Wir tragen sie immer bei uns, und sehen sie als ein Heiligtum und gleichsam als den Talisman an, an welchen unsre Glückseligkeit gebunden ist. Wer sich unterfinge andre Grundsätze einführen zu wollen, würde als ein Vergifter unsrer Sitten und als ein Zerstörer unsers Wohlstandes auf ewig aus unsern Grenzen verbannt werden. Höre, wenn es dir gefällt, was ich dir davon vorlesen will.

 

›Das Wesen der Wesen‹, so spricht Psammis im Eingange seiner Gesetze, ›welches, unsichtbar unsern Augen und unbegreiflich unserm Verstande, uns sein Dasein nur durch Wohltaten zu empfinden gibt, bedarf unser nicht, und fodert keine andre Erkenntlichkeit von uns, als daß wir uns glücklich machen lassen.

Die Natur, die zu unsrer allgemeinen Mutter und Pflegerin von Ihm bestellt ist, flößet uns mit den ersten Empfindungen auch die Triebe ein, von deren Mäßigung und Übereinstimmung unsre Glückseligkeit abhängt. Ihre Stimme ist es, die durch den Mund ihres Psammis mit euch redet; seine Gesetze sind keine andern als die ihrigen.

Sie will, daß ihr eures Daseins froh werdet. Freude ist der letzte Wunsch aller empfindenden Wesen: sie ist dem Menschen, was Luft und Sonnenschein den Pflanzen ist. Durch süßes Lächeln kündigt sie die erste Entwicklung der Menschheit im Säugling an, und ihr Abschied ist der Vorbote der Auflösung unsers Wesens. Liebe und gegenseitiges Wohlwollen sind ihre reichsten und lautersten Quellen: Unschuld des Herzens und der Sitten das sanfte Ufer, in welchem sie dahin fließen.

Diese wohltätigen Ausflüsse der Gottheit sind es, was ihr unter den Bildern vorgestellt sehet, denen euer gemeinschaftlicher Tempel heilig ist. Betrachtet sie als Sinnbilder der Liebe, der Unschuld und der Freude. So oft der Frühling wieder kommt, so oft Ernte und Herbst angehen und geendigt sind, und an jedem andern festlichen Tage versammelt euch in dem Myrtenhaine; bestreuet den Tempel mit Rosen, und kränzet diese holden Bilder mit frischen Blumen; erneuert vor ihnen das unverletzliche Gelübde, der Natur getreu zu bleiben; umarmet einander unter diesen Gelübden, und die Jugend beschließe das Fest, unter den frohen Augen der Alten, mit Tänzen und Gesang. Die junge Schäferin, wenn ihr Herz aus dem langen Traume der Kindheit zu erwachen beginnt, schleiche sich einsam in den Myrtenhain, und opfre der Liebe die ersten Seufzer, die ihren sanften Busen heben; die junge Mutter mit dem lächelnden Säugling im Arme wandle oft hierher, ihn zu den Füßen der holden Göttinnen in süßen Schlummer zu singen.

Höret mich, ihr Kinder der Natur! – denn diesen und keinen andern Namen soll euer Volk künftig führen.

Die Natur hat alle eure Sinne, hat jedes Fäserchen des wundervollen Gewebes eures Wesens, hat euer Gehirn und euer Herz zu Werkzeugen des Vergnügens gemacht. Konnte sie euch vernehmlicher sagen, wozu sie euch geschaffen hat?

Wär es möglich gewesen, euch des Vergnügens fähig zu machen, ohne daß ihr auch des Schmerzes fähig sein mußtet, so – würde es geschehen sein. Aber so viel möglich war hat sie dem Schmerz den Zugang zu euch verschlossen. Solang ihr ihren Gesetzen folget, wird er eure Wonne selten unterbrechen; noch mehr, er wird euer Gefühl für jedes Vergnügen schärfen, und dadurch zu einer Wohltat werden; er wird in euerm Leben sein was der Schatten in einer schönen sonnigen Landschaft, was die Dissonanz in einer Symphonie, was das Salz an euern Speisen.

Alles Gute löset sich in Vergnügen auf, alles Böse in Schmerz. Aber der höchste Schmerz ist das Gefühl sich selbst unglücklich gemacht zu haben‹, – (hier holte der Emir einen tiefen Seufzer) – ›und die höchste Lust das heitre Zurücksehen in ein wohl gebrauchtes, von keiner Reu beflecktes Leben.

Niemals möge unter euch, ihr Kinder der Natur, das Ungeheuer geboren werden, das eine Freude darin findet, andre leiden zu sehen, oder unfähig ist sich ihrer Freude zu erfreuen! Nein, ein so unnatürliches Mißgeschöpf kann nicht zum Vorschein kommen, wo Unschuld und Liebe sich vereinigen, den Geist der Wonne über alles was atmet auszugießen. Freuet euch, meine Kinder, eures Daseins, eurer Menschheit; genießet, so viel möglich, jeden Augenblick eures Lebens: aber vergesset nie, daß ohne Mäßigung auch die natürlichsten Begierden zu Quellen des Schmerzes, durch Übermaß die reineste Wollust zu einem Gifte wird, das den Keim eures künftigen Vergnügens zernaget. Mäßigung und freiwillige Enthaltung ist das sicherste Verwahrungsmittel gegen Überdruß und Erschlaffung. Mäßigung ist Weisheit, und nur dem Weisen ist es gegönnt, den Becher der reinen Wollust, den die Natur jedem Sterblichen voll einschenkt, bis auf den letzten Tropfen auszuschlürfen. Der Weise versagt sich zuweilen ein gegenwärtiges Vergnügen, nicht weil er ein Feind der Freude ist, oder aus alberner Furcht vor irgend einem gehässigen Dämon, der darüber zürnte wenn sich die Menschen freuen; sondern, um durch seine Enthaltung sich auf die Zukunft zu einem desto vollkommnern Genusse des Vergnügens aufzusparen.11

Höret mich, ihr Kinder der Natur! Höret ihr unveränderliches Gesetz! Ohne Arbeit ist keine Gesundheit der Seele noch des Leibes, ohne diese keine Glückseligkeit möglich. Die Natur will, daß ihr die Mittel zur Erhaltung und Versüßung eures Daseins als Früchte einer mäßigen Arbeit aus ihrem Schoße ziehen sollet. Nichts als eine nach dem Grade eurer Kräfte abgemessene Arbeit wird euch die notwendige Bedingung alles Vergnügens, die Gesundheit, erhalten.

Ein kranker oder kränkelnder Mensch ist in jeder Betrachtung ein unglückliches Geschöpf. Alle Kräfte seines Wesens leiden dadurch; ihr natürliches Verhältnis und Gleichgewicht wird gestört, ihre Lebhaftigkeit geschwächt, ihre Richtung verändert. Seine Sinne stellen ihm verfälschte Abdrücke der Gegenstände dar; das Licht seines Geistes wird trübe; und sein Urteil von dem Werte der Dinge verhält sich zum Urteil eines Gesunden, wie Sonnenschein zum düstern Schein der sterbenden Lampe in einer Totengruft.

Von dem Augenblick an, – und o! möchte dann, wann er kommt, die Sonne auf ewig für euch verlöschen! – von dem Augenblick an, da Unmäßigkeit oder erkünstelte Wollüste die Samen schleichender und schmerzvoller Krankheiten in euern Adern verbreitet haben werden, verlieren die Gesetze des Psammis ihre Kraft euch glücklich zu machen. Dann werfet sie in die Flammen, ihr Unglückseligen! denn die Göttinnen der Freude werden sich in Furien für euch verwandeln. Dann kehret eilends in eine Welt zurück, wo ihr ungestraft euer Dasein verwünschen könnet, und wenigstens den armseligen Trost genießet, überall Mitgenossen euers Elends zu sehen.

Suchet niemals, meine Kinder, einen höhern Grad von Kenntnis als ich euch mitgeteilt habe. Ihr wißt genug, wenn ihr gelernt habt, glücklich zu sein.

Gewöhnet euer Auge an die Schönheit der Natur; und aus ihren mannigfaltig schönen Formen, ihren reichen Zusammensetzungen, ihrer reizenden Farbengebung füllet eure Phantasie mit Ideen des Schönen an. Bemühet euch, allen Werken eurer Hände und eures Geistes den Stempel der Natur, Einfalt und ungezwungene Zierlichkeit, einzudrücken. Alles was euch in euern Wohnungen umgibt, stelle euch ihre Schönheiten vor, und erinnere euch daß ihr ihre Kinder seid!

Alle andere Werke der Natur scheinen nur spielende Versuche und Vorübungen, wodurch sie sich zur Bildung ihres Meisterstücks, des Menschen, vorbereitet. In ihm allein scheint sie alles, was sie diesseits des Himmels vermag, vereiniget, an ihm allein mit Wärme und verliebt in ihr eigenes Werk gearbeitet zu haben. Aber sie hat es in unserer Gewalt gelassen, es zu vollenden, oder zu verderben. Warum tat sie das? Ich weiß nichts davon; aber nach dem was Sie getan hat, müssen wir das bestimmen, was Wir zu tun haben.