Vom achten bis zum zwölften empfangen sie so viel Unterricht, als sie vonnöten haben, um als Mitglieder unsrer Gesellschaft glücklich zu sein. Wenn sie richtig genug empfinden und denken, um unsre Verfassung für die beste aller möglichen zu halten, so sind sie gelehrt genug. Jeder höhere Grad von Verfeinerung würde ihnen unnütze sein. Mit Antritt des vierzehnten Jahres empfängt jeder angehende Jüngling die Gesetze des weisen Psammis; er gelobet vor den Bildern der Huldgöttinnen, ihnen getreu zu sein; und dieses Gelübde wiederholt er im zwanzigsten, da er mit dem Mädchen, welches er in seinem Hirtenstande geliebt hat, vermählt wird. Denn die Liebe allein stiftet unsre Heiraten. Im dreißigsten Jahr ist ein jeder verbunden, zu seiner ersten Frau die zweite, und im vierzigsten die dritte zu nehmen, wofern er nicht hinlängliche Ursachen dagegen anführen kann, wovon wir kein Beispiel haben. Diese Vorsicht war vonnöten, weil die natürliche Proportion in der Anzahl der Jünglinge und Mädchen durch Verschickung eines Teils der ersten beträchtlich vermindert wird. Wir haben Sklaven und Sklavinnen; aber mehr zum Vergnügen, als um einen andern Nutzen von ihnen zu ziehen. Wir erkaufen sie in ihrer ersten Jugend von den Beduinen; eine untadelige Schönheit ist alles worauf wir dabei sehen. Wir erziehen sie wie unsre eigenen Kinder; sie genießen des Lebens so gut als wir selbst; ihre Kinder sind frei, und sie selbst sind es von dem Augenblick an, da sie uns verlassen wollen. Sie sind in nichts als in ihrer Kleidung von uns unterschieden, welche zierlicher ist als die unsrige; und das einzige Vorrecht, welches wir uns über sie heraus nehmen, ist, daß sie uns bedienen wenn wir ruhen, und daß ihre vornehmste Beschäftigung ist uns Vergnügen zu machen.
Alle unsre Vergnügungen sind natürlich und ungekünstelt, und alle unsre Gemächlichkeiten tragen das Kennzeichen der Einfalt und Mäßigung. Wir genießen die Seligkeit eines ewigen Friedens, und einer Freiheit, die vielleicht für uns allein ein Gut ist, weil wir ihren Mißbrauch nicht kennen. Wir genießen die Wollust, welche die Natur mit der Befriedigung der Bedürfnisse des Lebens, mit der Liebe, der Ruhe nach der Arbeit, und mit allen geselligen Trieben verbunden hat, vermutlich in einem höhern Grade als die übrigen Sterblichen; wir werden unsers Daseins vollkommner und länger froh; wir kennen die wenigsten von der unendlichen Menge ihrer Plagen, und auch diese kaum dem Namen nach. Dafür lassen wir ihnen gern ihre wirklichen oder eingebildeten Vorzüge, ihre Pracht, ihre Schwelgerei, ihre langweiligen Zeitvertreibe, ihre Geschäftigkeit einander beschwerlich zu sein, ihre Unzufriedenheit, ihre Laster und ihre Krankheiten. Sollten wir sie um Künste beneiden, durch deren grenzenlose Verfeinerung sie ihr Gefühl so lange verzärteln, bis sie nichts mehr fühlen? oder um Wissenschaften, ohne welche wir uns wohl genug befinden, um den heimlichen Neid des Gelehrtesten unter ihnen zu erregen, wenn er uns kennen sollte? Wir sind so weit entfernt von einem solchen Neide, daß jeder Versuch, den einer von uns machen wollte, etwas an unsrer Verfassung zu bessern, oder uns mit neuen Künsten und Bedürfnissen zu bereichern, mit einer ewigen Verbannung bestrafet würde. Ich selbst‹, setzte der Alte hinzu, ›habe einige Jahre meines Lebens zugebracht, einen großen Teil des Erdbodens zu durchwandern. Ich habe gesehen, beobachtet, verglichen. Als ich dessen müde war, mit welchem Entzücken dankte ich dem Himmel, daß ich einen kleinen Winkel wußte, wo es möglich war, ungeplagt glücklich zu sein! Mit welcher Sehnsucht flog ich zu den Wohnungen des Friedens und der Unschuld zurück! – Es ist wahr, unser Volk ist, in Vergleichung aller andern, ein Völkchen von ausgemachten Wollüstigen; aber desto besser für uns! Sind wir zu tadeln, daß wir uns nicht aus allen Kräften der Natur entgegen setzen, die uns glücklich machen will?‹
Hier endigte der Alte seine Rede. Weil die Sonne schon hoch gestiegen war, führte er seinen Gast in eine bedeckte Halle, welcher hohe dicht in einander verflochtene Kastanienbäume Schatten gaben. Kaum hatten sie hier auf einem Sofa, der rings herum lief, Platz genommen, so sah sich der Alte von einer Menge schöner Enkel umgeben, die, wie schwärmende Bienen, um ihn her wimmelten, ihn zu grüßen und an seinen Liebkosungen Anteil zu haben. Die kleinsten wurden von liebenswürdigen Müttern herbei getragen, unter denen keine war, die in ihrem einfachen und reizend nachlässigen Putze, die weiten Ärmel von ihren schneeweißen Armen zurück geschlagen, und ihren holdseligen Knaben an den leicht bedeckten Busen gelehnt, nicht das schönste Bild einer Liebesgöttin dargestellt hätte. Der Emir vergaß über diesem rührenden Anblick eine Menge Fragen, die ihm unter der Erzählung seines Wirtes aufgestoßen waren; und dieser überließ sich gänzlich dem Vergnügen, sich an den Kindern seiner Kinder zu ergetzen. Der Kontrast des hohen Alters mit der Kindheit, durch die sichtbare Verjüngerung des einen und die liebkosende Zärtlichkeit der andern, und durch eine Menge kleiner Schattierungen, die sich besser empfinden als beschreiben lassen, gemildert; das gesunde und fröhliche Aussehen dieses Greises; die Aufheiterung seiner ehrwürdigen Stirne; das stille Entzücken, das sich beim Anblick so vieler glücklichen Geschöpfe, in denen er sich selbst vervielfacht sah, über alle seine Züge ausgoß; die liebreiche Gefälligkeit, mit welcher er ihre beunruhigende Lebhaftigkeit ertrug, oder womit er die kleinsten auf den Armen der schönen Mütter mit seinen weißen Haaren spielen ließ; – alles zusammen machte ein lebendiges Gemälde, dessen Anblick die Güte der Moral des weisen Psammis besser bewies als die scharfsinnigsten Vernunftsgründe hätten tun können. Der Emir selbst, so sehr die ungestüme Herrschaft einer groben Sinnlichkeit die sanftern und edlern Gefühle der Natur in ihm erdrückt hatte, fühlte bei diesem Anblick sein verhärtetes Herz weicher werden, und ein flüchtiger Schimmer von Vergnügen fuhr über sein Gesicht hin; ein Vergnügen, gleich dem himmlischen Lichtstrahl, der plötzlich in den nachtvollen Abgrund einfallend, den verdammten Seelen einen flüchtigen Blick in die ewigen Wohnungen der Liebe und der Wonne gestatten würde, um die Qual ihrer Verzweiflung vollkommen zu machen.
Die Urkunde, aus welcher ich diese Erzählung gezogen habe«, fuhr Danischmend fort, »steht hier still, ohne uns von dem Aufenthalt des Emirs bei diesen Glücklichen weitere Nachrichten zu geben. Einige Scholiasten sagen, daß er, in voller Wut über die trostlose Vergleichung ihres Zustandes mit dem seinigen, sich von einer Felsenspitze herab gestürzt habe. Aber ein andrer, dessen Zeugnis ungleich mehr Gewicht hat, versichert, daß er unmittelbar nach seinem Abschiede von den Kindern der Natur in den Orden der Derwischen getreten sei, und sich in der Folge, unter dem Namen Schek Kuban, den Ruhm eines der größten Sittenlehrer in Yemen erworben habe. Er unterschied sich, sagt man, besonders durch die Lebhaftigkeit der Abschilderungen, die er von den unseligen Folgen einer zügellosen Sinnlichkeit zu machen pflegte. Man bewunderte die Stärke und Wahrheit seiner Gemälde, und niemand, oder nur sehr wenige, welche die Gabe hatten, zu erraten was für ein Gesicht hinter jeder Maske steckt, begriffen, warum er so gut malen konnte. Er hätte nützlich sein können, wenn er es dabei hätte bewenden lassen. Aber Mißgunst und Verzweifelung erlaubten ihm nicht in so bescheidenen Schranken zu bleiben.
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