Die Zigeunerin reichte diesen dem Dichter.

„Werft ihn zu Boden“, sprach sie. Der Krug zerbrach. „Bruder“, sagte hierauf der Zigeunerherzog, indem er beiden die Hände auf die Stirn legte, „sie ist dein Weib; er ist dein Mann. Auf vier Jahre. Geht.“

12. Die Brautnacht

Nach einigen Augenblicken befand sich unser Dichter in einer kleinen, warmen gotischen Kammer; er hatte Aussicht auf ein gutes Bett, und war allein mit einem hübschen Mädchen. Das Abenteuer war beinahe zauberhaft. Gringoire fing auch wirklich an, sich für den Helden eines Feenmärchens zu halten. Von Zeit zu Zeit ließ er den Blick umherschweifen, als suchte er den von zwei geflügelten Chimären gezogenen Feuerwagen, der allein ihn so schnell vom Tartarus in das Paradies hätte entrücken können. Hin und wieder heftete sich auch sein Blick auf die Löcher seines Wamses, um sich an die Gegenwart zu klammern und sie durchaus nicht aus dem Gesichte zu verlieren. Seine Vernunft, mit der die Einbildungskraft Ball spielte, hing nur an diesem dünnen Faden.

Das Mädchen schien nicht auf ihn zu achten; sie ging, kam, rückte an seiner Fußbank, schwatzte mit ihrer Ziege und schnitt dann und wann ihr Mäulchen. Endlich setzte sie sich an den Tisch, und Gringoire konnte sie gemächlich betrachten. Das ist also, dachte er, die Esmeralda! Ein himmliches Geschöpf! Eine Straßentänzerin! Heute morgen gab sie meinem Mysterium den Gnadenstoß, und heute abend rettete sie mir das Leben. – Mein böser Genius und mein guter Engel. Ein schönes Weib, auf mein Wort. Sie muß in mich vernarrt sein, weil sie mich so zum Manne nahm. – So, so, mir fällt was ein, dachte er plötzlich mit dem Gefühl für das Wahre, das die Grundlage seiner Philosophie und seines Charakters bildete, ich weiß nicht recht, wie es geschah, aber ich bin ja ihr Mann. Mit diesem Gedanken im Kopfe nahte er dem jungen Mädchen auf so galante Weise, daß diese zurückfuhr: „Was wollt Ihr?“ fragte sie.

„Könnt Ihr mich noch fragen, anbetungswürdige Esmeralda!“ erwiderte Gringoire mit so leidenschaftlichem Tone, daß er selber erstaunte, sich so reden zu hören.

Die Zigeunerin schlug ihre großen Augen auf. – „Ich weiß nicht, was Ihr wollt.“ – „Nun“, erwiderte Gringoire immer mehr erhitzt; denn er dachte nur mit einer Tugend aus dem Hofe der Wunder zu tun zu haben. „Bist du nicht mein, süße Geliebte, bin ich nicht dein?“ Und mit diesen Worten umfaßte er ganz ohne Zwang ihre schlanken Hüften. Das Kleid der Zigeunerin glitt durch seine Hand, wie die Haut eines Aales. Mit einem Sprunge war sie von einem Ende der Kammer in dem andern, bückte sich, richtete sich wieder auf und hielt einen kleinen Dolch in der Hand, bevor Gringoire Zeit gehabt hatte, zu sehen, woher der Dolch gekommen war. Sie stand da, gereizt und stolz mit aufgeworfenen Lippen, mit geblähten Nasenlöchern, mit Wangen dunkelrot wie ein Apfel; ihre Augen funkelten von Blitzen. Zugleich stellte sich die weiße Ziege vor ihn hin, und bot Gringoire die Stirn zum Kampfe, zwei artige, vergoldete und sehr spitze Hörner. Alles dies geschah in einem Augenblick.

Unser Philosoph stand verlegen da und wandte den stumpfen Blick von dem Mädchen auf die Ziege und umgekehrt. – „Heilige Jungfrau“, sprach er endlich, als die erste Überraschung vorüber war, so daß er wieder sprechen konnte, „das sind zwei Gaunerinnen!“

Die Zigeunerin brach das Schweigen ebenfalls. „Du mußt ein sehr kühner Schelm sein“, sagte sie.

„Verzeihung“, sagte Gringoire lächelnd, „warum nahmt Ihr mich denn zum Manne?“ – „Durfte ich dich hängen lassen?“ – „Also“, erwiderte der Dichter, hinsichtlich seiner Liebeshoffnung ein wenig enttäuscht, „dachtet Ihr an nichts anders, als mich vom Galgen zu retten?“ – „Woran sollt’ ich sonst gedacht haben?“ – Gringoire biß sich auf die Lippen. Nun, dachte er, ich bin als Cupido doch nicht so siegreich, wie ich glaubte. Doch weshalb zerbrach sie denn den armen Krug? Unterdes waren Esmeraldas Dolch und die Hörner der Ziege noch immer zur Verteidigung bereit.

„Fräulein Esmeralda“, begann der Dichter endlich, „ich schwöre Euch bei meinem Anteil am Paradiese, ich will Euch ohne Erlaubnis nicht näher treten; aber gebt mir zu essen.“

Im Grunde war Gringoire in Angelegenheiten der Liebe, wie in allen andern, für das Zeitnehmen und die halben Maßregeln. Ein gutes Abendessen, ein liebenswürdiges Zusammensitzen schien ihm, besonders wenn er Hunger fühlte, ein trefflicher Zwischenakt zwischen dem Prolog und der Entwicklung einer Liebesangelegenheit.

Die Zigeunerin erwiderte nichts.