Er stählte sich gegen sein Unglück. „Fahrt fort!“ hatte er zum drittenmal seinen Schauspielern, den Sprechmaschinen, zugerufen; dann schritt er mit großen Schritten vor der Marmortafel vorüber und faßte den Gedanken, auch seinerseits sich in der Luke der Kapelle zu zeigen, wäre es auch nur, um das Vergnügen zu haben, dem undankbaren Volk eine Fratze zu schneiden. – Aber nein, dachte er, das wäre meiner unwürdig; keine Rache! Kämpfen wir bis ans Ende! Groß ist der Einfluß der Poesie aufs Volk; ich führe es mir zurück! Sehen will ich, wer den Sieg gewinnt, die Fratzen oder die schönen Künste.
Ach, er war der einzige Zuschauer seines Stückes geblieben! Es war ihm noch schlimmer ergangen; denn er sah nur noch die Rücken. Aber nein, auch der ungeduldige dicke Mann, den er schon einmal im kritischen Augenblick um Rat fragte, stand mit dem Gesicht gegen die Bühne.
Gringoire ward im Grunde seines Herzens über die Treue seines einzigen Zuschauers gerührt. Er ging auf ihn zu, schüttelte ihn sacht am Arm, ihn anzureden; der brave Mann hatte sich nämlich auf das Geländer gestützt und schlief ein wenig. „Herr“, sagte Gringoire, „ich danke Euch!“ – „Wofür?“ fragte der dicke Mann gähnend. – „Ich sehe, was Euch langweilt“, begann der Dichter aufs neue; „der Lärm da hindert Euch, gemächlich zuzuhören. Beruhigt Euch. Euer Name soll dafür auf die Nachwelt kommen; beliebt es Euch, mir ihn zu nennen.“ – „Renauld Chateau, Siegelbewahrer des Châtelet von Paris, Euch zu dienen.“ – „Hier seid Ihr der einzige Repräsentant der Musen.“ – „Zu gütig, Herr.“ – „Ihr seid der einzige, der das Stück, wie es sich geziemt, gehört hat. Wie findet Ihr es?“ – „Oh, Oh!“ erwiderte die nur zur Hälfte erwachte Magistratsperson, „recht hübsch, in der Tat.“
Gringoire mußte sich mit diesem Lob begnügen; denn ein Donner des Beifalls, durchmischt mit wunderbarem Zuruf, durchschnitt ihr Gespräch. Der Narrenpapst war gewählt. – „Bravo!“ rief das Volk von allen Seiten, und wirklich strahlte eine wunderbare Fratze in dem Augenblick aus der Fensterluke. Nach allen fünfeckigen, sechseckigen, unregelmäßigen Gesichtern, welche in der Luke aufeinander gefolgt waren, ohne das Ideal des Grotesken, das sich in der trunkenen Einbildungskraft des Volkes gebildet hatte, zu verwirklichen, konnte nur eine so erhabene Fratze, welche die Versammlung jetzt blendete, alle Stimmen vereinigen. Meister Coppenole selbst klatschte Beifall, und Clopin Trouillefou, der ebenfalls ein Mitbewerber war (Gott weiß, wie hohen Grad der Häßlichkeit sein Gesicht erreichen konnte), gestand ein, er sei besiegt. Wir tun dasselbe und wollen es nicht versuchen, dem Leser von jener viereckigen Nase, dem verzogenen Mund, dem kleinen linken Auge mit roten struppigen Brauen, während das rechte unter einer ungeheuren Warze verschwand, eine Vorstellung zu geben. Die Zähne ragten hier und da, wie die Zinnen einer Festungsmauer, hervor; die Lippe war schwielig, und ein Zahn drängte sich hinein, gekrümmt wie der eines Elefanten; das Kinn war gabelförmig und der ganze Ausdruck des Gesichts ein Gemisch von Bosheit, Erstaunen und Trauer. Ist es möglich, so denke man sich dies alles in einem.
Der Zuruf war allgemein; man stürzte in die Kapelle und führte den glücklichen Narrenpapst im Triumph heraus. Aber da stieg Erstaunen und Bewunderung aufs höchste; denn die Fratze war ein Gesicht oder vielmehr die ganze Person war eine Fratze. Ein dicker, von roten Haaren starrender Kopf; zwischen beiden Schultern ein ungeheurer Höcker, dessen Rückwirkung vorn bemerklich war; ein System von so sonderbar gedrehten Hüften und Beinen, daß sie sich nur an den Knien berühren konnten und von vorn gesehen zwei gekreuzten Sicheln glichen, die in einer Faust gehalten werden; breite Füße, ungeheure Hände und bei aller dieser Entstellung ein furchtbar kräftiger, mutiger und behender Gang; eine sonderbare Ausnahme von dem ewigen Gesetz, wonach Kraft wie Schönheit aus Harmonie entspringt. Dies war der Papst, den die Narren sich wählten. Man konnte ihn für einen zerbrochenen und schlecht wieder zusammengefügten Riesen halten.
Als diese Zyklopenart auf der Schwelle der Kapelle erschien, als er unbeweglich, untersetzt, ebenso breit wie groß, viereckig auf der Basis, wie ein großer Mann sagt, dastand, erkannte ihn das Volk sogleich an seinem halb roten, violetten Oberkleid, das mit silbernen Glocken durchstrickt war, besonders aber an seiner vollkommenen Häßlichkeit, und rief einstimmig: „Das ist Quasimodo, der Glöckner! Quasimodo, der Bucklige von Notre-Dame! Quasimodo, der Einäugige! Quasimodo, der Krummbeinige!“
Man sieht, der arme Teufel brauchte nur unter seinen Spitznamen zu wählen. „Schwangere Weiber, nehmt euch in acht!“ riefen die Studenten; „oder alle, die ihr Luft habt, es zu werden“, meinte Johannes. Die Frauen verhüllten sich wirklich das Gesicht. „Oh, der häßliche Affe!“ sagte eine. – „So boshaft wie häßlich“, meinte eine andere. – „Es ist der Teufel“, fügte eine dritte hinzu. – „Unglücklicherweise wohne ich neben Notre-Dame; ich höre des Nachts, wie er auf den Dachtraufen herumklettert.“ – „Ja, mit den Katzen.“ – „Er klettert immer auf unsern Dächern.“ – „Wirft uns Steine durch den Kamin.“ – „Gestern schnitt er mir ein Gesicht durch meine Luke; ich erschrak, denn ich glaubte, es wäre ein Mensch.“ – „Oh gewiß, er schwärmt mit dem Teufel. Gestern ließ er einen Besen auf dem Blei meines Daches liegen.“ – „Oh, das scheußliche Gesicht des Verwachsenen!“ – „Oh, die häßliche Seele!“ – „Pfui!“ –
Die Männer dagegen waren entzückt und klatschten Beifall. Quasimodo, die Ursache des Lärms, stand düster und ernst im Tore der Kapelle und ließ sich bewundern. Ein Student (Robin Poussepain, wenn ich nicht irre) lachte ihm ins Gesicht und ging zu nahe auf in zu.
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