Indessen sollte nichts wundern, wenn die Ya-faou nicht aus dem nämlichen Grunde einiges Recht an die Nachsicht des Königs Tifan gehabt hätten.«

»Sire«, versetzte Danischmend, »das herbe und abschreckende Aussehen, welches diese letztern sich gaben, scheint ihnen größten Teils die Gelegenheit, sich um die höhern Klassen des Staats verdient zu machen, abgeschnitten zu haben. Vermutlich fehlte es ihnen an gutem Willen nicht; aber da sie aus der feinen Welt gänzlich ausgeschlossen waren, sahen sie sich genötiget, ihn bei den geringern Klassen gelten zu machen, wo ihr Beistand, wenigstens in Rücksicht auf den Staat, gänzlich in Verlust ging, folglich nichts Verdienstliches haben konnte.«

Nachdem Danischmend von den verschiedenen Gattungen und Arten der scheschianischen Bonzen, von ihren Grundsätzen, von ihrem Götzendienste, von ihrer vorgegebenen Zauberkunst, von dem Orakel der großen Pagode, und besonders von den Mitteln, wodurch sie sich eine beinahe unumschränkte Gewalt über die Köpfe und über die Beutel der Scheschianer zu erwerben gewußt, umständliche Nachricht gegeben; läßt er sich in eine weitläufige, und für jeden andern als den Sultan Gebal tödlich langweilige Erzählung gewisser Streitigkeiten ein, welche um sehr unerheblicher Dinge willen unter diesen Bonzen entstanden sein, und durch die unvorsichtige Teilnehmung des Hofes an denselben Gelegenheit gegeben haben sollen, daß die Nation sich in verschiedene Parteien zerspaltet, aus deren heftigem Zusammenstoß endlich einer der wütendsten Bürgerkriege, wovon man jemals ein Beispiel gesehen, entstanden sei. Der gänzliche Untergang des Staates würde unvermeidlich gewesen sein, wenn nicht glücklicher Weise für dieses betörte Volk Ogul-Kan dazwischen gekommen, und durch seine Eroberung die tobenden Bonzen genötiget hätte ihrer Privathändel zu vergessen, um auf ihre gemeinschaftliche Erhaltung bedacht zu sein.

»Gut« (ruft hier Schach-Gebal aus), »hier erwartete ich meinen guten Bruder Ogul-Kan. Ich bin sehr begierig zu hören, was er zu den Streitigkeiten der scheschianischen Bonzenschaft gesagt haben mag. Denn bei aller Achtung, die ich für seine übrigen Verdienste hege, wird er mir nicht übel nehmen, wenn ich mir ihn als einen sehr mittelmäßigen Metaphysiker vorstelle.«

»Sire« (versetzt Danischmend), »der bloße Menschenverstand, von welchem er sich in dieser Sache leiten ließ, führte ihn sicherer, als die subtilste Dialektik vielleicht hätte tun können. Die tatarische Horde, deren Anführer er war, hatte von ihren Voreltern eine sehr einfältige Religion geerbt. Sie kannten weder Tempel noch Priester. Sie verehrten einen unsichtbaren Herrn des Himmels, von welchem sie glaubten, daß er die guten Menschen liebe und die bösen – nicht hasse, sondern besser mache. Sie hielten es für unrecht ein Bild von ihm machen zu wollen. Denn (sagten sie in ihrer Einfalt) wenn man auch den großen Berg Kantal selbst zu seinem Bilde aushauen wollte, so würde dies dennoch nur eine sehr kindische Vorstellung von der Größe eines Monarchen geben, der die Sonne in der einen Hand und den Mond in der andern hält. Diesem Begriffe zu Folge begnügten sie sich, in jedem Hause eine schwarze Tafel an der Wand hängen zu haben, worauf mit goldnen Buchstaben geschrieben stand: ›Ehre sei dem Herrn des Himmels!‹ Vor dieser Tafel pflegten sie täglich etwas Räuchwerk anzuzünden; sie baten dabei den Herrn des Himmels, daß er sie an Leib und Seele gesunderhalten möchte; und hierin bestand ihr ganzer Gottesdienst.24 Es war also nicht wohl anders möglich, als daß sie die Religion von Scheschian zugleich mit Verachtung und mit Abscheu ansehen mußten; und Ogul-Kan konnte mit allem seinem Ansehen nicht verhindern, daß nicht in der ersten Hitze eine große Anzahl von Pagoden zerstört worden wäre. Dieser Prinz scheint zwar selbst kein Freund des Aberglaubens gewesen zu sein; aber er war ein zu vernünftiger Mann, um zu fodern, daß seine neuen Untertanen auf einmal eben so vernünftig sein sollten wie er. Er wußte, daß die Gewalt eines Monarchen sich nicht über Gewissen und Einbildung erstreckt; er wußte auch, wie gefährlich es ist, eine noch unbefestigte Regierung mit Unternehmungen gegen die eingeführte Religion anzufangen. Er bezeigte sich also sehr billig, ja sogar günstig gegen die Priesterschaft von Scheschian; erklärte sich öffentlich, daß er sie bei ihren Gerechtsamen und Vorteilen schützen und nichts gegen ihre Religion unternehmen wolle; und hielt was er versprochen hatte.

Kaum fingen die Bonzen wieder an, der Ruhe zu genießen, welche sie der Regierung dieses weisen und guten Königs zu danken hatten: so erinnerten sie sich auch ihrer ehmaligen Streitigkeiten wieder; und auf einmal wurde wieder von allen Seiten zum Treffen geblasen. Aber hier hörte die Gefälligkeit des Sultans Ogul auf. Er ließ ein Edikt ausgehen, worin einem jeden erlaubt wurde, seine Meinung über die Gegenstände des Streites mit Bescheidenheit bekannt zu machen; aber er verbot zugleich alle Bitterkeit, und alle Anzüglichkeit im Disputieren; und um seinem Verbot den gehörigen Nachdruck zu geben, setzte er die Strafe von zweihundert Streichen auf die Fußsohlen darauf, wenn sich jemand, wer es auch wäre, gelüsten ließe, einen andern seiner Meinungen wegen zu schimpfen oder zu verdammen. ›Meinungen über Dinge, welche ihren Besitzer zu keinem schlimmern Manne machen, sind weder Staatssachen noch Verbrechen‹, sagte er: ›ich werde mich niemals damit abgeben, sie zu untersuchen, und noch weniger mich bereden lassen, sie zu bestrafen. Gedanken und Träume25 sollen in meinem Reiche frei sein; und man soll keinem Menschen verwehren, seinen Traum zu erzählen, oder seine Meinung zu sagen, wenn er jemand findet der ihm zuhören will. Das einzige Mittel, Grillen und Meinungen unschädlich zu machen, ist, wenn man ihnen Luft läßt. Laßt die Bonzen in Scheschian, so lange sie wollen, untersuchen, ob ihr großer Affe ein Genius oder ein Orang-Outang gewesen, ob er zu Wasser oder zu Lande in Scheschian angekommen, oder ob er aus dem Schweif eines Kometen herab gefallen sei: so lange die Untersuchung eine Privatsache bleibt, und der Streit mit Bescheidenheit geführt wird, kann die Ruhe des gemeinen Wesens nichts davon zu besorgen haben.‹26 Aber Ogul-Kan dürfte sich nur verleiten lassen, aus solchen Streitfragen eine Staatsangelegenheit zu machen, wenn in wenig Jahren das ganze Reich in Feuer stehen sollte.

»So dachte der weise Ogul« (fährt Danischmend fort), »und verdient Ehrensäulen dafür, daß er so dachte. Aber diese Politik war nicht nach dem Geschmack der Bonzen. Sie ließen es darauf ankommen, ob er den Übertretern des Gesetzes sein Versprechen halten würde. Ogul hielt sein Versprechen pünktlich. Ein Ya-faou, der die Meinungen eines gewissen Tulpan, welche vor der Eroberung viele Bewegungen verursacht hatten, öffentlich mit großer Heftigkeit bestritt, und die Anhänger derselben für unwürdig erklärte von Sonne und Mond beschienen zu werden, empfing auf dem größten Marktplatze der Stadt Scheschian die ganze Summe der zweihundert Prügel auf die Fußsohlen, ohne daß Einer daran fehlte; und da sein Geschrei und seine Aufhetzungen einen Aufruhr unter dem Pöbel verursachten, ließ Ogul-Kan die Schuldigen, an der Zahl zweitausend, von seiner tatarischen Leibwache umringen, und den funfzigsten Mann von ihnen, ohne Ansehen der Person, an die kahl gemachten Äste eines hohen Eichbaums aufhängen, der im äußersten Vorhofe der großen Pagode stand. Diese Justizpflege war ein wenig tatarisch: aber sie brachte ein großes Gut hervor; denn sie machte die Bonzen verträglich. Das Volk schrie über Tyrannei; Sultan Ogul kehrte sich nicht daran; und in kurzem erkannte die Nation mit Dankbarkeit, daß er sie durch eine wohl angebrachte Strenge von einem großen Übel befreiet hatte.

Von der Zeit an, da die Bonzen in ihren Streitschriften nicht mehr schimpfen, und durch geheime oder öffentliche Beschuldigungen ihren Gegnern keinen Schaden mehr zufügen durften, verloren sie auch die Leidenschaft zum Grübeln und Streiten, wovon sie seit geraumer Zeit besessen gewesen waren. Sie fingen an gewahr zu werden, daß sie sich dadurch bei Vernünftigen nur lächerlich machten, und glaubten weiser zu handeln, wenn sie ihren Witz anwendeten, die Religion von Scheschian mit dem gesunden Menschenverstande ihrer neuen Gebieter auszusöhnen. Diesem löblichen Vorsatze zu Folge geschah es, daß sie, indem sie sich bemühten ihre Grundsätze in das vorteilhafteste Licht zu stellen, unvermerkt auf einen ziemlich einförmigen Lehrbegriff gerieten, der den Tatarn immer einleuchtender wurde: und da die Kamfalu zu gleicher Zeit mit gutem Erfolg an der Bekehrung der tatarischen Schönen arbeiteten; so fand sich nach wenigen Jahren, daß die Eroberer (den König und einige seiner Vertrauten ausgenommen) die Religion des Landes angenommen hatten, ohne daß man recht sagen konnte, wie es zugegangen war. Aber es fand sich auch zugleich, daß die Wallfahrten nach der großen Pagode merklich abnahmen. Es entstand aus der Vermischung des scheschianischen Aberglaubens mit dem groben tatarischen Menschenverstand eine Art von Mittelding, welches zwar keine neue Religion vorstellte, aber doch unvermerkt in dem Nationalgeiste, in den Vorurteilen, Gewohnheiten und Sitten von Scheschian eine Veränderung hervorbrachte, welche mit einigem Grund ein Schritt zur Verbesserung genannt werden konnte.