Es sind Zeiten gewesen (kein Vernünftiger wird es leugnen), wo man sich durch Kämpfe mit diesen Feinden der Religion und der bürgerlichen Gesellschaft Verdienste machen konnte. Aber sie sind nicht mehr. Andre, in ihren Folgen ungleich mehr verderbliche Ausschweifungen, Geringschätzung der Religion und Ruchlosigkeit, gewinnen unvermerkt immer mehr Grund; die ehrwürdige Grundfeste der Ordnung und der Ruhe der menschlichen Gesellschaft wird untergraben, und unter dem Verwande, einem Übel, welches größten Teils eingebildet ist, zu steuern, arbeitet der zügellose Witz, in den Mantel der Philosophie eingehüllt, der menschlichen Natur ihre beste Stütze, und der Tugend ihre wirksamste Triebfeder zu entziehen. In einem solchen Zeitpunkte können diejenigen, welche es mit der Menschheit wohl meinen, nicht zu vorsichtig sein; und bloß aus dieser Betrachtung haben wir geglaubt, der Welt einen größern Dienst durch die Unterdrückung der besondern Umstände der Religionsgeschichte von Scheschian als durch die Mitteilung derselben zu erweisen.
Damit aber gleichwohl der Zusammenhang des Ganzen nichts dadurch verliere, haben wir für nötig gehalten, dem Leser einen Auszug aus der Erzählung des Philosophen Danischmend mitzuteilen, welcher ihn in den Stand setzen möge, von dem schlechten Zustande der alten scheschianischen Verfassung über diesen Punkt, von den Verdiensten, welche sich der Sultan Ogulum sie erworben, und von dem Zwiespalt, der das Reich zu Azors Zeiten erschütterte, sich wenigstens einen allgemeinen Begriff zu machen.
»Nach dem Beispiele der Ägypter und andrer abgöttischen Völker, verehrten die Scheschianer einen Affen, als den besondern Schutzgott ihrer Nation; und, wie alle asiatischen Länder, wimmelte Scheschian von Bonzen, deren hauptsächlichste Beschäftigung war, das verblendete Volk in der gröbsten Verfinsterung des natürlichen Lichtes, und in einem ihnen allein nützlichen Aberglauben zu unterhalten. Unter den verschiedenen Gattungen derselben, welche Danischmend schildert, begnügen wir uns, nur zweier zu erwähnen, deren Institut uns Europäern unglaublich scheinen müßte, wenn wir nicht aus der Sammlung der so genannten Lettres edifiantes, und aus der Kompilation des P. Dü Halde benachrichtiget wären, daß sich wenigstens von der einen Gattung noch heutiges Tages eine zahlreiche Nachkommenschaft in der Tatarei und in Sina erhalten hat. Die ersten, sagt Danischmend, nannten sich Ya-faou, oder Nachahmer des Affen, und unterschieden sich von den übrigen Bonzen durch eine scheinbare Strenge, ein unreinliches Aussehen, eine große Fertigkeit sich in Begeisterung zu setzen, und eine Unwissenheit, welche nahe an die tierische grenzte. Wenn man den Feinden dieser Ya-faou glauben dürfte, so war kein Laster, welches sie unter dem Mantel von Sackleinwand, womit sie ihre Blöße deckten, nicht ungestraft ausgeübt haben sollten. Man beschuldigte sie der Betrügerei, der Ränkesucht, der Unmäßigkeit, und einer ungezähmten Lüsternheit nach dem Eigentume der Scheschianer; Untugenden, welche sie, wie man sagte, unter einer Maske von Einfalt, Redlichkeit, und Verachtung der irdischen Dinge künstlich zu verbergen wußten. Sie nähren, sagte man, unter dem Scheine der tiefsten Demut den unausstehlichsten Stolz; sie sind rachgierig und grausam bei dem Ansehen einer unüberwindlichen Sanftmut, und allgemeine Feinde der Menschen mit der Miene der Unschuld und Gutherzigkeit. »Diese Beschuldigungen sind zu hart« (fährt Danischmend fort), »als daß es billig wäre ihnen einen unbedingten Glauben beizumessen. Aber dies ist unleugbar, daß die Unnützlichkeit der Ya-faou der geringste Vorwurf war, der ihnen gemacht werden konnte. Sie hatten allem, was man Vernunft, Wissenschaft, Witz, Geschmack und Verfeinerung nennt, einen unversöhnlichen Krieg angekündiget; und ihren unermüdeten Bemühungen war es vornehmlich zuzuschreiben, daß Scheschian in so vielen Jahrhunderten nicht die mindeste Bestrebung zeigte, sich aus dem Wust einer die Menschheit entehrenden Barbarei empor zu arbeiten. In Betrachtung der nachteiligen Folgen einer solchen Tätigkeit, hätte man Ursache gehabt, sich ihnen noch verbunden zu achten, wenn sie sich hätten begnügen wollen, ganz und gar müßig zu sein. Gleichwohl war auch in diesem Falle die Last sie zu füttern keine Kleinigkeit. Denn man rechnete zu Sultan Azors Zeiten über zwölfmal hunderttausend Ya-faou, und sie waren überhaupt Leute von vortrefflichem Appetit. – – Es ist etwas Unbegreifliches, daß diese Nachahmer des Affen zu gleicher Zeit der Gegenstand der lebhaftesten Ehrfurcht und der öffentlichsten Verachtung waren. Man trug sich mit einer unendlichen Menge lächerlicher Erzählungen in Prose und Versen, worin man sich mit ihren Sitten und selbst mit ihrem Stande die größten Freiheiten nahm; man sprach und schrieb und sang auf öffentlicher Straße von ihnen als von dem verworfensten Auskehricht des menschlichen Geschlechtes; man beschuldigte sie ungescheut aller Übeltaten, wozu ihre herumschweifende Lebensart ihnen selbst Gelegenheit und ihren Feinden Vorwand gab. Kurz, derjenige würde lächerlich geworden sein, der in guter Gesellschaft ihren Namen mit dem geringsten Zeichen von Achtung ausgesprochen hätte; und alles dies zu eben der Zeit, da noch eine Menge von Leuten den Staub für heilig ansahen, in welchen ein Ya-faou seine Füße gesetzt hatte; da das gemeine Volk sich mit sklavischer Folgsamkeit in allen seinen Geschäften von ihnen regieren ließ, und viele nichts Angelegneres hatten, als dafür zu sorgen, daß alles, was von ihrem Vermögen nicht schon bei ihren Lebzeiten von diesen würdigen Leuten aufgegessen worden war, ihnen wenigstens nach ihrem Tode nicht entgehen möchte.
Ich kann nicht umhin« (fährt Danischmend fort) »›noch einer Gattung von privilegierten Müßiggängern zu erwähnen, deren Institut, so seltsam es auch beim ersten Anblicke scheint, aus einem gewissen Gesichtspunkt betrachtet, etwas Gemeinnütziges hatte, wodurch es sich über die übrigen Gattungen der Ya-faou erhob. Man nannte sie scherzweise die Fruchtbringenden; allein sie selbst legten sich, wegen der Unabhänglichkeit, von welcher sie Profession machten, den stolzen Namen Kamfalu, Könige der Meinungen , bei. Ungeachtet ein altes Vorurteil ihnen einen Teil der Vorrechte und des Ansehens der Ya-faou beilegte, so scheinen sie doch mehr eine Sekte von Freigeistern als wirkliche Bonzen gewesen zu sein, und in ihren Grundsätzen sowohl als in ihrer Lebensart vieles mit den Cynikern der alten Griechen, mit den Anhängern des Lao-Kiun in Sina, und mit unsern Kalendern gemein gehabt zu haben. Sie lebten zwar auch auf Unkosten des Volkes wie die Ya-faou; aber sie bezahlten gleichsam dafür mit einer Menge kleiner Talente, wodurch sie sich angenehm und beinahe unentbehrlich zu machen wußten. Sie belustigten die Großen mit ihrem Witze, und sich selbst mit der Leichtgläubigkeit des Volkes. Die Freiheit, die ihnen ihr Orden gab über alles zu spotten, und ein unerschöpflicher Vorrat von mutwilligen Erzählungen und Anekdoten verschaffte ihnen Zutritt in der schönen Welt; und so groß ist die Macht eines eingewurzelten Vorurteils, daß der Morgenbesuch eines Kamfalu bei einer schönen Frau als eine Sache die nichts zu bedeuten habe angesehen wurde. Aber die Kamfalu kannten den Wert ihrer Vorrechte zu gut, um sich allein auf die vornehme Welt einzuschränken: und wenn sie sich bei der Dame beliebt machten, indem sie ihrem Schoßhunde liebkoseten und über ihre Nebenbuhlerin lästerten; so schmeichelten sie sich der jungen Bäurin durch ein sympathetisches Mittel, sich der Treue ihres Mannes zu versichern, ein, oder indem sie ihr aus der Hand weissagten, daß sie fünf- oder sechsmal Witwe zu werden Hoffnung habe. Sie waren im Besitz von einer Menge bewährter Hausmittel gegen alle Zufälle, welche Menschen und Vieh zustoßen können; sie schlichteten die kleinen Streitigkeiten zwischen Eheleuten, Verwandten und Nachbarn; und es gab wenig Heiraten unter dem Volke, die nicht ein Kamfalu gestiftet hätte. Eine von den Regeln ihres Ordens, die keine Ausnahme zuließ, war, kein Mitglied in denselben aufzunehmen, welches sich nicht durch eine fechtermäßige Gestalt und eine blühende Gesundheit zu dieser Ehre legitimieren konnte. Aber was ihnen am meisten Ansehen und Vorteile verschaffte, war der Ruf, ein besonderes Geheimnis wider die Unfruchtbarkeit zu besitzen. Man versichert, daß in den Zeiten, da die aufs höchste gestiegenen Ausschweifungen ihre schädlichen Folgen zum Nachteil der Bevölkerung am stärksten geäußert, die edelsten Geschlechter von Scheschian die Erhaltung ihres Stammes lediglich dem geheimen Mittel der Kamfalu zu danken gehabt hätten. Ein Verdienst, wodurch sie, nach dem Urteile der Staatskundigen, sich ein so starkes Recht an die öffentliche Dankbarkeit erwarben, daß selbst der große Sultan Tifan, da er alle Arten von herum schweifenden Bonzen gänzlich aufhob, die einzigen Fruchtbringenden, als Leute die dem Staate wichtige Dienste geleistet hätten, bei ihrem alten Vorrecht erhielt, auf Kosten ihrer freiwilligen Wohltäter müßig zu gehen.«
»Ich finde«, sagte Schach-Gebal, »diese Achtung des Sultans Tifan für die Verdienste der Fruchtbringenden um so lobenswürdiger, da ich versichert bin, daß die Erben, womit der Adel von Scheschian durch ihre Vermittelung versehen wurde, stärkere Sennen und frischeres Blut in die Familien brachten, und also tüchtig wurden, die Stammväter einer markigern Nachkommenschaft zu werden.
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