Für einen längern Aufenthalt war meine Baarschaft nicht eingerichtet, – von Hause konnte ich nur spärlichen Zuschuß erwarten, und als dieser endlich ankam, ging das Meiste davon wieder auf, um die Schulden zu bezahlen, die ich indessen hatte machen müssen. Mit leichter Börse und schwerem Herzen begab ich mich auf den Rückweg, im bittern Gefühl, den Meinigen statt der Wohlhabenheit nur größere Armuth zurück zu bringen. Die kleine Summe, so sehr ich sparte, obgleich ich meist zu Fuß wanderte, war endlich doch völlig geschwunden, und was ich nun empfand, als mir ein böser Mensch in der Nachtherberge meinen Paß geraubt hatte, und ich so manchen Hartherzigen um ein Almosen ansprechen mußte, können Sie sich unmöglich vorstellen, da mir selbst bis dahin diese Gefühle unbekannt geblieben waren. In dieser schrecklichen Lage war ich auch dort im Städtchen nach Hülfe umhergewandert; die Armenaufseher waren mir auf die Spur gekommen, sie hatten erfahren, daß ich ohne Paß sei, und wären Sie, mein verehrter Beschützer, weniger großmüthig gewesen, so hätte man mich dort als Bettler und Vagabonden fest gesetzt, und ich und meine Frau und unerzogenen Kinder waren dem Verderben Preis gegeben.
Er konnte diese Erzählung nicht ohne Thränen schließen, so wenig als sie Kronenberg ohne Rührung hatte hören können. Es giebt freilich Verhältnisse, sagte dieser bewegt, die so furchtbar den Menschen einengen und foltern, daß es grausam und gottlos wäre, wenn auch der Wildfremde, ohne lange zu fragen, nicht herbei springen und helfen wollte. Ich wünschte nur, ich konnte mehr für Sie thun, als Ihnen noch eine kurze Strecke Ihrer Reise erleichtern. – Mit diesen Worten wollte er dem Unglücklichen noch einige Goldstücke in die Hand drücken, dieser aber trat mit dem edelsten Ausdrucke einige Schritte zurück und rief aus: nein, mein Wohlthäter, das kann ich von Ihnen nicht annehmen, denn Sie haben genug für mich gethan, und da ich zwei Meilen von hier Freunde und gewisse Hülfe finde, so wäre dies nur ein Mißbrauch Ihrer Güte. Könnte ich nur so glücklich seyn, Ihnen einmal einen Dienst, oder nur eine Gefälligkeit zu erzeigen, so würde ich mich unbeschreiblich glücklich schätzen. Doch, sich einem edlen Manne verpflichtet fühlen, ist auch eine schöne und beruhigende Empfindung, so wie der Edle sich schon darin beseligt findet, denen, die es durch Dankbarkeit verdienen, eine Wohlthat erzeigt zu haben.
Mit diesen Worten verbeugte er sich und ging zur Thür hinaus. In dieser wandte er sich noch einmal dankend um, und so gerührt sich Kronenberg fühlte, so war doch im letzten scheidenden Blicke des Fremden wieder etwas so Stechendes, so viel lauernde List, in dem blassen Gesicht so viel Widerwärtiges, daß dieser Wechsel seiner Empfindungen dem jungen Manne wie träumerisch, ja beinah fieberhaft vorkam. Er schalt sich endlich selbst über sein Mißtrauen und meinte, es sei nur Täuschung und Erhitzung von der Reise, wenn ihm der Fremde im letzten Augenblicke so durchaus widerwärtig erschienen sei. – Der Wagen war wieder hergestellt und Christoph bereit zur Abreise. Wo haben Sie denn, fragte er mürrisch, diesen fremden Hecht aufgefischt, gnädiger Herr? denn er berief sich auf Sie, als er dort vor dem Thor auf unsere Kutsche kletterte.
Ein armer Mensch, sagte Kronenberg, an dem man sich ein Gotteslohn verdient, wenn man ihm hilft, ein unglücklicher Familienvater. Was hattest Du denn mit ihm abzuhandeln und zu streiten?
Je, der französische Wirrwarr, antwortete jener, wollte Fuhrwerk und Pferde tadeln, und alles besser wissen. Ich verstand freilich wohl sein Kauderwelsch nicht, und er konnte auch meine Meinung nicht recht fassen, indessen giebt das immer den besten und lebhaftesten Diskurs. Ich bin mit dem Kerl schon einmal zusammen gekommen, und dazumal haben wir uns noch mehr gezankt.
Wo denn? fragte Kronenberg verwundert.
Je, vorigen Sommer, erzählte Christoph weiter, als wir mit dem alten gnädigen Herrn auf seinem Gut da hinten im Gebirge waren. Eines Morgens finde ich den Patron, den ich schon viel hatte umherstreifen sehn, in unserm Garten. Er mußte über die Planke gestiegen seyn. Da saß er und zeichnete die ganze Gegend ab. Er meinte, es sei bei uns im Lande viel Natur und Perspektive, und ein gewisses Bellvue, und was er des Zeugs mehr durch einander schwadronirte. Ich führte ihn aber ohne Umstände durch den Hof und drohte ihm, es dem gnädigen Herrn zu sagen. Dazumal gab er mir ein Trinkgeld und sah nicht so bettelhaft aus. Am folgenden Tage sah ich ihn auch in einer Gesellschaft, aus der ich unsern alten Herrn abholte.
Christoph mußte sein Geschwätz unterbrechen, denn sie stiegen ein und kamen bald in der Stadt an, wo der Freund des Reisenden wohnte, vor dessen Hause der Wagen auch nach wenigen Minuten stille hielt.
Ein lautes Geschrei empfing den absteigenden Gast. Alle Bedienten liefen durch einander, ein jeder befahl, keiner gehorchte; jeder fing an, ein Geschäft zu verrichten, welches er sogleich, von einer andern Anordnung gestört, unterbrach. So ging Kronenberg die große Treppe hinauf; als er aber im großen Vorsaal stand, hatten ihn alle Diener verlassen, und er blieb im Finstern zurück. Der kalte Saal gab ihm Muße genug, über diese sonderbare Beschaffenheit des Hauses seine Betrachtungen anzustellen. Er tappte umher, um eine Thür zu finden, wagte aber nicht, sich mit Bestimmtheit zu bewegen, um nicht etwas umzustoßen, oder zu verletzen. Indem er endlich den Griff eines Schlosses gefaßt hatte, wurde die Thür von innen geöffnet, und Christoph trat ihm mit einer Laterne entgegen. Es ist zu arg! rief dieser aus, Sie noch hier? die Wirthschaft wird doch mit jedem Tage toller! Hier im Finstern? Kommen Sie nur schnell zum jungen Herrn, der gewiß noch nicht einmal weiß, daß Sie schon angekommen sind.
Er führte den Fremden über einen langen Gang, und im wohlgeheizten Zimmer saß Karl von Wildhausen unter Büchern, Akten und Briefschaften wie vergraben. Er sprang auf und begrüßte herzlich den Freund.
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