Der alte Verwandte, der ihm heut mit seiner Zärtlichkeit so lästig gefallen war, trat leise herein. Nun ist er doch einmal in der Gesellschaft, flüsterte er für sich. Er sah sich behutsam um; dann ging er an den Schrank, öffnete die Schubladen, und kramte in der Wäsche und den wenigen Büchern. Der Mantelsack, der im Winkel lag, entging seiner Aufmerksamkeit nicht; aber diesen fand er leer. Er hat auch, sprach er wieder zu sich selber, verdammt wenig Sachen bei sich: hätte mein Schwager nicht sein Geld aufgehoben, so könnte man ihn für einen armen Schlucker halten. Und keine Brieftasche! keine Papiere! keine Schatulle! Er wiederholte seine Nachforschung, und da er wirklich nichts weiter entdecken konnte, entfernte er sich mit einem unzufriednen Gemurmel. – Kronenberg, der mit stummem Erstaunen diesen unvermutheten Besuch angesehen hatte, dachte noch lange über dessen Bedeutung nach, bis ihn endlich ein wohlthätiger Schlummer von diesen, so wie allen übrigen Betrachtungen befreite.

 

 

Am folgenden Morgen traf Kronenberg den Musiker allein im Saal. Er konnte sich nicht enthalten, ihm die gestrige sonderbare Begebenheit mitzutheilen. O, rief jener aus, über dergleichen müssen Sie sich gar nicht wundern, denn das kann Ihnen noch oft begegnen. Dieser alte Baron Mannlich, der Bruder der Gräfin, hat in seinem Müßiggange, der ihm Langeweile macht, nicht eher geruht, bis er sich einen Hauptschlüssel zuwege gebracht hat; wie er die Gäste des Hauses spricht, so hält er es auch für nothwendig, ihr Zimmer, wenn sie nicht zugegen sind, genau zu untersuchen. Und Gnade dem, der irgend Papiere und Briefe umher liegen läßt! denn er nimmt sie mit, um sie zu studiren und gelegentlich zu verlieren, oder sich die dunkeln Stellen vom Schulmeister erklären zu lassen. Auf elegante Kleinigkeiten, wie Nadelbüchsen, Scheeren, Riechfläschchen, macht er ordentlich Jagd, und hat davon schon wirklich ein Arsenal angelegt, aus welchem er manchmal bedürftige Kammerjungfern unterstützt, um sich ihrer Dankbarkeit zu erfreuen.

Kronenberg mußte lachen. Der Name Mannlich schien ihm bekannt, doch konnte er sich nicht erinnern, wo er ihm vorgekommen sei. Der Musiker, welcher einmal ins Sprechen gerathen war, fuhr, auch unaufgefordert, in seiner Schilderung der Familie fort. Sie, mein Herr von Feldheim, sagte er mit bitterm Ausdrucke, haben den Weg gefunden, sich der Liebe der Gräfin, wenn Sie auch nicht ihr Verwandter wären, auf ewig zu versichern. Wo die alte gute Dame nur pflegen und wohlthun kann, da ist sie in ihrem Elemente; sie spielt so gern den Doctor, und da ich ihre Leidenschaft kenne, so fingire ich zu Zeiten eine Unpäßlichkeit, vorzüglich nach einem kleinen Gezänk (denn sie kann mich eigentlich nicht leiden), um mich nur wieder in Gunst zu setzen. Aber freilich, so mit ganz eingeschlagenem Kopf, unter einem zerschmetterten Pferde todt und ohnmächtig liegen, aus Stirn, Nase und Auge bluten, heißt die Sache ins Große spielen; und dagegen nehmen sich meine kleine Hülfsbedürftigkeiten nur armselig aus.

Es scheint mir grausam, sagte Kronenberg empfindlich, diesen schönen Trieb ins Lächerliche ziehn zu wollen.

So? antwortete der Musikus: Sie sind wohl auch human, empfindsam und sentimental? Lassen Sie sich von aller Welt kuriren und verweichlichen, ich habe gar nichts dagegen; ich sage ja nur, Ihr Auftritt hier im Hause, oder Ihr Hereinfall in die Familie, war eben durch diesen Unfall auffallend genug, und die Gräfin genoß, trotz ihres Schrecks, die Freude, alle ihre Künste an Ihrem Leichname entwickeln zu können. Sie möchte die Töchter auch gern zu Wohlthäterinnen erziehn – – die halten es aber mehr mit den gesunden Männern, und bei denen haben Sie sich durch Ihre Krankheit nicht so sehr empfohlen. Die beiden jüngern Gräfinnen sind voll Uebermuth und Schalkheit, gefallen sich nur, wenn sie andern gefallen, und schonen mit ihren Reizen weder Feind noch Freund. Welch Lamentiren, welch Schelten, welch patriotisches Verzweifeln, als die Schlacht verloren war! Sie wollten bis Norwegen und Grönland flüchten, um nur keinem von diesen verruchten Feinden in sein undeutsches Auge sehen zu müssen. Und jetzt! Sidonchen gefällt sich außerordentlich in der Gesellschaft des jungen, freundlichen Majors; sie nimmt alle seine Huldigungen mit Freuden an, und ist verdrüßlich, wenn sie ihn einen Tag nicht sieht. Und die kleine Leonore hilft ihrer verständigen Schwester treulich, den liebenswürdigen tapfern Mann bewundern. Wenn wir Musik machen, geschieht es eigentlich nur seinetwegen; seine Favoritstücke, die gemeiniglich die schlechtesten sind, müssen vorgetragen werden; er schmeichelt und lügt, und sie verehren, heucheln und bewundern. Das ist so der Lauf der Welt.

Aber der Vater? Unmöglich kann er ein solches Verhältniß gern sehn.

Es ist auch nichts Ernsthaftes, erwiederte jener. – Die liebe, leidige, beseligende Coquetterie, das, was bei den meisten Mädchen das Glück Ihrer Jugend macht! Und der alte Herr ist so gut und brav, so ohne Arg, daß er nur heiter ist, wenn seine Kinder gefallen. Er hat seinen Zorn gegen die Franzosen, die er nicht begreift, auch bei Seite packen müssen, und sucht wieder seine feinen Redensarten hervor, die er seit lange vergessen hatte. Er kann es aber doch nicht lassen, jede Einquartierung mit seinen deutschen Drohungen und der Schilderung unserer Tapferkeit zu erschrecken, die ihn immer heimlich oder öffentlich, verlacht. Darum ist auch jener Tückmäuser, der blasse Anverwandte, sein Liebling, weil der manchmal den Dämpfer vom Instrument nimmt, und in recht lauten und heroischen Tönen seinem Widerwillen Luft macht. Der prophezeit uns allen, und den Fremden zugleich, sehr oft den Fall Frankreichs und das Wiedererwachen unserer Nation. Der junge Major Duplessis lacht nur darüber, aber der alte mürrische Kapitain Liancourt runzelt oft gewaltig die Stirn, und zwischen ihm und Emmerich wird es gewiß einmal etwas geben; auch wäre es wohl schon geschehn, wenn der älteste Sohn, Konrad, nicht so oft mit dem Franzosen auf die Jagd ginge, und der jüngste, Anton, nicht mit ihm auf seine läppische Weise schäkerte.