Du mußt eine Landstreicherin oder den Strick heiraten.“
Gringoire atmete wieder auf. Zum zweitenmal kehrte er seit einer halben Stunde zum Leben zurück. Doch wagte er noch nicht, auf seine Rettung zu vertrauen.
„Hollah!“ rief Clopin, als er seine Tonne wieder bestiegen hatte, „ihr Frauen und Mädchen! Ist eine Landstreicherin unter euch, von der Hexe bis zur Katze, die diesen Landstreicher will? Hollah, Colette la Charonne, Elisabeth Trouvain, Simone Joudouyne! Marie Piédebou, Thonne, Berade, kommt und schaut! Ein Mann für nichts! Welche will ihn haben?“
Gringoire erweckte in seinem elenden Zustande keine Begierden. Die Landstreicherinnen wurden durch den Vorschlag eben nicht gerührt. Der Unglückliche hörte, wie sie erwiderten: „Nein, nein! Ihr könnt ihn hängen zum Vergnügen für alle!“
Drei kamen indessen aus dem Haufen heraus, ihn zu beschnüffeln. Die erste war ein dickes Mädchen mit viereckigem Gesicht. Sie untersuchte aufmerksam das beklagenswerte Wams des Philosophen. Es war abgenutzt und mehr durchlöchert als ein Sieb, Kastanien zu rösten. Das Mädchen schnitt eine Fratze. – „Altes Tuch!“ murmelte sie. „Wo hast du deinen Mantel?“ – „Verloren.“ – „Deinen Hut?“ – „Man hat ihn mir genommen.“ – „Deine Schuhe?“ – „Sind fast ohne Sohlen.“ – „Deine Börse?“ – „Ach, ich habe keinen Heller.“ – „Laß dich hängen und danke.“ – Die Landstreicherin wandte ihm den Rücken.
Die dritte war ein junges, recht frisches und eben nicht häßliches Mädchen. „Rettet mich!“ flehte leise der arme Teufel. Sie betrachtete ihn mit mitleidvollem Ausdruck, schlug in ihren Rock eine Falte und stand unentschlossen da. Er folgte mit den Augen allen ihren Bewegungen; es war sein letzter Hoffnungsschimmer. – „Nein“, sagte endlich das junge Mädchen, „Guillaume Longuejoue würde mich prügeln“, und trat in den Kreis zurück.
„Kamerad“, sagte Clopin, „du hast Unglück.“ Dann stand er auf, und indem er zum allgemeinen Vergnügen den Ton eines Gerichtsdieners bei einer Auktion nachahmte, rief er aus: „Niemand will ihn? Zum ersten, zum zweiten und zum dritten Male?“ Dann nickte er dem Galgen zu und sagte: „Zugesprochen.“
Die drei unheilvollen Landstreicher traten an Gringoire heran. In dem Augenblick entstand unter den Kauderwelschen ein Geräusch. „Die Esmeralda“, hieß es. Gringoire zitterte und wandte sich nach der Seite, woher der Ruf kam. Der Kreis öffnete sich vor einer reinen und blendenden Gestalt. Es war die Zigeunerin. „Die Esmeralda!“ sagte Gringoire, bei aller seiner Aufregung über die sonderbare Weise erstaunt, wie sich dieses magische Wort mit allen seinen Erinnerungen des Tages verknüpfte.
Das seltene Geschöpf schien selbst im Hofe der Wunder durch Schönheit und Reize zu herrschen. Landstreicher und Landstreicherinnen standen schweigend, als sie vorbeiging, und es milderten sich ihre rohen Gesichter.
Sie nahte sich leichten Schrittes dem Verurteilten. Ihr folgte die hübsche Djali. Gringoire war eher tot als lebendig. Einen Augenblick betrachtete sie ihn schweigend. „Ihr wollt den Mann da hängen?“ fragte sie Clopin mit ernster Stimme. – „Ja, Schwester, wenn du ihn nicht zum Manne nimmst.“
– Sie schnitt das kleine, hübsche Mäulchen mit der Unterlippe. „Ich nehme ihn“, sagte sie.
Gringoire glaubte fast, er habe nur geträumt, und dies sei eine Fortsetzung seines Traumes. Man band die Schlinge los und ließ den Dichter von dem Fußschemel heruntersteigen. Er mußte sich setzen, so lebhaft war seine Aufregung.
Der Zigeunerherzog brachte, ohne ein Wort zu sagen, einen irdenen Krug.
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