Jetzt aber hast Du es eigentlich mit beiden verdorben. Der alte Herr ist immer nur so heroisch in Gegenwart von Fremden, weil er voraussetzt, daß die Frau des Hauses sich alsdann mäßigen wird; er weiß aber auch schon vorher, daß er in der Einsamkeit des Schlafzimmers seinen Patriotismus und Uebermuth büßen muß, er wird dann um so tiefer gedemüthigt, als er sich erst von Deutschheit und Wein begeistert erhob. Du wirst morgen Zeuge seyn, wie er um so ängstlicher als Flehender da kriecht, wo er heut als Herr tyrannisirte, und von dieser schwachen Inkonsequenz, die sich alles gefallen läßt, so sehr sie auch zu Zeiten poltert, hat meine Mutter hauptsächlich ihre Ansicht vom deutschen Charakter abstrahirt. Also kannst Du Dir wohl denken, wie sehr sie ihn bewachen wird, damit er nichts für Dich thue, und wir können froh seyn, wenn er Dich nicht geradezu verfolgt und einen Streit vom Zaun bricht, um sich bei seiner Gattin wieder in Gunst und Ansehn zu setzen.

Als Kronenberg zu diesen sonderbaren Eröffnungen seufzend den Kopf schüttelte, fuhr der Freund fort: lassen wir das: ich habe an Dich eine Bitte von der größten Wichtigkeit. Du willst, wie ich weiß, weiter reisen: wenn Du gehst, so nimm Deinen Weg über das Gut Neuhaus, zehn Meilen von hier, das Dir schon bekannt ist. Dort wirst Du die Tochter des Hauses kennen lernen. Sie ist der Inhalt aller meiner Wünsche; aber mein Vater ist starr und unerbittlich dieser Verbindung entgegen, und meine Mutter giebt ihm hierin nach, weil sie vor Jahren einmal von der Familie beleidigt wurde. Dein Wort gilt aber jetzt bei meinem Vater so viel, daß ein empfehlender Brief, eine vortheilhafte Schilderung gewiß Alles zu meinem Besten wird thun können.

Kronenberg schied mit dem Versprechen, den Versuch zu machen, und begab sich zur Ruhe.

 

Es zeigte sich am folgenden Mittage, wie sehr der junge Wildhausen in seiner Schilderung die richtigen Farben gewählt hatte. Die gnädige Frau war sehr hochfahrend, kurz, und bemühte sich gar nicht, ihre Verstimmung zu verbergen; der Herr des Hauses war so scheu und demüthig, daß er kaum die Augen aufzuschlagen wagte, und eben so, wie jedes lauten Wortes, enthielt er sich auch heute des Weins. Es wollte sich keine Veranlassung finden, daß die Dame ihren Unmuth hätte auslassen können; nur als der Bediente Zeitungen und Broschüren herein brachte, rief sie mit einem gellenden Ton: tragt das Zeug alles sogleich wieder fort! Ich bin es endlich überdrüßig, so einfältigen Plunder in meinem Hause herum liegen zu sehn, in welchem der größte Mann der neuern Jahrhunderte so armselig gemißhandelt wird! Wenn die französischen Blätter kommen, so bringt sie mir! – Herr von Wildhausen sah mit wehmüthig kläglichem Blicke dem Diener nach, und schickte ein verschämt bittendes Auge hinter ihm drein, wagte aber kein Wort, um seine Lieblingslektüre zu retten. Ja auch jenes gestern so hoch gepriesene Werk war nicht zu erblicken, und die Vermuthung Karls, daß die despotische Laune der Mutter es wohl verschlossen halten möchte, schien sich zu bestätigen. Es herrschte oft Stille am Mittagstische; denn die Erzählungen des Sohnes, noch weniger aber die Scherze und Anekdoten, welche Kronenberg wagte, fanden Beifall oder Unterstützung. Als man sich vom Tische erhob, entfernte sich die gnädige Frau sogleich, und indem der alte Herr mit gesenkten Blicken folgte, stieß er im Vorbeigehn an Kronenberg, und flüsterte: kommen Sie in einem Viertelstündchen auf mein Zimmer! – Die beiden jungen Freunde machten indeß einen Spaziergang durch den Garten.

Nach kurzer Zeit ging Kronenberg, der sich der Hausordnung schon fügen lernte, mit leisen Schritten nach der Stube des Herrn von Wildhausen. Er fand den alten Mann noch immer verlegen, der in seinen Papieren kramte, und sich ängstigte, wie er seine Rede anfangen sollte. – Tugend wird nicht immer erkannt, mein theurer junger Freund, – so stotterte er endlich, – und ich werde auch oft nicht verstanden. Der Mensch ist ein schwaches Wesen. Wenn ich meinem Gemüth folgen dürfte, – indessen – wer weiß – in Zukunft – ich höre, daß Sie in Verlegenheit sind, und leicht an Ihrer vorhabenden Reise gehindert werden könnten. Ist es mir nicht möglich, alles für Sie zu thun, was ich wünsche, so nehmen Sie wenigstens dies Darlehn, das Sie mir nach Ihrer Bequemlichkeit in bessern Zeiten zurückzahlen können. –

Mit diesen Worten überreichte er ihm einen Beutel mit zweihundert Goldstücken. Und, fuhr er fort, ein Andenken müssen Sie von mir annehmen; ich dachte erst, Ihnen meine Equipage – aber es sind – kurz, ich gebe Ihnen ein treffliches, gut gerittenes Pferd, das mir nur etwas zu muthig ist. In der Jugend und bei fester Gesundheit, wie die Ihrige, ist dies die angenehmste Art zu reisen.

Sie beschämen, Sie überhäufen mich, sagte der junge Mann.

Ohne Umstände, eiferte der Alte, – denn meine Frau ängstigt sich auch um dieses Thier, weil es uns allen zu wild ist. Glauben Sie aber nicht, daß ich so ganz ohne Eigennutz handle. Ich habe eine große Bitte an Sie, durch deren Erfüllung Sie mich sehr verpflichten, und wenn Ihnen die Sache gelingt, die ich wünsche, so machen Sie mich wahrhaft glücklich.

Nennen Sie Ihre Wünsche.

So lange es Ihnen bei uns gefällt, sind Sie mir der willkommenste Gast; aber wenn Sie abreisen, erzeigen Sie mir die Freundschaft, über Neuhaus zu gehen. Dort werden Sie eine Familie sehn, die aus den widerwärtigsten Mitgliedern besteht, die die Einbildung nur ersinnen könnte; am gehässigsten aber ist die Tochter des Hauses, ohne Grundsätze, eitel, kokett, allem Guten, vorzüglich allen deutschen Gesinnungen abhold, und Vater, Mutter, Sohn und Tochter bilden ein Nest von ausgemachten Atheisten, denen nichts höher steht, als Voltaire, Diderot, und die traurige Gesellschaft jener jetzt fast schon fast veralteten Freigeister. Mein Sohn ist in das Mädchen vernarrt, und denkt es durchzusetzen, sie mir als Schwiegertochter ins Haus zu bringen. Muß ich einmal nachgeben, so zieh' ich auf meine alten Tage noch in die Fremde. Lernen Sie die Leute kennen, und rathen Sie dann meinem Sohn, auf den Sie so viel vermögen, mit vollem Herzen ab. Sprechen Sie mit dem Vater dort, der vielleicht Vernunft annimmt, und legen Sie ihm unverholen auf eine seine Weise meinen Widerwillen dar. – Nach dieser Rede umarmte der alte Mann den jungen Freund herzlich, und fügte dann gerührt hinzu: und nun beschwöre ich Sie noch, mit väterlichem Wohlwollen, gestehn Sie nicht mit so edler Offenherzigkeit, daß Sie der Verfasser jenes merkwürdigen Buches sind. Wir sehen trüben Zeiten entgegen.