In diesem plötzlichen Getümmel vergaß man seinen Namen zu nennen, oder ihm die Fremden vorzustellen. Ich habe, sagte der Eingetretene, als die Ruhe wieder hergestellt war, eine Reise durch mein Vaterland gemacht, und das hat mich abgehalten, früher zu Ihnen zu kommen, wie ich wohl, unsern Verabredungen gemäß, thun mußte. Zuletzt habe ich mich länger, als ich sollte, im Hause des Grafen Burchheim aufgehalten.
Kronenberg ward aufmerksam. Die älteste Tochter, Cäcilie, fuhr jener fort, hatte ein sonderbares Schicksal erlebt, wenn der Ausdruck hier erlaubt ist; ihr schönes Gemüth mußte diese Begebenheit überwinden, und ich war etwas behülflich, sie zu zerstreuen.
Ich weiß, sagte Kronenberg; ihr Geliebter hat sie plötzlich verlassen und sein Wort zurück genommen, weil er eine andere Leidenschaft in ihrem Herzen entdeckte.
Nein, mein Herr, antwortete der Fremde mit einem scharfen Ton und glänzendem Auge: man hat Sie ganz falsch berichtet. Ein junger Mensch von Familie, den der Vater mit zuvorkommender Güte behandelt, macht sich nach und nach im Hause nothwendig; er schmeichelt Allen, er ist gegen die Tochter zärtlich. Mit dem Vater patriotisch, mit dem Sohn kosmopolitisch phantasirend, die Mutter mit Hofgeschichten unterhaltend, mit den Kindern spielend, wird er Allen Alles. Dem Vater weiß er große Reichthümer vorzubilden, und dieser wünscht seine geliebte Tochter gut versorgt zu sehn. Cäcilie fühlt keine Neigung zu ihrem Liebhaber; indessen ist sie dem Vater nicht entgegen, dessen Glück und Liebe sie über alles schätzt, und – wie junge unschuldige Gemüther oft den Versuch machen – sie bestrebt sich, den Widerwillen, den sie im Geheim gegen diese Verbindung fühlt, zu überwinden. Indessen vernimmt man nicht ohne Verwunderung, daß der Liebende, so oft er abwesend ist, eine reiche Familie, eine halbe Tagereise von dort, fleißig besucht; man murmelt, daß er auch dort der Tochter den Hof mache. Dies bestätigt sich, und zugleich läuft die Kunde ein, daß er statt der angegebenen Schätze nur große Schulden habe, daß Wechsel ihn verfolgen. Die Tochter ist gekränkt, – der verletzte Vater suchte ihn zum Geständniß der Wahrheit zu bringen, – er läugnet standhaft. Da nimmt sich der empörte Sohn vor, ihn auf ernstere Weise zur Rede zu stellen, und der zärtliche Liehaber ist plötzlich aus der Gegend verschwunden.
Sollte es einen solchen Charakter geben? fragte der Baron.
O dieser Mensch, fügte der Erzählende hinzu, ist im Stande, den Bauern zu erzählen, er habe mit vor Troja gefochten, und einem Dorfschulmeister, er sei der Verfasser von allen Werken des Voltaire.
Gleich darauf entstand ein eifriges Gespräch über Güterkauf und Geschäft- und Geldverhältnisse. Kronenberg nahm noch einmal Abschied, weil er morgen mit dem Frühesten seine Reise fortsetzen müsse; für diesen Abend entschuldigte er sich, indem er noch einige höchst dringende Briefe zu schreiben habe. So wurde er nicht sonderlich bemerkt, und bald darauf bei den wichtigen Verhandlungen, welche alle Gemüther zu spannen schienen, vergessen; nur der junge Wehlen schlich ihm nach, um draußen etwas feierlicher und mit mehr Rührung von ihm Abschied zu nehmen, und ihm das beste Glück zu wünschen.
In der nächsten Stadt schrieb Kronenberg an den Baron Wildhausen und dessen Sohn. Im Brief an den ersten stand unter andern folgendes: Atheisten, mein verehrter Freund, sind diese Leute wohl nicht zu nennen; aber freilich kümmern sie sich nur wenig um Gott oder Menschen. Die Tochter kann in einer glücklichen Ehe anders und besser werden, vorzüglich wenn es möglich ist, sie von der Langeweile zu erlösen, welche die ganze Familie zu Grunde richtet und sich auch dieser jungen Seele bemeistert hat. Ich bin aber überzeugt, daß ein so gründlicher Verstand, als der Ihrige, sie am ersten wieder herstellen kann, wenn sie noch irgend zu retten ist. So hoch, wie ich nach Ihrer Schilderung glauben mußte, wird die französische Literatur von diesen Leuten gar nicht gestellt; sie toleriren sie nur, wie sie es auch mit der grönländischen und japanischen thun würden; und Ihre verehrte Frau Gemahlin möchte eben an dieser geringschätzenden Gleichgültigkeit das größte Aergerniß nehmen.
Was Deine Geliebte betrifft (so stand im Briefe an den Sohn), so kann ich mir unmöglich denken, daß Du mit dieser glücklich seyn würdest. Indessen läßt sich dergleichen freilich nicht berechnen. Ich besorge nur, wenn es noch einmal dahin kommt, Du mußt einen sehr trivialen Spaßmacher mit in den Kauf heirathen, der dem Seelenheile des Fräuleins bis jetzt noch unentbehrlich scheint. Er ist dieser Familie, was die Unruhe der Uhr – und gewiß, wenn sie von ihm nicht immer aufgezogen wird, so steht sie gar still. – Von mir mag ich kaum mehr sprechen, so lästig fängt mir an, der Umgang mit mir selbst zu werden. Ich fürchte, das Glück, welches ich in der Jugend so muthwillig verscherzt habe, wird mir niemals wieder entgegen kommen. Eine gewisse Summe von Erfahrungen ist jedem Menschen bestimmt; ich habe diese vielleicht schon früh vollständig empfangen, und wie der verlorne Sohn zwecklos ausgegeben. Lange hätte ich wohl davon zehren sollen, und muß nun um so früher beschließen.
Er siegelte die Briefe. Sein Pferd war schon vorgeführt, weil er im Augenblick abreisen wollte. Da eilte der Kellner noch herauf, und rief: gnädigster Herr, da unten ist der junge Graf von Burchheim, der Sie in einem wichtigen Geschäfte sprechen will. Kronenberg verfärbte sich. So habe ich ihn doch nicht vermeiden können, sprach er leise zu sich selbst; es sei! Dies löst vielleicht in einem Augenblicke, woran ich sonst wohl noch viele Jahre hindurch aufzuwickeln hätte. Er ging hinab; der Fremde zeigte sich nicht.
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