›Ich erinnere mich noch ganz wohl‹, pflegte er mit einer schlauen Miene hinzu zu setzen, ›daß ich es in Gebals Alter nicht besser machte. Ich war immer ein loser Vogel; der Fakir, mein Hofmeister, Gott tröste seine Seele! hatte seine liebe Not mit mir, und die Kammerjungfern der Sultanin meiner Mutter konnten nicht genug auf ihrer Hut sein. Gebal ist ein aufgeweckter Kopf; er wird wohl klug werden, wenn er ausgetobt hat‹, – und was dergleichen Sprüche mehr waren, an welchen der gute Oheim niemals Mangel hatte. – Was dünkt Ihnen nun von meiner Erziehung, Madam? Finden Sie nicht, daß ich unter den Händen eines alten mürrischen Negers, eines Fakirs der mir so gute Grundsätze beibrachte, eines leichtfertigen jungen Cypriers, etlicher mutwilliger Kammermädchen, und eines Oheims wie Sultan Baham, vortrefflich vorbereitet werden mußte, dem Thron von Indien Ehre zu machen?«
»Sire«, sagte Nurmahal lächelnd, »wenn es mir erlaubt ist, meine Meinung so frei zu sagen, so glaube ich, daß gerade diese Umstände sich vortrefflich zusammen schickten, einen Genie wie der Ihrige war, zu entwickeln. Wenn es wahr ist, daß lebhafte junge Leute gemeiniglich einen unwiderstehlichen Trieb in sich finden, immer das Widerspiel von dem was ihre Hofmeister sagen zu tun, wie konnte man Ihnen einen schicklichern Hofmeister wünschen als den Fakir Salamalek? Die artigen Kammermädchen der Sultanin waren schlechterdings unentbehrlich, die Federn Ihrer Einbildungskraft spielen zu machen, und eine sehr nachteilige Stagnation Ihres Herzens, die bei einer so pedantischen Erziehung zu besorgen war, zu verhüten. Der junge Cyprier mag wohl vielleicht der strengen Sittenlehre Ihres Fakirs das Gegengewicht zuweilen mehr als nötig war gehalten haben; aber wenn er Ihnen auch zu nichts gedient hätte, als den Unterricht dieses albernen Mentors unschädlich zu machen, so war das schon sehr viel. Allein ich bin gewiß, daß er Ihnen einen noch wichtigern Dienst erwies. Seine Spöttereien über die Grundsätze des Fakirs kamen Ihrer eigenen Vernunft zu Hülfe, und befestigten Sie auf die natürlichste Weise von der Welt in den entgegengesetzten; und es kann nicht fehlen, man hat ein großes gewonnen, um klug zu werden, wenn man über die Torheit lachen gelernt hat. Überdies mußte das Beispiel Schach-Bahams und seiner drei Vorgänger« – –
»O, was dies betrifft, Madam«, fiel ihr der Sultan lachend ins Wort, »da haben Sie recht! Drei oder vier solche Vorgänger sind eine unvergleichliche Schule für einen Nachfolger, der sie in ihrem gehörigen Lichte zu betrachten weiß. – Aber genug für heute von Königen und Staatsangelegenheiten; ich bin lange nicht so aufgelegt gewesen zu vergessen, daß ich die Ehre habe Sultan zu sein. Schicken Sie mir etliche von Ihren Odaliken, Nurmahal; ich will versuchen, ob ich mich nicht eben so gut in den Schlaf singen lassen kann, als der alte Weißbart, von dem uns Danischmend letzthin so wunderreiche Dinge vorleierte.«
9.
Die kleine Ergetzlichkeit, welche sich Schach-Gebal mit dem Odalisken seiner Favoritin zu machen geruhet hatte, leistete mehr als er davon erwartete. Anstatt ihn einzuschläfern, gelang es einer von diesen jungen Nymphen, seine schlafsüchtige Einbildungskraft zu erwecken, und ihm eine Art von einem Mittelding zwischen Leidenschaft und Geschmack einzuflößen, wovon Anfang, Mittel und Ende, nach der Berechnung des Philosophen Danischmend, drei Tage, einundzwanzig Stunden und sechzehn Minuten dauerte.
Wenn die kürzesten Narrheiten die besten sind, so muß man zur Ehre dieses Sultans sagen, daß er in diesem Stücke nicht unwürdig war, ein Muster aller Herren seines Standes, welche nicht selbst Muster sind, zu sein. Doch, um seiner Weisheit nicht zu viel zu schmeicheln, – die Wahrheit von der Sache war, daß die kleine Sängerin weder genug Geist, noch der Sultan Begierden genug hatte, seinem Geschmack für sie eine längere Dauer zu geben. Er fand sich also nach wenigen Tagen geneigt, die Versammlungen seiner kleinen Akademie, welche durch diese Abwechselung von Zeitvertreib unterbrochen worden waren, wieder zu erneuern; und die Erzählung der Geschichte des Königs Azor wurde, auf seinen Befehl, von der gefälligen Nurmahal folgender Maßen fortgesetzt.
»Wenn der Sultan Azor eine Handlung von echter königlicher Großmut zu tun glaubte, indem er seinen Feinden gerade in dem Augenblicke, wo sich das Glück für seine Waffen zu entscheiden anfing, nicht nur Friede, sondern noch eine von seinen besten Provinzen dazu schenkte: so kann man doch nicht in Abrede sein, daß die Begierde, seiner geliebten Alabanda (einer Eroberung, die ihn für den Verlust von zwanzig Provinzen schadlos gehalten hätte) desto ungestörter zu genießen, die wahre wiewohl geheime Triebfeder seiner Großmut war. Wenigstens bewies der Gebrauch, den man von einem so teuer erkauften Frieden machte, daß die Vorteile seines Volkes schwerlich dabei in Betrachtung gezogen worden waren. Denn man dachte weder daran, das Reich auf künftige Fälle in bessere Verfassung zu setzen, noch die Provinzen wieder herzustellen, die durch den Krieg entvölkert und verwüstet worden waren. Azor teilte die Geschäfte der Regierung unter einige Geschöpfe der schönen Alabanda, welche ihn beredeten, daß er selbst regiere, indem er von dieser Zaubrerin und ihren Mitschuldigen unumschränkt regiert wurde. Prächtige Feste und immer abwechselnde Lustbarkeiten, über deren Erfindung sich alle witzige Köpfe von Scheschian elendiglich erschöpften, verschlangen unermeßliche Summen, wovon der zehente Teil hinlänglich gewesen wäre, die zerstörten Städte wieder aufzubauen, und jedes traurige Denkmal der Verwüstung in den Gegenden, welche der Schauplatz des Krieges gewesen waren, auszulöschen. Zehen tausend in die äußerste Not herunter gebrachte Familien hätten durch die Unkosten einer einzigen Geburtsfeier wieder glücklich gemacht, und in eine dem gemeinen Wesen nützliche Tätigkeit gesetzt werden können: aber weil sich niemand fand, der dem Sultan einen solchen Vorschlag getan hätte, – weil die schöne Alabanda weit über die Schwachheit erhaben war, irgend einen neuen Triumph ihrer grenzenlosen Eitelkeit dem Mitleiden oder der Wollust Gutes zu tun aufzuopfern; wie hätte Azor, bei aller seiner natürlichen Gutherzigkeit, auf einen solchen Gedanken verfallen sollen? – Er, der keinen Begriff von dem innern Zustande seines Reiches, keine Fertigkeit über irgend etwas als über die unmittelbaren Gegenstände seines Vergnügens zu denken, und am allerwenigsten den mindesten anschauenden Begriff von dem Elend hatte, welchem abzuhelfen sein großer Beruf war! Er hätte in einer unkennbaren Verkleidung, allein, oder nur von einem oder zwei rechtschaffenen Männern begleitet, sich von den prächtigen Straßen, die zu seinen Lustschlössern führten, entfernen, und in die entlegneren Teile seines Reichs, in die Hütten der Landleute oder unter die Trümmern kleiner Städte, deren blühender Stand in mutloses Elend verwandelt war, sich hinein wagen müssen, um die Unglücklichen kennen zu lernen, die nach seiner Hülfe seufzeten. Wie unendlich viel Gutes würde eine einzige solche Reise seinen Völkern getan haben! Aber« – –
»Mirza«, sagte Schach-Gebal in einem plötzlichen Anstoß von empfindsamer Laune zu seinem Günstlinge, »vergiß nicht, dich morgen früh mit Pferden für mich, dich selbst und Danischmenden an der westlichen Pforte des Gartens bereit zu halten. Wir müssen eine solche Lustreise mit einander machen. Aber mit euerm Leben sollt ihr mir alle drei für das Geheimnis stehen! – Weiter, Nurmahal!«
»Sire, der gute Sultan Azor ließ sich nichts von einer solchen Lustreise träumen, wie diejenige, wozu Ihre Majestät Sich mit einem so rühmlichen Feuer entschlossen haben. Wenn er reisete, so geschah es in Begleitung seines ganzen Hofstaats, und mit einem Pomp, der das Bild des triumphierenden Heerzuges eines Weltbezwingers darstellte. Der Aufwand einer einzigen solchen Reise verzehrte die jährlichen Einkünfte einer ganzen Provinz: und da eine verderbliche alte Gewohnheit18 die Landleute nötigte, die Kamele, Pferde und Wagen unentgeldlich herzugeben, welche das Gepäcke des Königs und seines Gefolges fortzuschaffen erfodert wurden; so tat dieser einzige Umstand den Gegenden, durch welche der Zug ging, einen beinahe eben so empfindlichen Schaden als ein feindlicher Überfall. Im übrigen vergaßen die immer wachsamen Günstlinge des Sultans und seiner Gebieterin nicht, dafür zu sorgen, daß die königlichen Augen nirgends durch den Anblick des Mangels, der Nacktheit und des Elends beleidiget werden möchten. Die Mirzas, durch deren Gebiete die Reise ging, stellten, um sich dem Hofe gefällig zu machen, lange zuvor Zurüstungen an, ihren Oberherrn auf eine glänzende Art zu empfangen, oder ihn im Vorübergehen mit dem Anblick ländlicher Feste und Szenen von Fröhlichkeit zu ergetzen, welche dem guten Fürsten die betrügliche Freude machten, die geringsten seiner Untertanen für glücklich zu halten.«
»Bald fange ich an Mitleiden mit euerm Azor zu haben«, sagte Schach-Gebal. »Ein König muß ein Gott sein, oder er muß betrogen werden, wenn alle seine Leute die Abrede mit einander genommen haben, ihn zu betrügen.«
»Bei allem diesem«, fuhr Nurmahal fort, »hatte Scheschian, im ganzen betrachtet, mehr als jemals das Ansehen eines in seiner vollen Blüte stehenden Reiches. Die Natur hatte seine meisten Provinzen mit ihren reichsten Gaben überschüttet. Fleiß und Handlung belebte die größern Städte, und die Künste stiegen zum Gipfel der Vollkommenheit hinan. Alabanda trat nicht bloß in die Fußstapfen der schönen Lili; sie war zu stolz eine bloße Nachahmerin zu sein, sie wollte die Ehre haben zu erschaffen.
Da sie gewohnt war den Sultan auf die Jagd zu begleiten, so geschah es einsmals, daß sie sich mit ihm in eine von diesen wilden Gegenden verirrte, welche die Natur so gänzlich verwahrloset hat, daß nichts als der magische Stab einer Fee mächtig genug scheint, sie zur Schönheit umzubilden.
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