In den ersten Jahren der Regierung des Königs Azor hingen die meisten Gnaden von der Amme der Königin Lili, von der persischen Tänzerin, welche den Vertrauten des obersten Visirs gefesselt hatte, und von einem gewissen Bonzen ab, der mit großem Eifer arbeitete, diese Tänzerin von der Religion der Feueranbeter, in welcher sie geboren war, zu der seinigen zu bekehren. Es gab also während dieser Zeit ordentlicher Weise nur dreierlei Arten von Verdiensten oder Wegen, Gnaden zu erhalten: das Verdienst sie bezahlen zu können, eine viel versprechende Figur (denn die Tänzerin war sehr uneigennützig), und das Verdienst der Dummheit.
Azor, dessen Hof in dieser Zeit den Glanz der prächtigsten in Asien auslösche, welcher jährlich dreihundertundfünfundsechzig Feste gab, und im Besitz der liebenswürdigen Xerika der glücklichste unter allen Unsterblichen zu sein glaubte – denn wie hätte er auf einer so hohen Stufe von Glückseligkeit nicht vergessen sollen, daß ihn seine Mutter sterblich geboren? – Azor wußte nichts davon, daß seine Provinzen mit raubgierigen Statthaltern besetzt, seine Gerichtsstellen an unwissende und leichtsinnige Gecken verhandelt, und die Verwaltung der Kroneinkünfte, mittelst gewisser geheimer Verträge, an Leute überlassen wurde, die das Arkanum besaßen, an jeder Million, welche sie für den König einzogen, den fünften Teil für sich selbst zu gewinnen; eine Kunst, die in der Folge zu einer solchen Vollkommenheit getrieben worden ist, daß die ersten Meister kaum den Namen von Anfängern verdienten. Der gutherzige Azor glaubte, daß seine Völker glücklich wären, weil er es selbst war, weil er sie glücklich zu sehen wünschte, und weil er gewohnt war alle seine Wünsche erfüllt zu sehen. Überdies hatte er so wenig Begriffe von den Erfordernissen der Regierungskunst, daß man nicht ohne Grund vermutet, er habe sich mit eben der Zuversicht darauf verlassen, daß der Staat ohne sein Zutun aufs beste besorgt werden würde, mit welcher er sich darauf verlassen konnte, daß die Sonne alle Tage auf- und untergehen, die Jahrszeiten wie gewöhnlich auf einander folgen, und in allen dreien Reichen der Natur alles geschehen würde was sich gebührt, ohne daß Seine Hoheit Sich im mindesten darum zu bekümmern hätte.
Der Überfluß, welchen Fleiß und Handelschaft noch immer über den größten Teil des Reiches verbreiteten, nebst den immer währenden Lustbarkeiten, die bei Hofe und in den Hauptstädten herrschten, machten die Folgen einer so übel besorgten Staatsverwaltung eine Zeit lang im ganzen unmerklich. Wie leicht werden zehen tausend unterdrückte Bürger unter einer großen, geschäftigen, mutvollen, und von Entwürfen einer schimmernden Glückseligkeit schwellenden Nation übersehen! Und wie sollte das stumme Seufzen, oder selbst das laute Geschrei dieser zerstreuten Unglücklichen, vor dem noch lautern Getümmel der allgemeinen Emsigkeit und Fröhlichkeit gehört worden sein, oder sich den Weg zum Ohre des mitleidigen Azors haben öffnen können?
Aber eine Veränderung des Systems, worin damals die Staaten des östlichen und mitternächtlichen Teils von Asien verbunden waren, eine Veränderung, wobei der Hof von Scheschian unmöglich gleichgültig bleiben konnte, gab dem jungen Könige Gelegenheit wahrzunehmen, daß seine Geschäfte sehr übel besorgt wurden. Man hatte die Zeit und das Geld, die auf die Zurüstungen zu einem unvermeidlichen Kriege verwendet werden sollten, mit Lustbarkeiten und unnützen Unterhandlungen zugebracht, und die Feinde waren im Begriff in die Grenzen des Reiches einzudringen, als man erst gewahr wurde, daß es sich nicht einmal im Verteidigungsstande befand. Zum Unglück war auch die königliche Kasse so erschöpft, daß Azor sich genötiget sah, seine Zuflucht zu den Kassen seiner Finanzaufseher und Oberpachter zu nehmen, in welchen eine Fülle herrschte, die mit der Leerheit der königlichen vermutlich einerlei Ursache hatte. Das Murren der Nation, welche zu Bestreitung der Kriegsunkosten mit gedoppelten Auflagen belegt wurde, und gleichwohl ihre Beschützung in so schwachen Händen sah, nahm täglich zu; die Feinde bemächtigten sich einer Provinz nach der andern, und der König wußte noch immer nichts von dem eigentlichen Zustande der Sachen: als Alabanda (eine Dame des Hofes, die schon seit geraumer Zeit an einem Entwurf arbeitete, die zärtliche und untätige Xerika zu verdrängen) sich eines günstigen Augenblicks bemächtigte, und zum ersten Male Eindruck auf das Herz Azors machte, indem sie sich das Ansehen gab, von einem lebhaften Eifer für seine Ruhe und für die Glorie seiner Regierung beseelt zu sein. Diese Frau vereinigte alle die Reizungen in ihrer Person, welche das Herz eines Prinzen wie Azor zu fesseln fähig waren; eine blendende und untadelhafte Schönheit mit der Blüte der Jugend, und den angenehmsten Witz mit tausend liebreizenden Grazien. Sie war unwiderstehlich, wenn sie sich vorgesetzt hatte es zu sein; und Azor konnte von dem ersten Augenblick an, da die Gleichgültigkeit, worin Xerika seine Sinne zu lassen anfing, ihm erlaubte ihre Nebenbuhlerin mit Aufmerksamkeit anzusehen, sich nicht genug wundern, wie er so lange von einem so vollkommnen Gegenstande habe ungerührt bleiben können. Die zärtliche Xerika hatte in dem Könige nur Azorn geliebt; Alabanda liebte in Azorn nur den König. Zwanzig andre taugten eben so gut oder besser ihre wollüstige Sinnesart zu vergnügen: aber ihre Eitelkeit konnte nur durch eine unumschränkte Gewalt über das ganze Scheschian befriediget werden; und der Plan, den sie zu diesem Ende machte, bewies ihre Klugheit. Sie entdeckte Azorn, wie übel der Staat unter der Regentschaft seiner Mutter verwaltet worden sei, und überredete ihn, die Zügel der Regierung künftig selbst zu führen. Der Staatsrat und die obersten Kronbedienungen wurden also mit Kreaturen der schönen Alabanda besetzt: und da nichts Unbeständigeres sein konnte als die Gunst dieser Dame; so veränderte sich der Divan unter ihrer Regierung so oft als ihr Kopfputz, oder als die Farben ihres Anzugs, durch deren täglichen Wechsel sie bewies, daß ihre Schönheit in jedem Lichte sich selbst gleich bleibe, und über alles triumphiere, was neben ihr glänzen wolle.
Der König wunderte sich sehr, da er eine Bürde, die er sich so schwer vorgestellt hatte, so leicht fand. Es kostete ihm nur einen Wink, oder höchstens ein bloßes Ja zu allem was ihm die schöne Alabandain eigener Person oder durch ihre Werkzeuge vorschlug. Nichts konnte bequemer sein; aber Scheschian befand sich auch um nichts besser bei einer Regierung, die dem Könige so leicht gemacht wurde.
Gleich zu Anfang des vorerwähnten Krieges hatte sich der Günstling der Sultanin-Mutter, in dessen Händen damals die höchste Gewalt lag, genötiget gesehen, die Anführung der Kriegsheere einem erfahrnen Feldherrn zu übergeben, der zu alt war, um bei dem neuen Hofe in Ansehen zu stehen. Seine Figur, seine Manieren, sein Ton, seine Art sich zu kleiden, und sein Charakter hatten schon lange aufgehört nach der Mode zu sein: aber seine Talente, seine Liebe zum Vaterlande und seine Erfahrung waren Eigenschaften, deren Wert allgemein anerkannt zu werden pflegt, sobald die Zeit kommt, wo man ihrer vonnöten hat. Die dringende Gefahr entschuldigte den Minister, daß er von einem Grundgesetze des Hofes abgehen, und einen so wichtigen Posten einem Manne auftragen mußte, der aus einer andern Welt war, und nichts als – persönliche Verdienste hatte.
Die guten Anstalten, welche der alte Feldherr machte, und die beträchtlichen Vorteile, die er in kurzer Zeit über die Feinde erhielt, ließen einen glücklichen Fortgang des Feldzuges hoffen. Aber kaum hatte sich Alabanda des Königs und der Regierung bemächtiget, so wurde der alte Mann, unter dem Vorwande daß er nicht Feuer genug habe, zurück berufen, und ein sehr artiger junger Herr an seine Stelle geschickt, welcher unstreitig der beste Tänzer am ganzen Hofe war. Er hatte sich durch dieses Talent, und durch die Gabe kleine satirische Verschen über die Damen zu verfertigen, denen die stolze Alabanda nicht erlauben wollte liebenswürdig zu sein, bei der Favoritin in Achtung gesetzt; und weil seine Finanzen sich damals in der niedrigsten Ebbe befanden, so hatte er sich den Posten eines Oberfeldherrn, als ein Mittel wieder zu Kasse zu kommen, von ihr ausgebeten. Die Feinde gewannen mehr dabei, als wenn sie drei Siege über den alten General erhalten hätten. Der Unwille des Adels, der Armee und des Volkes über die unleidlichen Fehler, die dieser eben so unwissende als eigensinnige und raubgierige Heerführer beging, stieg endlich zu einem so hohen Grade, daß sich Alabanda genötigt sah, den Tänzer zurück zu berufen; welcher, nachdem er einige Millionen gewonnen, und dem Reiche für zehnmal so viel Schaden zugezogen, so hoffärtig und mit solchem Geräusche nach Hofe zurück kam, als ob er die herrlichsten Taten verrichtet hätte. Auch empfing er die Krone von Pfauenschwänzen, ein Ehrenzeichen, welches die Großen des Reichs von den niedrigern Klassen des Adels unterschied, aus der eigenen Hand seines Königs, und tanzte bei dem ersten großen Ball, der bei Gelegenheit eines von seinem Nachfolger erhaltenen Sieges dem Hofe gegeben wurde, mit so außerordentlichem Beifalle, daß es nur auf ihn ankam, so viel Herzen zu erobern als er wollte oder behaupten konnte.
Die Vorteile, die der neue Feldherr über den Feind erhielt, versprachen einen glänzenden Ausgang der Sachen. Aber die Ehre des schönen Tänzers, der durch die Krone von Pfauenschwänzen, und die Beute die er den Scheschianern abgenommen hatte, eine wichtige Person im Reiche geworden war, machte es notwendig, einem so gefährlichen Nachfolger in Zeiten Einhalt zu tun. Weil der König itzt durch sich selbst regierte, so fand man, es schicke sich schlechterdings nicht, daß der Feldherr irgend einen Schritt von Wichtigkeit ohne ausdrücklichen Befehl vom Hofe sollte unternehmen dürfen. Er erhielt also, auf seine Anfrage, den Befehl zu einem Treffen gerade zu der Zeit, da die Gelegenheit es mit Vorteil zu liefern vorüber war; er mußte sich ostwärts ziehen, wenn die gegenwärtige Lage ihn westwärts rief, oder einen Posten verlassen, da die Umstände unumgänglich erfoderten ihn zu besetzen. Außer diesem wußte man ihm so viele andre Hindernisse in den Weg zu legen, daß der Heldenmut eines Alexanders darüber hätte ermüden mögen. Bald fehlte es ihm an Truppen, bald an Geld, bald an Proviant, bald an Kriegsvorrat, bald an allem. Gleichwohl überwand er alle diese Schwierigkeiten durch die Hülfsmittel, die er in seinem Genie und in seiner Ruhmbegierde fand, und er war im Begriffe, durch einen entscheidenden Streich den Krieg auf die rühmlichste Weise zu Ende zu bringen, als er die Nachricht erhielt – daß der Friede geschlossen sei.
Wenn die Bedingungen dieses Friedens dem König Azor wenig Ehre brachten, so mußte man doch gestehen, daß sie seinen Ministern desto vorteilhafter waren; denn jede Bedingung wurde ihnen mit hunderttausend Unzen Silbers bezahlt. Scheschian verlor zwar dadurch eine seiner besten Provinzen; aber die schöne Alabanda gewann einen diamantnen Gürtel, der eine kleine Provinz wert war.
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