Ich hatte Dich noch nicht erwartet, rief er aus, und keiner von den Schurken kömmt auch, um mir zu melden, daß Du angekommen bist! Und wie ist Deine Lage nun, Freund? Ich weiß nur das Wenigste davon, erzähle.
Da sie allein waren, hatte Kronenberg, kein Bedenken, sich ihm auf diese Weise zu eröffnen: Dir am besten, mein Theurer, ist es bekannt, wie das wenige Vermögen, das mein Vater mir hinterließ, in Spekulationen, Verbesserungen des kleinen Gutes, die sich nur zu bald als Verschlimmerungen bewährten, aufgegangen ist. Gläubiger, vorzüglich Wechselschulden drängten, und es blieb mir, wie ich schon längst fürchtete, kein andrer Schritt übrig, als den ich nun jetzt zum Nachtheil meines Rufes wirklich habe thun müssen. Mein karger Oheim wird nun vielleicht helfen, der bisher mit Rath und Vermahnung so freigebig, aber mit That und wirklicher Unterstützung desto sparsamer war.
Es schien ja aber doch, sagte Karl, daß Deine Heirath alles ins Gleise bringen könne, und darum war ich erschreckt, als Du mir plötzlich schriebst, auch diese sei zurück gegangen.
Es war mir schwer, fuhr Kronenberg fort, den Gedanken zu fassen, einer Heirath Glück und Wohlstand zu verdanken. Dazu kam, daß Cäcilie, die mich erst zu lieben schien, mit jedem Tage kälter gegen mich wurde. Ich muß vermuthen, daß eine andre, vielleicht bis dahin verheimlichte Leidenschaft die Ursache dieses veränderten Betragens war. Auch konnte ich mich nicht entschließen, dem Vater, so oft er mich auch dazu aufforderte, die ganze Trostlosigkeit meiner Lage zu entdecken; das Wort erstarb mir jedesmal auf der Zunge. Diese falsche oder rechte Schaam hat es wohl veranlaßt, daß sich auch der Vater auffallend von mir zurück zog. Ich fühlte mich endlich unbeschreiblich unbehaglich in der Familie, ja es fehlte mir bald an jeder Fassung, die Rolle mit Anstand durchzuführen, die ich zu voreilig übernommen hatte. Das Schlimmste aber war –
Wie? rief Karl aus, noch etwas Schlimmeres?
Laß mich enden, sagte Kronenberg. Der Bruder, ein hitziger junger Mann, wie Du ihn kennst, kam auf den Gedanken, es sei für seine Schwester und die Familie beschimpfend, daß ich die Verbindung, die in der Umgegend bekannt genug geworden war, wieder lösen wollte, und fand es seiner Pflicht und Ehre gemäß, mich zu fordern.
Teufel! rief der Freund aus, – und? –
Wir schlugen uns auf Pistolen, er ward schwer verwundet, so wie mir es schien, tödtlich. Du begreifst, daß dies meine Flucht noch mehr beschleunigen, und mich in die ganz hülflose Lage stürzen mußte, in der ich Dir von der Grenze jenen kurzen Brief sandte, in welchem ich Deine Freundschaft und Deinen Beistand aufrief.
Du kennst mich, sagte Karl mit dem größten Ausdruck der Herzlichkeit, Du zweifelst an meiner Freundschaft nicht, indessen ist Dir auch meine beschränkte Lage bekannt. Ein Kapital, so viel ich nur schaffen kann, steht zu Deinen Diensten, es sollte größer seyn, vielleicht so, daß Deine Lage dadurch wieder hergestellt würde, wenn ich meinem Vater mit dergleichen Vorschlägen kommen dürfte. Der ist aber steinhart, am härtesten gegen Menschen, von denen er glaubt, daß sie durch Leichtsinn und schlechte Wirthschaft sich ihr Unheil selbst zugezogen haben. Ich will mich an Deinen Oheim und Deine schlimmsten Gläubiger wenden, damit in Deiner Abwesenheit nur Dein Name nicht verunglimpft werde. Nun, was denkst Du für jetzt anzufangen, wenn ich Dir für Deine weitere Reise auch wohl mit tausend oder zwölfhundert Thalern helfen kann? denn dies wäre wohl das Aeußerste, wohin meine Kräfte reichen.
Kronenberg umarmte seinen Freund gerührt und sagte dann: Du bleibst der Alte, und wußte ich doch, daß ich auf Deine Liebe rechnen konnte, seit der Schule bist Du mir treuer gewesen, wie meine eigne Seele. Ich denke jetzt nach jener Stadt des südlichen Deutschland zu gehen, von der ich Dir schon sonst gesprochen habe. Dort finde ich alte Bekanntschaften, die ich erneure, ich habe sehr gute Empfehlungen bei mir, die mich mit Männern von Einfluß verbinden werden, und so denke ich durch Talente, Kenntnisse und Fleiß mir dort eine Laufbahn zu eröffnen, die mich zu einem neuen und bessern Leben führen soll, als ich bisher kannte; und vielleicht komme ich so weit, daß ich alsdann ganz mein väterliches Vermögen verschmerzen und vergessen kann. Kannst Du unterdessen etwas davon retten, durch Deinen Kredit, dadurch, daß Du meinen Oheim mir geneigter machst, ist es um so besser und sichrer, im Fall mein Plan, der mir nicht unvernünftig dünkt, sich doch als Schimäre ausweisen sollte.
Dir ist bei Deinen Talenten vieles möglich, antwortete Karl, vorzüglich, wenn Du den poetischen Beschäftigungen mehr entsagst und Dich den ernstern Wissenschaften widmest.
Du erinnerst mich eben, rief jener aus, daß ich Dir einen großen Brief von Deinem interessanten poetischen Freunde mitbringe, der Dir gewiß Freude machen wird.
Gieb! sagte Karl mit großer Lebhaftigkeit, und jener suchte im Rock, Oberrock und Mantel, doch vergeblich. Die ganze Brieftasche wird doch nicht, – stotterte er endlich erschreckt, – nein, – sie muß im Wagen seyn. – Es ward geklingelt, ein Bedienter ausgesandt, die Kutsche zu durchsuchen, dieser kam aber nach einer Viertelstunde zurück, und schwor, daß sich keine Spur des Verlornen in allen Taschen und Schubkasten des Wagens finde. Indessen war Christoph auch herbeigerufen worden, und Kronenberg fuhr auf ihn mit der Frage los: Erinnerst Du Dich nicht, Alter, ob Du im nächsten Städtchen, oder im ersten Gasthof eine rothe, ziemlich große Brieftasche in meinen Händen, oder auf dem Tische gesehn hast?
Der gnädige Herr, antwortete der Alte in seiner verdrossenen Weise, müßte es sich wohl eigentlich am allerbesten erinnern: ich kann nur sagen, daß ich nichts weiß und nichts von einer solchen Tasche gesehn habe, weder im ersten, noch zweiten Gasthofe.
Auch nicht vielleicht, fiel Kronenberg ein, dort im Walde, wo wir mit dem Wagen umfielen? Ist sie dort liegen geblieben? Sahst Du sie nicht vielleicht auf dem Boden?
Christoph trat einen Schritt zurück, und sah ihn dann von der Seite und mit zugekniffenen Augen an: wenn ich nun Ja sagte, gnädiger Herr? Und wollte zu meiner Entschuldigung etwa anführen, ich hätte das große Ding für eine abgefallene getrocknete Hanbutte gehalten und deswegen im Schnee liegen lassen? Verdiente ich nicht die ausgewogensten und eindringlichsten Schläge?
Kronenberg mußte lachen, so verdrüßlich er war. So habe ich denn die wichtigsten Briefe, und obenein meinen Paß eingebüßt, den ich mir von hier auf keine Weise wieder schaffen kann.
Da haben wir's! rief Christoph: der fremde Mensch, der in der letzten Schenke so dienstfertig war, Sie auszukleiden, so daß er mich vor purer Höflichkeit recht grob zurück stieß, der sich mit dem Oberrock so viel zu schaffen machte, ihn so sorgfältig faltete und bürstete, der Spitzbube hat auch gewiß die Brieftasche gesehn und gefischt, denn einen solchen Paß kann ein Schelm und Spion immer am besten brauchen.
Sollte es wohl – sagte Kronenberg –
Gewiß, fuhr Christoph fort. Was hat er mir nicht alles auf dem Kutschbock vorschwadronirt, er fragte nach allem, und kannte doch schon jeden Weg und Winkel im ganzen Lande.
Von wem sprecht Ihr? fragte Karl.
Ei, von dem Menschen, antwortete Christoph in Eifer, den Sie ja voriges Jahr auch mehr als einmal müssen gesehen haben, mein gnädiger Herr, in Gesellschaft von Ihrem Herrn Vater. Sie nannten ihn alle immer nur den großen Naturfreund, weil er alle Wälder, Schluchten und Berge durchkroch, und jede Felsennase abzeichnete. Dazumal sah er recht reputirlich aus, aber jetzt hat er ganz das Wesen eines Straßenräubers.
Als Kronenberg erzählt hatte, was ihm mit diesem Mann begegnet sei, fand sein Freund es nicht unwahrscheinlich, daß dieser sich des Portefeuille, hauptsächlich des Passes wegen, wohl habe bemächtigen können; er befahl jedoch, daß mit dem Frühesten Christoph nach dem nächsten Städtchen zurück reiten solle, um in der Schenke noch einmal nachzusuchen. Christoph entfernte sich mit halb hörbarem Gemurmel, daß er nun doch wieder derjenige seyn müsse, der die Fahrlässigkeit der Herrschaften gut machen solle.
Ein Diener rief die jungen Leute in den Speisesaal. Kronenberg begrüßte die Mutter seines Freundes, die sehr artig gegen ihn war, und sich freute, ihn nach geraumer Zeit einmal wieder zu sehn. Der Vater saß abseit an einem kleinen Tische, und las eifrig in einem Buche, so daß er vom Abendessen, so wie von dem fremden Gaste gar keine Notiz nahm. Sie sind servirt! rief die gnädige Frau zu ihm hinüber.
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