensch schien wirklich unerschöpflich; obgleich viele seiner Erzählungen keine sonderliche Spitze hatten, so fanden sie dennoch an den Hausgenossen gutwillige Zuhörer, und Kronenberg, der schon längst verstimmt war, begriff nicht, wie Geschichtchen, ohne allen Zusammenhang, ohne geistige Verbindung, die Gesellschaft erheitern konnten. Er äußerte eine bescheidene Kritik, und der Baron antwortete: ich gestehe Ihnen, mir sind das, was man Anekdoten nennt, geradezu die angenehmste Unterhaltung. Diese abgerissenen Einfälle und Schnurren ergötzen eben dadurch, daß wir keiner Vorbereitung bedürfen, um sie zu verstehen und zu schmecken. Was mich aus der Geschichte interessirt, ist doch auch nichts anders, und ich erwarte immer noch den geistreichen Autor, der mir einmal alle die Schwerfälligkeiten in Späße verwandelt, und diese scheinbare und langweilige Verbindung, diese Folge von Wirkungen und Ursachen völlig auflöst; denn alles ist doch nur Lüge. Einige französische Memoires nähern sich demjenigen schon so ziemlich, was ich verlange.

Die Literatur aller Nationen, sagte das Fräulein, kann auch nicht anders interessant dargestellt werden, nur als Chaos einzelner, abgerissener, oft bizarrer, oft unbegreiflicher Erscheinungen zieht sie mich an.

Ei! ei! rief der junge Wehlen aus, dann ist die deutsche auf dem besten Wege, Ihren vollkommensten Beifall zu gewinnen. Bald wird es dahin gekommen seyn, daß unsere alljährlichen kleinen Kalenderchen uns die zusammenhängendsten und größten Werke liefern. Diese Weihnachtlämmchen denen das Mäulchen mit Gold verklebt ist, oder denen erst, wie den Kätzchen, nach neun Tagen etwa die muntern Aeuglein geöffnet werden, wenn schöne seine und wohlgespitzte Finger die glimmende Verkleisterung von den zarten Blättchen abgeschliffen, und Gedichten wie Erzählungen die Zunge gelöst haben. Aber so niedlich die Bildchen, so feinsinnig deren Erklärung, so rührend die Geschichtchen, so zartgeflochten die Verse auch seyn mögen, so finde ich trotz dem kleinen Formate in diesen Werken immer noch zu viel deutsche Schwerfälligkeit, und mit dieser eine zu bestimmte Einseitigkeit. Der unbilligen Richtung auf Weihnachten, Neujahr und des gratulirenden Umwandelns, wie Kirchendiener und Nachtwächter, gar nicht einmal zu gedenken. Dagegen unsre Wochenschriften und Tagesblätter! Nicht wahr, hier sind auf wenigen Seiten die Weltgeschichte, die Gelehrsamkeit, Satyre, Epigramm, Stadtklätscherei, Recension, Theater, Anekdote, Wetterbeobachtung, Räthsel, Liberalismus, Winke für Regenten, Philosophie, Charaden und Gedichte noch obenein, ausgeschüttet. Und welcher polnischer Reichstag, wenn auf einer Toilette sieben oder acht Blätter dieser Art aufgeschichtet liegen. Widerspruch, Antwort, Widerruf, Gezänk des Einen mit dem Andern, hier Lob, wo jener tadelt, dort eine Entdeckung, die schon uralt ist, bei jenem eine Anfrage, die jedes Lexikon beantworten kann, dann ein philosophischer Zweifel, ob es wohl gut sei, den Senf zu lange nach der Mahlzeit zu genießen. Hier nehmen sich auch erst die Erzählungen gut aus, bei denen es immer wieder von neuem heißt: die Fortsetzung folgt. Es ist nur zu tadeln, daß man von diesen immer noch zu große Massen reicht. Wenn ich ein solches Blatt herausgäbe, ich ließe mir es nicht nehmen, die merkwürdige Begebenheit etwa in folgenden Portionen zu liefern:

Emmelinhypothenusios ging aus der Thür.

 

Fortsetzung folgt.

 

Er sah sich um und rief:

 

Fortsetzung folgt.

 

Ha!

 

Fortsetzung folgt.

 

Denn er hatte einen Blick gethan –

 

Fortsetzung folgt.

 

In die Ewigkeit.

 

Fortsetzung folgt.

 

Bis ihn eine Schwalbe wieder zum wirklichen Leben erweckte.

 

Schluß nächstens.

 

Worauf er zurück in sein Haus ging.

 

Beschluß.

 

Bei einer solchen Behandlung könnte der Scharfsinn der Leser doch noch in Thätigkeit kommen; aber bei der jetzigen Anstalt ist es unmöglich, daß sie nicht bald alles errathen, und sich zu sehr dem Strome der Empfindungen hingeben, was unsre Landsleute eben gar zu nervenschwach und gefühlvoll macht.

Ein Wagen fuhr vor, und der neugierige Wehlen lief hinab, zu sehn, wer angelangt sei. Er kam schnell zurück, und rief: freuen Sie sich! der Herr ist nun endlich da, den Sie schon so lange erwartet haben, um die Verhandlungen über die Güter zu beschließen. Da man ihm aber niemals glaubte, so antworteten ihm alle nur mit lautem Gelächter. Es währte aber nicht lange, so trat ein schöner junger Mann herein, dem die Familie mit einem Ausruf der Verwundrung entgegen schritt, und ihn dann herzlich begrüßte.