Viele niedrige Tafeln, um welche rings herum ein wohl gepolsterter Sofa sich zog, standen mit feinem schneeweißen Leinen gedeckt, welches mit einem breiten Saume von zierlichem Stickwerk eingefaßt war. Die Mitte des Saals wimmelte von jüngern und ältern Personen beiderlei Geschlechts, die ihn mit einem offnen gutherzigen Gesicht empfingen, und ihn insgesamt durch die edle Schönheit ihrer Gestalt und Bildung, und durch einen über ihr ganzes Wesen ausgegossenen Ausdruck von Güte und Fröhlichkeit in die angenehmste Überraschung setzten. In einer Ecke stand ein schöner Brunnen, wo eine Nymphe, an einem mit Schasmin bewachsenen Felsenstücke auf Moos liegend, aus ihrer Urne kristallhelles Wasser in ein Becken von schwarzem Marmor goß. Der ganze Saal war mit großen Blumenkränzen behangen, die von etlichen jungen Mädchen von Zeit zu Zeit mit frischem Wasser angespritzt wurden. Alles dies zusammen genommen machte einen sehr angenehmen Anblick; aber es war nicht das Schönste, was sich seinen Augen in diesem bezauberten Orte darstellte. Ein ehrwürdiger Greis, mit silberweißen Haaren, lag, in der Stellung einer gesunden und vergnüglichen Ruhe nach der Arbeit, auf dem obersten Platze des Sofas; ein Greis, wie der gute Emir weder jemals einen gesehen, noch für möglich gehalten hatte daß es einen solchen geben könnte. Munterkeit des Geistes glänzte aus seinen noch lebhaften Augen; achtzig Jahre eines glücklichen Lebens hatten nur schwache Furchen auf seiner heiter ausgebreiteten Stirne gezogen, und die Farbe der Gesundheit blühte gleich einer späten herbstlichen Rose noch auf seinen freundlichen Wangen. ›Dies ist unser Vater‹, sagten einige junge Personen, die den Emir umgaben, indem sie ihn an der Hand zum Sitze des Alten hinführten.
Der Alte stand nicht auf, machte auch keine Bewegung als ob er aufstehen wollte; aber er reichte ihm die Hand, drückte des Emirs seine mit einer Kraft, welche diesen in Erstaunen setzte, und hieß ihn sehr leutselig in seinem Hause willkommen sein. Aber gleichwohl (sagt mein Autor) sei in dem ersten Blicke, den der Greis auf den Emir geworfen habe, unter den leutseligen Ausdruck der gastfreien Menschenfreundlichkeit etwas gemischt gewesen, welches den Fremden betroffen gemacht habe, ohne daß er sich selbst habe erklären können wie ihm sei. Der Alte hieß ihn Platz an seiner Seite nehmen« –
»Ich habe versprochen, dich nicht zu unterbrechen, Doktor«, sagte der Sultan: »aber ich möchte doch wissen, was in den Blick des Alten gemischt sein konnte, daß es eine solche Wirkung auf den Emir machte?«
»Gnädigster Herr«, versetzte Danischmend, »ich muß Ihrer Majestät bekennen, daß ich diese Geschichte aus einem neuern griechischen Dichter genommen habe, der vermutlich, nach der Weise seiner Zunftgenossen, etwas von dem Seinigen zur Wahrheit hinzu tut, um seine Gemälde interessanter zu machen. ›Es war ein freundlicher Blick‹, sagt er, ›aber mit einem kleinen Zusatze von etwas, das weder Verachtung noch Mitleiden, sondern eine sanfte Mischung von beiden war. Es war‹, fährt er fort, ›der Blick, mit welchem ein Freund der Kunst die gestümmelte Bildsäule eines Praxiteles ansieht, mit etwas von dem zürnenden Verdruß untermischt, womit dieser Liebhaber den Goten ansehen würde, der sie gestümmelt hätte.‹«
»Das Bild ist fein, und gibt viel zu denken«, sagte Nurmahal. »Weiter, Danischmend«, sagte der Sultan.
»Inzwischen wurde das Abendessen aufgetragen, wobei der Emir eine neue Erfahrung machte, die ihm, der so wenig gewohnt war über irgend etwas zu denken, die unbegreiflichste Sache von der Welt zu sein deuchte. Allein, eh ich mich hierüber erklären kann, seh ich mich genötigt, eine kleine Abschweifung über den Charakter dieses Emirs zu machen, der eine Hauptfigur in meiner Erzählung vorstellt, wiewohl es in der Tat nur die Rolle eines Zuschauers ist. Er war von seiner Jugend an dasjenige gewesen, was man einen ausgemachten Wollüstling nennt; ein Mensch, der keinen andern Zweck seines Daseins kannte, als zu essen, zu trinken, sich mit seinen Weibern zu ergetzen, und von so mühsamen Arbeiten sich durch eine Ruhe, welche ungefähr die Hälfte von Tag und Nacht wegnahm, zu erholen, um zu der nämlichen Beschäftigung wieder aufzuwachen. Mit dieser groben Sinnlichkeit verband er einen gewissen Stolz, der sehr geschickt war, die nachteiligen Wirkungen derselben zu beschleunigen. Er setzte ihn darein, die schönsten Frauen, die besten Weine, und die gelehrtesten Köche von ganz Asien zu besitzen: aber auch daran genügte ihm noch nicht; er beeiferte sich auch, der größte Esser, der größte Trinker, und der größte Held in einer andern Art von Leibesübung zu sein, worin er mit Verdruß den Sperling und den Maulwurf für seine Meister erkennen mußte. Wenn ein Mann das Unglück hat, bei dieser verkehrten Art von Ehrgeiz alle Mittel zu Befriedigung desselben zu besitzen, so wird man ihn bald genug dahin gebracht sehen, zu Kanthariden und Betel und andern solchen Zwangsmitteln seine Zuflucht zu nehmen. Aber die Natur ermangelt nie, sich für die Beleidigungen, die man ihr zufügt, zu rächen, und pflegt desto grausamer in ihrer Rache zu sein, je weniger Vorwand ihre Wohltätigkeit uns zu Rechtfertigung unsrer Ausschweifungen gelassen hat. Der Emir befand sich also, mit dem reinsten arabischen Blute und der stärksten Leibesbeschaffenheit, in seinem dreißigsten Jahre zu dem elenden Zustande herunter gebracht, der ein Mittelstand zwischen Leben und Sterben ist; gepeinigt durch Erinnerungen, welche sein Vergnügen hätten erhöhen sollen, und verdammt zu ohnmächtigen Versuchen, den Zorn der Natur durch die Geheimnisse der Kunst zu versöhnen, denen er die Verlängerung seines Daseins zu danken hatte. Diese gelehrten Köche, auf die er so stolz war, hatten das Ihrige getreulich beigetragen, zu gleicher Zeit seine Gesundheit zu zerstören, und die Werkzeuge seiner Empfindung abzunützen. So wie die Schwierigkeit seinen stumpfen Geschmack zu reizen zunahm, hatte sich ihr verderblicher Eifer verdoppelt, sie durch die Macht ihrer Kunst zu besiegen. Aber ihre Erfindungen hatten selten einen bessern Erfolg, als ihn den erkünstelten Kitzel etlicher Augenblicke mit langen Schmerzen bezahlen zu lassen.
Unser Emir erstaunte, an der Tafel seines betagten Wirtes die Eßlust wieder zu finden, die er Jahre lang vergebens gesucht hatte. Zwei gleich ungewohnte Dinge, eine Nüchternheit von vierundzwanzig Stunden, und die starke Bewegung, die er sich hatte geben müssen, trugen ohne Zweifel das meiste dazu bei, daß er an der Tafel der Günstlinge des Propheten im Paradiese zu sitzen glaubte. Nicht als hätte die Menge und Kostbarkeit der Speisen, oder eine sehr künstliche Zubereitung das geringste dazu beigetragen; denn es war kein größerer Überfluß da, als die Befriedigung des Bedürfnisses, und die Sorge, dem Geschmack einige Wahl zu lassen, erfoderte; und an der Zubereitung hatte die Kunst nicht mehr Anteil, als sie haben muß, um einen unverdorbenen Geschmack ohne Nachteil der Gesundheit zu vergnügen. Es ist wahr, gewisse feine Kunstgriffe waren dabei beobachtet, die entweder ihrer Einfalt wegen den gelehrten Köchen des Emirs unbekannt geblieben waren, oder vielleicht eine Aufmerksamkeit erfoderten, wozu sich diese wichtigen Leute die Mühe nicht nehmen mochten; indessen war es doch hauptsächlich bloß die natürliche Güte der Speisen, und eine Zurichtung, an welcher Avicenna selbst nichts auszusetzen gefunden hätte, was diese Mahlzeit von den prächtigen und teuern Giftmischereien fürstlicher Tafeln unterschied. Hingegen mußte sich der Emir gestehen, daß der Wein, der vielleicht so alt war als der Wirt, und die Früchte, womit die Mahlzeit beschlossen wurde, so vortrefflich waren, als die Natur beides nur unter dem glücklichsten Himmelsstriche hervorzubringen vermag.
›Ist alles dies Zauberei?‹ fragte sich der Emir alle Augenblicke; ›und was für ein alter Mann ist dies, der bei seinem schneeweißen Bart eine so frische Farbe hat, und dem Essen und Trinken so wohl schmeckt, als ob er erst itzt zu leben anfange?‹ – Er hatte alle Mühe von der Welt seine Verwunderung zurückzuhalten; aber die angenehmen Gespräche, wozu außer ihm selbst alle das Ihrige beitrugen, nebst der ungezwungenen und einnehmenden Art, womit man ihm begegnete, machten es unmöglich, die Gedanken, die in seinem Gehirne herum trieben, in einige Ordnung zu bringen.
›Koste diese Ananas‹, sagte der Alte zu ihm, indem er ihm die vollkommenste Frucht dieser Art anbot, die er jemals gesehen hatte. Der Emir kostete sie, und fand nicht Worte genug, ihren feinen Geschmack und Wohlgeruch zu erheben. ›Ich habe sie selbst mit eigener Hand gezogen‹, sagte der Alte. ›Seitdem ich zu alt bin, meine Söhne und Enkel zu den Feldarbeiten zu begleiten, beschäftige ich mich mit der Gärtnerei.
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