Setze Dich, mein Schatz, antwortete der alte Herr mit tiefer Stimme, fangt immer an zu essen, ich komme noch zeitig genug; kann ich mich doch von meinem herrlichen Buche noch gar nicht trennen.
Man setzte sich. Sie müssen schon, sagte die gnädige Frau sehr verbindlich, einem Landedelmanne diesen Mangel an Attention verzeihen, mein werther Herr von Kronenberg, ich und mein Sohn wissen um so mehr das Glück zu schätzen, daß Sie nach länger als einem Jahre unsre entfernte Gegend und unser kleines Städtchen wieder besuchen, und der Residenz und allen glänzenden Cirkeln dort Ihre Gesellschaft entziehen wollen. Mein lieber Sohn hat mir einigemal aus Ihren Briefen vorgelesen, und mir selbst von Ihren poetischen Produkten mitgetheilt, die mich entzückt haben, und die ich, so weit meine schwache Einsicht reicht, für vortrefflich halte.
Ein solcher Beifall, antwortete Kronenberg, wird mich befeuern, künftig Besseres zu leisten.
Man will zwar, fuhr die Dame fort, jetzt ganz neue und unerhörte Sachen hervorbringen, und es ist so weit gekommen, daß mancher sogar verlangt, wir sollen alles vergessen, was wir in unserer Jugend gelernt und als das Rechte erkannt haben. Aber die Folgezeit wird ausweisen, daß unsre Vorfahren doch nicht so ganz übel thaten, sich einer gebildeten Nation anzuschmiegen, die durch eigne Kultur uns zeigen kann, was man vermeiden und was man erstreben muß.
Sie sprechen ohne Zweifel, fragte Kronenberg, von der französischen?
Von welcher sonst? sagte die Dame etwas spitzig. Giebt es denn, genau genommen, eine andere?
Der alte fing, in seinem Buch vertieft, an, laut zu singen. Sollte nicht jede Nation, warf Kronenberg bescheiden ein, ihre eigne Literatur haben können, und hat die deutsche nicht schon längst bedeutende Schritte in ihrer eigenthümlichen Kultur gethan?
Die deutsche! erhob die gnädige Frau den Ton: auch von Ihnen, dem verständigen Freunde, muß ich dergleichen hören? Wann ist sie denn deutsch gewesen, wann hat sie denn nur gezeigt, daß sie dergleichen wirklich will, im Fall sich ein vernünftiger Gedanke selbst mit solchem Vorsatze vereinigen ließe? Barbarisch, unwissend, ungelenk, und eben so politisch als literarisch ohnmächtig war sie froh dankbar, als sie von Ludwig dem Vierzehnten erfuhr, was sie sollte, und kam zugleich zur Besinnung, als Redner, Geschichtschreiber und Dichter ihr damals zeigten, was sie ohngefähr denken und fühlen müsse. Sehn wir nicht auch von diesem Augenblicke an ein reges Wetteifern im Schreiben, Versemachen und Predigen ganz im Sinne und in Nachahmung ihrer großen Vorbilder, die sie freilich niemals erreichen konnten? Ich weiß wohl, daß eine barbarische Periode eintrat, und ein Versuch, sich von diesen Mustern loszureißen, denen man gleich zu werden verzweifeln mußte. Aber was war es denn nun? Ein sklavisches Nachkriechen hinter den rohen Engländern her, die noch niemals einen klaren und heitern Blick in die Welt thun konnten, sondern bei denen Hypochonderie und Lebensüberdruß die Stelle des Tiefsinns vertreten müssen. Angebetet, abgeschrieben, nachgeahmt, und das schlechte Muster übertrieben, wurde nun wieder. Von einem Ende des Landes zum andern erschallte jetzt diese Lehre, und man unterschied nicht einmal das Bessere vom Schlechteren. Wo ist denn also jemals das Originale, wirklich Nationale hervorgetreten? Ich bin überzeugt, daß der Deutsche nichts Selbstständiges ist, daß, wenn es so fortgeht, die Zeit vielleicht nicht mehr fern ist, wo er beim vergessenen und abergläubischen Spanier bettelt, dessen weggeworfene Brosamen aufhascht, und aus dessen wurmzernagten Kruzifixen und Idolen sich seine Götterbilder schnitzt, vor denen er dann wieder in rohem, schnell entschwindendem Fanatismus eine Zeitlang kniet. –
Ich bewundere noch mehr diese scharfe Art sich auszudrücken, sagte Kronenberg sehr geschmeidig, als die Masse von Kenntnissen, die ein so kühnes Urtheil, meine gnädigste Frau, bei Ihnen voraussetzt.
Sie scheinen auch der Meinung zu seyn, war die Antwort der Dame, daß es den Frauen unmöglich sei, verständig zu werden, und freilich, wenn man alle die Einrichtungen betrachtet, welche die Männer getroffen haben, um uns in der Unmündigkeit zu erhalten, so ist es nicht sonderlich zu verwundern, wenn die meisten Individuen meines Geschlechts zeitlebens kindisch bleiben, besonders da sie nur durch diese halb natürliche, halb affektirte Niaiserie den Männern gefallen. Im Alter sieht dies Wesen freilich um so betrübter aus, und es entschließen sich alsdann auch die meisten ziemlich kurz, sich geradezu in Drachen oder Betschwestern zu verwandeln: wenn die Schlimmsten es sogar zu der Virtuosität bringen, diese beiden Thiergattungen mit einander zu vereinigen.
Unvergleichlich! rief Kronenberg aus.
Heuchelt nur und schmeichelt euch! murrte der alte Herr auf sein Buch niedergebückt.
Ich hoffe, fuhr die gnädige Frau fort, Sie gehören nicht zu diesen Männern, deren eigne Armseligkeit die Frauen noch armseliger haben will, damit sie sich vor diesem Spiegel nicht zu schämen brauchen. Ich würde nicht meine Ueberzeugung gegen Sie aussprechen, wenn ich Sie nicht für eine Ausnahme hielte. Erinnere ich mich doch auch von ehemals, wie sehr wir in Bewunderung jener Nation übereinstimmten, die sich jetzt mit Recht die große nennt, die es nunmehr fühlt, daß sie es ist, die Europa gebildet hat und in Zukunft erst noch zu einem gesitteten Welttheil machen wird; denn was ist wohl geschehen, erfunden, eingerichtet, gedacht (wenn es irgend der Beachtung würdig ist), was die neuere Welt nicht ihr zu danken hätte?
Der Mensch, liebe Mutter, ändert sich aber zuweilen, sagte der Sohn lächelnd, und ich weiß nicht, in wie fern wir beide noch mit unserm Freunde übereinstimmen werden.
Das wäre schwächer als schwach, rief sie aus: denn es bewiese, daß Ihre frühere Ueberzeugung keine wahre, sondern nur angeflogene Nachbeterei gewesen wäre, und ich habe Ihr Genie und Ihren wahrhaft gebildeten Geist immer viel zu hoch gestellt, als daß ich mir auch nur den entferntesten Verdacht solcher Art gegen Sie erlauben dürfte.
Jetzt stand der Herr von Wildhausen auf, schloß sein Buch und begab sich an den Tisch. Er verneigte sich nur nachlässig gegen Kronenberg, schenkte sich ein großes Glas Rheinwein ein, erhob es und rief: die Gesundheit des Verfassers von jenem Buche! Ja, hätten wir mehr dergleichen, gebräche es nicht an Muth und Originalität, so würden wir es bald weiter gebracht haben. Denn das, mein verehrter Eheschatz, ist die Hauptsünde meiner Landsleute, daß wir uns immer noch schämen, dumm zu seyn: damit kirren uns in- und ausländische Narren, und wissen uns alle mögliche Thorheiten und Fratzen um den Nacken zu werfen, weil sie uns weiß machen können, es sei Klugheit und Witz, in dergleichen Sattel- und Zaumzeuge zu wandeln: ihnen zu gefallen werfen wir so oft das Beste unsrer Sitten und Einsichten weg, weil sie uns persuadiren können, es sei altfränkische, kurzsichtige Dummheit. Gerade so, wie man ehemals die Wilden behandelte, die um Gold einen einfältigen Spiegel eintauschten. Sie, der junge Freund meines Sohnes, so wie mein Sohn selbst, werden noch einmal mit Thränen aus dem Schutt graben wollen, was sie jetzt mit Lachen unter die Füße treten, denn meine verehrte Gattin wird alsdann hoffentlich schon mit mir zu den Ahnen versammelt seyn, von wo wir dann vielleicht durch ein heimliches Fenster mit etwas himmlischer Gelassenheit auf die kleine Nation und die ungeheuer große Confusion herunter schauen können.
Wer mit Ihnen stritte! sagte höhnisch die Dame. Wer nicht logisch folgern und noch weniger dialektisch unterscheiden kann, sollte doch ein für allemal das Disputiren aufgeben.
Auf Ihre Gesundheit! rief der Hausherr, indem er ein noch größeres Glas ausleerte; o Himmel, welche Kraft und robuste Natur gehört dazu, alles dies über-oder unterirdische Zeug so zu Gebote zu haben, wie es immer zu Ihrem Kommando bereit steht. Mein Kopf und Geist sind freilich anders eingerichtet, denn entweder beide müßten von dem aufbrausenden Gebräue bersten, oder sie müßten es so verdauen, daß es mir nicht immer und zu so unpassenden Zeiten auf die Zunge käme.
Die Gemahlin wurde roth vor Zorn und der Sohn verlegen; Kronenberg, um die zu ängstliche Stille zu unterbrechen, fragte: darf man nicht wissen, was es für ein Buch war, was Sie so eben lasen?
Gewiß, rief sie aus, jener maussade Autor, der sich an einen Gegenstand und an einen Charakter gewagt hat, die ihm viel zu erhaben sind, und der seinen Mangel an Einsicht recht breit mit deutscher Plattitüde zudeckt. Sonderbar! daß die Fremden ein bezeichnendes Wort für etwas haben, das bei uns eigentlich nur zu Hause ist! wir haben keinen Namen für diese unsre Nationaltugend, aber freilich, wir bemerken auch gar nicht einmal, daß dergleichen einen Tadel zulassen möchte, und taufen es Patriotismus, Biederkeit, Treue, und nach Gelegenheit deutschen Sinn und selbst Liebenswürdigkeit.
Der Alte war aufgestanden, um das Buch herbei zu holen. Sehn Sie, sagte er, den Titel aufschlagend, dies herrliche Werk ist es, welches Sie, mein junger Herr von Kronenberg, wohl lesen und studieren sollten, wenn Ihre poetische Ader Ihnen dazu Ruhe und Einsicht ließe. Da könnten Sie lernen und von falscher Bewundrung zurück kommen.
Und den bessern Geist tödten, rief die Dame des Hauses.
Streiten wir nicht, sagte Kronenberg, ich kenne das Buch und führe es mit mir.
In der That? rief der Alte; – und wer möchte wohl der Verfasser seyn? Mich wundert nur, daß es nicht schon verboten ist, da der fremde Einfluß in unserm Vaterlande nun gar zu mächtig wirkt. Auch soll sich der Verfasser nur in Acht nehmen.
Kronenberg zögerte ein Weilchen, doch dann rückte er mit dem Bekenntnisse heraus, welches er seinem Freunde Freimund schon gethan hatte, daß eben Niemand anders, als er selber das berufene und freilich ziemlich gefährliche Werk geschrieben habe.
Wie? riefen alle zugleich im größten Erstaunen, und da das Mahl so eben geendigt war, so entfernte sich die Dame des Hauses mit einer kurzen Verneigung und einem höhnischen Lächeln: der Alte aber riß den jungen Mann stürmisch an seine Brust und rief wie begeistert: soll es mir so wohl werden, den edlen Deutschen kennen zu lernen, der es in unsrer armseligen Zeit gewagt hat, so dreist diese große Wahrheiten zu sagen? Und Sie, Sie sind es, junger Mann? Vergeben Sie mir alles, was ich gegen Sie nur jemals gesprochen oder gedacht. Morgen werden wir uns wieder sehn und näher kennen lernen.
Als Kronenberg wieder auf dem Zimmer seines jungen Freundes war, sagte dieser zu ihm: so viel ich Dir, theurer Ferdinand, auch immer zugetraut habe, so hatte ich doch niemals ein solches Werk von Dir erwarten können, das ich, so sehr es auch allen meinen Ansichten widerspricht, hoch stellen muß. Und wie hast Du nur selbst so schnell Dein politisches Glaubensbekenntniß geändert?
Lassen wir das jetzt, sagte Kronenberg, mich freut es, daß durch diese Veranlassung Dein Vater eine bessere Meinung von mir bekommen hat. Du ließest heut ein Wort über ihn fallen. Wäre es nun nicht möglich, daß er zur Verbesserung meiner Umstände mitwirkte?
Karl lachte laut, dann sagte er verlegen: vergieb, wenn mich dieser Gedanke komisch überraschte, und wenn ich gezwungen bin, als Sohn die Schwachheiten meiner Eltern ins Licht zu stellen. Hättest Du Dich nicht durch Deine unvermuthete Autorschaft jetzt bei meiner Mutter auf Lebenszeit verhaßt gemacht, so wäre Dein Gedanke ausführbar gewesen, wenn Dir mein Vater auch nicht diese Freundschaft erwiesen und Ehrenerklärung gethan hätte.
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