Hierin schien sie ihre eigene vollkommenste Befriedigung zu finden. Aber ihre Wohltätigkeit erstreckte sich nur auf den gegenwärtigen Augenblick. Ihre Sinnesart teilte sich unvermerkt der ganzen Nation mit, welches um so leichter geschehen mußte, da keine andre dem Menschen natürlicher ist. Man genoß des Lebens, und niemand dachte an die Zukunft.«

»Ich liebe diese Lili«, rief der Sultan in einem Anstoß von Lebhaftigkeit, den man seit langer Zeit nicht an ihm bemerkt hatte. »Ich muß bekannter mit ihr werden. Gute Nacht, Mirza und Danischmend! Nurmahal soll da bleiben, und mir das Bildnis der schönen Lili machen.«

 

3.

 

»Unstreitig war Vernunft in der Schutzrede, welche die alten Knaben dem Vergnügen und der schönen Lili hielten«, – sagte der Sultan, als sich seine gewöhnliche Gesellschaft des folgenden Abends in seinem Schlafzimmer versammelt hatte. »Aber ich gestehe, daß ich nicht recht begreife, was sie mit ihrer Lebensordnung sagen wollen, oder was für eine Polizei das sein soll, wodurch allen den Übeln vorgebeuget werden könnte, womit uns die schwarzgelben Sittenlehrer so fürchterlich bedräut haben. Die Sache liegt mir am Herzen. Ich denke, ich habe alles mögliche getan, um meine Völker glücklich zu machen; aber es sollte mir leid tun, wenn ich ihnen, wider meine gute Absicht, ein gefährliches Geschenk gemacht hätte.«

(»Diesen Kummer könnten Sich Ihre Majestät ersparen«, dachte Danischmend – so leise als möglich.)

»Herr Danischmend« – fuhr Schach-Gebal fort – »man ist kein Philosoph um nichts! Wie wär es, wenn deine Weisheit uns diese Sache ins Klare zu setzen belieben wollte?«

»Sire«, antwortete Danischmend, »meine Weisheit ist zu Ihrer Majestät Befehlen. Aber zuvörderst bitte ich demütig um Erlaubnis, eine kleine Geschichte erzählen zu dürfen.«

Schach-Gebal nickte ein sultanisches Ja, und der Philosoph fing also an.

»Zu den Zeiten des Kalifen Harun Al Raschid« – –

»Fi, Herr Doktor«, unterbrach ihn der Sultan, »das fängt verdächtig an! Sobald man diesen Kalifen nennen hört, kann man sich nur gleich auf Genien und Verwandlungen gefaßt halten, oder auf platte Historien von kleinen Buckligen, schwatzhaften Barbierern, und liederlichen Königssöhnchen, welche, um eine lange Reihe begangener Torheiten mit einem würdigen Ende zu krönen, sich die Augenbraunen abscheren und Kalender werden.«

»Ich stehe Ihrer Hoheit mit meinen Augenbraunen dafür«, sagte Danischmend, »daß weder Bucklige noch Kalender in meiner Erzählung vorkommen, und daß alles so natürlich darin zugehen soll, als man es nur wünschen kann.

Zu den Zeiten des besagten Kalifen also begab sich, daß ein reicher Emir aus Yemen auf seiner Rückreise von Damask das Unglück hatte, in den Gebirgen des felsigen Arabiens von Räubern überfallen zu werden, welche so unhöflich waren, sein Gefolge niederzusäbeln, und nachdem sie die schönen Frauen, die er zum Staate mit sich führte, nebst allen Kostbarkeiten, die er bei sich hatte, zu Handen genommen, sich so schnell, als sie gekommen waren, wieder ins Gebirge zurück zogen. Glücklicher Weise für den Emir war er gleich zu Anfang des Gefechtes in Ohnmacht gefallen; ein Umstand, der so viel wirkte, daß die Räuber sich begnügten, ihm seine schönen Kleider auszuziehen, und ihn, ohne sich zu bekümmern ob er wirklich tot sei, unter den Erschlagenen liegen zu lassen.«

»Herr Danischmend«, sagte der Sultan, »nicht so umständlich!

Zur Sache, wenn ich bitten darf. Der Ton, worin du angefangen hast, ist vollkommen der Ton meiner lieben Ältermutter, welche bekannter Maßen ihre eigenen Ursachen hatte, warum sie ihre Märchen in eine so unbarmherzige Länge zog.«

»Um also Ihre Majestät nicht mit Nebenumständen aufzuhalten«, fuhr Danischmend fort, »so kam der gute Emir wieder zu sich selbst, und stellte sehr unangenehme Betrachtungen an, da er sich in einem wilden unbekannten Gebirge auf einmal ohne Zelten, ohne Geräte, ohne seine Weiber und Verschnittenen, ohne Küche, und sogar ohne Kleider befand; er, der von dem ersten Augenblicke seines Lebens, dessen er sich erinnern konnte, an allen ersinnlichen Gemächlichkeiten niemals einigen Mangel gelitten hatte. Da es zu besserer Verständnis dieser Geschichte wesentlich ist, daß Ihre Majestät Sich eine lebhafte Vorstellung von diesem Zustande des Emirs machen, so muß ich mir die Freiheit nehmen, Sie zu bitten, Sich an seinen Platz zu setzen, und zu denken, wie Ihnen in einer so verzweifelten Lage zu Mute wäre.«

»Herr Danischmend«, sagte der Sultan ganz trocken, »ich habe gute Lust, mir diese Mühe zu ersparen, und mir dafür von dir erzählen zu lassen, wie einem Erzähler zu Mute sei, dem ich für die Bemühung, mich gähnen zu machen, dreihundert Prügel auf die Fußsohlen geben lasse.«

Dieser Anstoß von sultanischer Laune deuchte der schönen Nurmahal so unbillig, daß sie den Sultan bat, den armen Doktor nicht durch Drohungen zu schrecken, welche fähig wären, den besten Erzähler in der Welt aus der Fassung zu bringen. Aber Danischmend kannte die Weise seines Herren. »Alles, warum ich Ihre Majestät bitte«, sagte er, »ist, die Gnade zu haben, und mir die versprochenen dreihundert Prügel nicht eher geben zu lassen, bis ich mit meiner Geschichte fertig sein werde; denn, in der Tat, sie ist nicht so übel als man sich nach ihrem Anfange vorstellen sollte.«

»Gut«, sagte der Sultan lachend, »so erzähle denn nach deiner eigenen Weise: ich verspreche dir, daß ich dich nicht wieder unterbrechen will.«

Danischmend stand auf, warf sich vor dem Sultan zur Erde, küßte den Saum seiner Bettdecke, um seine Dankbarkeit für dieses gnädige Versprechen zu bezeigen, und fuhr hierauf in seiner Erzählung also fort.

»Von allen diesen Betrachtungen des Emirs (welche zu verworren und unangenehm waren, als daß es ratsam sein könnte, sie Ihrer Majestät vorzulegen) war das Ende, daß er sich entschließen mußte, eine Sache zu tun, die ihn aus Mangel der Gewohnheit sehr hart ankam, nämlich seine Beine in Bewegung zu setzen, und zu versuchen, ob er irgend einen Weg aus dieser Wildnis finden möchte. Die Sonne neigte sich schon stark, als er endlich mit unbeschreiblicher Mühe einen Ort erreichte, wo das Gebirge sich öffnete, und ihm die Aussicht in ein Tal zu genießen gab, welches seine Einbildung selbst sich nicht reizender hätte schaffen können. Der Anblick einiger wohl gebauten Wohnungen, die zwischen den Bäumen aus dem schönsten Grün hervorstachen, ermunterte ihn seine letzten Kräfte zusammen zu raffen, um diese Wohnungen wo möglich noch vor Untergang der Sonne zu erreichen. In der Tat war der ganze Weg, den er schon zurückgelegt und den er noch vor sich hatte, nicht um zehen Schritte mehr, als was ein junger Landmann alle Tage morgens und abends ohne Murren unternimmt, um seinem Mädchen einen Kuß zu geben; aber für die schlaffen Sehnen und marklosen Knochen des Emirs war dies eine ungeheure Arbeit. Er mußte sich so oft niedersetzen, um wieder zu Atem zu kommen, daß es finstre Nacht wurde, eh er die Pforte der nächsten Wohnung erreichte, die einer Art von ländlichem Palast ähnlich sah, aber nur von Holze gebaut war. Ein angenehmes Getöse, aus Gesang, Saitenspiel und andern Zeichen der Fröhlichkeit vermischt, welches ihm schon von fern aus diesen Wohnungen entgegen kam, vermehrte seine Verwundrung, alles dies mitten in dem ödesten Gebirge zu finden. Da er keine andre Belesenheit als in Geistermärchen hatte, so war sein erster Gedanke, ob nicht alles, was er sah und hörte, ein Werk der Zauberei sei. So furchtsam ihn dieser Gedanke machte, so überwog doch endlich das Gefühl seiner Not. Er klopfte an, und bat einen Hausgenossen, welcher heraus kam um zu sehen was es gäbe, mit einer so wunderlichen Mischung von Stolz und Demut um die Nachtherberge, daß man ihn vermutlich abgewiesen hätte, wenn die Gastfreiheit ein weniger heiliges Gesetz bei den Bewohnern dieser Gegend gewesen wäre. Der Emir wurde mit freundlicher Miene in einen kleinen Saal geführt, wo man ihn ersuchte, sich auf einen unscheinbaren aber sehr weich gepolsterten Sofa niederzulassen. In wenigen Augenblicken erschienen zwei schöne Jünglinge, um ihn in ein Bad zu führen, wo er mit ihrer Beihülfe gewaschen, beräuchert, und mit einem netten Anzuge von dem feinsten baumwollenen Zeuge bekleidet wurde. Damit ihm die Weile nicht zu lang würde, trat ein niedliches Mädchen, so schön als er jemals eines in seinem Harem gehabt hatte, mit einer Theorbe in der Hand herein, setzte sich ihm gegenüber, und sang ein Lied, aus dessen Inhalt er so viel abnehmen konnte, daß man über die Ankunft eines so angenehmen Gastes sehr erfreut sei. Er wußte immer weniger, was er von der Sache denken sollte; aber die Gestalt und die Stimme der jungen Dirne, die er eher für eine Perise, oder gar für eine von den Huris des Paradieses zu halten versucht war, ließen ihm keine Zeit zu sich selbst zu kommen. Beides, nebst der freundlichen Aufnahme, die ihm widerfuhr, wirkte so stark auf seine Sinne, daß er unvermerkt aller Ursachen zur Traurigkeit und alles erlittenen Ungemachs vergaß, und, durch eine sanfte Gewalt fortgezogen, sich den Eindrücken überließ, die man auf ihn machen wollte.

Wenn dies die weiseste Entschließung war, die er in seinen Umständen nehmen konnte, so muß man auch gestehen, daß er sich sehr wohl dabei befand. Kaum war er angekleidet, so erschien derjenige wieder, der ihn zuerst aufgenommen hatte, und winkte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, ihm zu folgen. Der Emir kam in einen großen mit Wachslichtern stark erleuchteten Saal, aus welchem ihm, so wie die Tür sich auftat, der angenehmste Wohlgeruch von frischen Nelken und Pomeranzenblüten entgegen wehte.