›Ist's möglich, daß jemand so übel gesinnt sein kann, die Ruhe meines geliebten Sultans mit so ungetreuen Berichten zu vergiften? Alle Provinzen Ihres großen Reiches sind glücklich, und haben keinen andern Wunsch als ewig von dem besten der Könige beherrschet zu bleiben. Und gesetzt der Staat hätte außerordentliche Bedürfnisse; können Sie zweifeln, daß Ihre Schatzkammer nicht reich genug sei, sie zu bestreiten, ohne daß man vonnöten habe, an einer kleinen Summe zu sparen, die zum Vergnügen Ihrer Majestät und zur Verschönerung der Hauptstadt Ihres Reichs angewendet werden soll?‹

›Aber, – liebste Alabanda, wie viele Tausende könnte ich mit dieser Kleinigkeit, wenn Sie ja etliche Millionen eine Kleinigkeit nennen wollen, glücklich machen?‹

›Vergeben Sie mir, liebster Sultan – aber ich kann mich kaum von meinem Erstaunen erholen. Es gibt, wie ich sehe, Leute, die sich kein Bedenken machen Ihre Gütigkeit zu mißbrauchen. Wer kann Ihnen gesagt haben, daß ein König Millionen verschwenden müsse, um müßige Bettler oder bettelhafte Müßiggänger glücklich zu machen? Doch ich merke wohl was unter der Decke liegt: nicht die Unkosten, nur die Verwendung derselben ist gewissen Leuten anstößig. Es mag sein! Wir wollen das Amphitheater fahren lassen. Ein schönes Stift für ein paar hundert blaue Bonzen‹ – –

›Wir wollen gar nicht bauen, Alabanda!‹

›Ich bin sehr unglücklich, heute nichts sagen zu können, das den Beifall Ihrer Majestät zu erhalten würdig wäre.‹

›Wie reizbar Sie sind, Alabanda!‹

›Nicht reizbar, aber gerührt, da mir auf einmal ein trauriges Licht aufgeht. Ach Azor! wozu diese Verstellung? wozu diese Umschweife? Warum entdecken Sie mir nicht lieber auf einmal mein ganzes Unglück?‹

›Sie setzen mich in Erstaunen, Alabanda: wo nehmen Sie diese Einfälle her, meine Schönste?‹

›Wie kalt! Wär es Ihnen möglich so wenig bei der Angst, die Sie in meinen Augen lesen, zu empfinden, wenn meine Besorgnisse nicht allzu wohl gegründet wären? Ach Azor!‹ – (Hier läßt sie sich in eine trostlose Lage auf den Sofa fallen.) ›Ach! ich bin das elendeste unter allen Geschöpfen! Ich habe Ihr Herz verloren. Eine andre glücklichere‹ – hier verliert sich ihre Stimme, Tränen rollen aus ihren schmachtenden Augen, ihr schöner Busen atmet schwer und pocht in verdoppelten Schlägen. Der bestürzte, gerührte, allzu schwache Azor vergißt auf einmal alle Vorstellungen und Berechnungen seines Freundes; er sieht nichts als seine Alabanda in Tränen. Er eilt mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Welche Vorstellungen, welche Berechnungen sollten gegen diese Blicke, diese Tränen, diesen Busen aushalten können? Er wirft sich zu ihren Füßen, sagt und tut alles was ein schwärmender Liebhaber sagen und tun kann, um eine zweifelnde Geliebte zu beruhigen. Nun sind nicht nur sechs, sechshundert Millionen sind itzt eine Kleinigkeit in seinen Augen – kurz, die angenehmste Aussöhnung erfolgt (nach keiner längern Weigerung, als die Dame nötig glaubt um den Wert davon zu erhöhen) auf diesen kleinen Sturm; Alabanda befestiget sich in dem Herzen des zärtlichen Sultans; das Amphitheater wird gebaut, und der arme Freund (nach einer eben so langen Weigerung auf Seiten seines königlichen Freundes) wie billig aufgeopfert, um die Tränen zu rächen, welche durch seine Schuld die schönsten Augen der Welt trübe gemacht haben.«

»Was sagen Sie zu diesem neuen Talent unsers Freundes Danischmend?« fragte Schach-Gebal die schöne Nurmahal mit einem angenommenen Erstaunen. – »In der Tat«, erwiderte sie, »er hat keine unfeine Gabe, Komödien aus dem Stegreife zu spielen; und wenn mir erlaubt wäre einen Vorschlag zu tun, so wär es, ihn anstatt zum Oberaufseher über die Derwischen, zum Oberaufseher über die Schauspiele in Dely zu machen.«

»Es kann beides sehr wohl mit einander gehen«, erwiderte der Sultan: »man muß die Talente des Mannes nicht unbenützt lassen; er mag es sich selbst beimessen, wenn man viel von ihm fodert. Aber in ganzem Ernste, Danischmend, die Erzählung von den Ausschweifungen, wozu die Prinzessin Alabanda euern armen Azor verleitete, hat mich auf einen Gedanken gebracht, der, wie ich hoffe, den Beifall deiner Philosophie erhalten wird. Mir fiel ein, daß ich meinen Untertanen ein beträchtliches Geschenk machen könnte, wenn ich drei oder vier meiner entbehrlichsten Lustschlösser niederreißen, und die ungeheuern Gärten, Lustwälder und Jagdbezirke, die dazu gehören, zum Anbauen unter sie austeilen ließe.«

»Sire«, sagte Danischmend mit lachenden Augen (denn er hatte bei aller seiner Philosophie zu viel Lebensart, um dem Trieb zum Lachen, der ihn anwandelte, freien Lauf zu lassen), »der bloße Gedanke würde dem Herzen Ihrer Majestät unendlich viel Ehre machen, wenn er auch unausgeführt bliebe; welches« – –

»Nein, nein«, fiel ihm der Sultan ins Wort, »das soll er nicht! Er soll ausgeführt werden; denn was nützt ein Gedanke, der eine bloße Spekulation bleibt? Ich bekümmere mich wenig darum, ob er mir viel oder wenig Ehre macht: aber ich liebe meine Untertanen; ich stelle mir die Freude vor, die ich einigen tausend Haushaltungen dadurch machen könnte, und, ich bekenne euch meine Schwachheit aufrichtig, ich kann dieser Vorstellung nicht widerstehen.«

»Liebenswürdige Schwachheit!« rief die schöne Nurmahal, indem sie eine von den Händen Seiner Majestät an ihre Lippen drückte.

»Die Frage ist nur«, fuhr der Sultan fort, »welche von den vielen, aus denen ich wählen kann, aufgeopfert werden sollen? In der Tat ist keines, das nicht seine eigenen Schönheiten hat. – Doch, das werden wir heute nicht ausmachen. Gute Nacht, meine Kinder! – Danischmend, die erste Komödie, die in meiner Gegenwart aufgeführt wird, soll von deiner Erfindung sein!«

Der junge Mirza, welcher den Auftrag hatte, sich morgen mit Anbruch des Tages bereit zu halten, um den Sultan auf seiner geheimen Reise zu begleiten, brachte diese Nacht bei einer kleinen Mätresse zu, die er in einem sehr artigen kleinen Hause in einer von den Vorstädten von Dely unterhielt. Hier wurde ihm die Zeit so kurz, daß er erst einzuschlafen anfing, als er wieder hätte erwachen sollen. Kurz, er vergaß den Auftrag des Sultans so gänzlich, als ob niemals die Rede davon gewesen wäre; und es war glücklich für ihn, daß sich der Sultan eben so wenig daran erinnerte. In der Tat pflegte Se. Hoheit so viele Einfälle dieser Art zu haben, daß es lächerlich gewesen wäre, Ernst daraus machen zu wollen. Gleichwohl würde der letzte Einfall, mit dem er einschlief, Folgen gehabt haben, wenn Schach-Gebal mit sich selbst und mit seinen geheimen Ratgebern hätte einig werden können, auf welche von seinen Lustschlössern das Verdammungsurteil fallen sollte. Man sprach so lange von der Sache, bis man endlich nichts mehr zu sagen hatte, und da hörte man auf davon zu sprechen. Alles blieb wie zuvor; Schach-Gebal hatte nichts desto weniger das Vergnügen, seinem Herzen mit der großmütigen Freigebigkeit Ehre zu machen, die er in Gedanken ausgeübt hatte.

 

10.

 

»Die erfindsame Phantasie und die verschwenderische Gemütsart der schönen Alabanda« (fuhr Nurmahal fort) »würde allein schon hinlänglich gewesen sein, die Einkünfte des scheschianischen Reiches, so hoch sie sich auch beliefen, zu erschöpfen. Aber die obersten Staatsbedienten, die Finanzaufseher, und das ganze zahlreiche Geschlecht der Günstlinge (denn jeder Günstling hat wieder die seinigen) verschlangen zur nämlichen Zeit so beträchtliche Summen, daß selbst die Verdoppelung der ehmaligen Abgaben (welche von den Zeiten des Krieges her, gegen das königliche Wort, noch immer fortdauerte) zu Bestreitung eines so ungeheuern Aufwandes unzulänglich war. Man sah sich also gezwungen, unter allerlei Vorwand alle Jahre neue Auflagen zu machen. Und da die Regierung um nichts weniger besorgt war, als den arbeitsamen und nützlichen, das ist, den armen Teil der Nation, der dadurch am meisten gedrückt wurde, durch die nötige Aufmunterung und Unterstützung in den Stand zu setzen, so viel von seinem Erwerbe abzugeben: so mußten die Folgen einer so unweisen Staatswirtschaft in wenigen Jahren merklich genug sein, um jeden, der nur einiger Maßen das Ganze zu übersehen fähig war, mit schwermütigen Ahnungen von dem nahen Untergange des Staates zu erfüllen.

Was diejenigen, denen das gemeine Wohl zu Herzen ging, am empfindlichsten beleidigte, war die Gleichgültigkeit des Hofes bei solchen Zufällen, wodurch ganze Provinzen, in den kläglichsten Notstand gesetzt wurden. In einigen richtete, zum Exempel, das Austreten gewisser Flüsse von Zeit zu Zeit die schrecklichsten Verwüstungen an. In andern hatte der Mißwachs, aus Mangel gehöriger Vorsorge und Polizei, Hunger und Seuchen veranlaßt, wodurch ganze Gegenden zum Grabe ihrer elenden Bewohner wurden. Die Hälfte der Unkosten, welche man während dieser öffentlichen Not auf die gewöhnlichen und auf außerordentliche Hoflustbarkeiten verwendete, wäre hinlänglich gewesen, allem diesem Elende zuvorzukommen;20 einem Elende, dessen bloßen Anblick die verzärtelten Sinne und die wollüstige Einbildungskraft des Sultans und seiner Gebieterin nicht eine Minute lang zu ertragen fähig gewesen wären.