Denn der scherzende Ton, worin er zuweilen sehr ernsthafte Wahrheiten sagte, und die launige Freimütigkeit, womit er der Heuchelei die Maske abnahm und der Verblendung die Augen öffnete, waren in den ihrigen untrügliche Zeichen seines bösen Willens gegen die Tugend. In der Tat dachte Kador von den Tugenden der Sterblichen nicht ganz so günstig, als diejenigen, welche selbst für Muster angesehen werden wollen, zu wünschen Ursache haben. Er leitete die meisten praktischen Urteile und Handlungen der Menschen aus den mechanischen Wirkungen physischer Ursachen, oder aus den geheimen Täuschungen der Einbildung und des Herzens her; und je erhabener die Beweggründe waren, aus welchen jemand zu handeln vorgab, desto größer war das Mißtrauen, welches er entweder in die Redlichkeit dieses Jemands oder in die Gesundheit seines Gehirnes setzte. Wiewohl er überhaupt eine sehr gute Meinung von der menschlichen Natur hegte, so behauptete er doch, sie sei binnen etlichen tausend Jahren, durch die unaufhörliche Bemühung an ihr zu künsteln, zu bessern und zu putzen, so übel zugerichtet worden, daß es leichter sei an einem verstümmelten Götterbilde die Majestät des Gottes, den es vorgestellt, als in den menschlichen Karikaturen, die sich vor unsern Augen herum bewegen, die ursprünglich schöne Form der Menschheit zu erkennen. Indessen gab es doch, seiner Meinung nach, immer eine Anzahl schöner Seelen, welche (durch glückliche Zufälle, oder, wie er geneigter war zu glauben, durch die geheimen Veranstaltungen einer wohltätigen Gottheit), wo nicht ganz unverstümmelt, doch wenigstens nur mit leichten Beschädigungen, noch ganz leidlich davon gekommen wären. Er erklärte sich für den wärmsten Liebhaber dieser schönen Seelen: von ihnen allein dacht er gut; ihnen allein traute er jede edle Gesinnung, und die Fähigkeit, der Tugend große Opfer zu bringen, zu. Die übrigen mochten noch so künstlich angestrichen, noch so gothisch herausgeputzt, in noch so weite und lang schleppende Mäntel eingehüllt sein, kurz, sich noch so viele Mühe geben, durch entlehnte Zieraten und äußerliche Formen von Weisheit und Tugend Hochachtung zu erwecken: an ihm verloren sie ihre Mühe. ›Es sind Pagoden‹, pflegte er lächelnd zu sagen, ›welche sehr wohl tun, sich, wie die sinesischen, in weite Mäntel zu hüllen; durchsichtiges Gewand würde ihre Ungestalt zu sichtbar machen.‹ Kador mochte wohl so unrecht nicht haben, als die Pagoden, seine Gegner, die Welt gern überredet hätten. Gewiß ist, daß der bessere Teil der Welt sich nicht überreden lassen wollte, und daß er gerade so viele gesunde Köpfe und schöne Seelen, als man ihrer damals in Scheschian zählte, auf seiner Seite hatte. Selbst diejenigen, welche nicht in allen Stücken seiner Meinung waren, billigten sowohl seine Absichten als die Mittel wodurch er sie ausführte, und erkannten in ihm den aufrichtigen Liebhaber des Wahren, und den wohl meinenden Freund der Menschheit. Aber zufälliger Weise hatte er das Mißvergnügen, daß einige seiner Grundsätze von einer Art von Leuten gemißbraucht wurden, denen es gleich stark an feinerem Gefühle des Herzens und an Richtigkeit der Beurteilung mangelte. Das Wahre grenzt immer so nah an den Irrtum, daß man keinen großen Sprung vonnöten hat, aus dem sanft sich empor windenden Pfade des einen in die reizenden Irrgärten des andern sich zu verirren. Diese Leute gaben sich das Ansehen, dem besagten Schriftsteller in allem beizustimmen, einen einzigen Punkt ausgenommen. ›Er hat recht‹, sagten sie, ›so lang er in seinem wahren Charakter bleibt, so lang er das Eitle der menschlichen Begriffe und Leidenschaften schildert, und das Lächerliche ihrer Forderungen an Weisheit und Tugend aufdeckt. Aber er schwärmt selbst, sobald er von schönen Seelen, von der Zauberei der Empfindung, von Sympathie mit der Natur, und von der Göttlichkeit der Tugend fabelt. Es gibt keine schöne Seelen, und nur ein Tor glaubt an die Tugend. Was die Menschen Tugend nennen, besteht, wie die Münze in gewissen Ländern, in einer Anzahl abgeredeter Zeichen, welche man unter einem gewissen Stempel für einen gewissen Preis in Handel und Wandel gelten zu lassen übereingekommen ist. Der innere Wert kommt dabei gar nicht in Betrachtung. Dem Korn nach ist eben so wenig Unterschied zwischen dem Schelm, der gehangen wird, dem Nachrichter, der ihn hängt, und dem Richter, der ihn hängen läßt, als zwischen dem geschmeidigen Europäer, dem aufgeblasenen Perser, dem andächtigen Armenier, dem höflichen Sinesen, und dem rohen Kamtschadalen. Das Gepräge macht den ganzen Unterschied.‹

Die Leute, welche so dachten, fanden bald Anhänger genug, um eine zahlreiche Sekte auszumachen. Sie nannten sich die Philosophen, und wer nicht von ihrer Brüderschaft war, hatte die Freiheit von den Titeln Betrüger oder Schwärmer welchen er wollte auszuwählen. Denn nach ihren Grundsätzen mußte er notwendig eines von beiden sein. Der ehrliche Kador erfuhr die Kränkung, von der kurzsichtigen Menge mit diesen anmaßlichen Philosophen in Eine Linie gestellt zu werden, weil sie zuweilen seine Sprache redeten, und in gewissen Stücken eben das zu tun schienen, was Er getan hatte. Man konnte oder wollte nicht gewahr werden, daß nichts verschiedener sein konnte, als der Geist, welcher ihn, und der welcher diese Philosophen beseelte, und als der Endzweck, den Er und Sie sich vorgesetzt hatten. Wenn Er des Schwärmers spottete, und den Afterweisen, den Betrüger, oder den Selbstbetrogenen ihrer Ansprüche an Weisheit und Tugend entsetzte: so geschah es auf eine Weise, welche in Personen von gesundem Urteile keinen Zweifel veranlassen konnte, daß er es nicht redlich mit Wahrheit und Tugend meine. Wenn Sie hingegen eben dies zu tun schienen, fiel es in die Augen, daß ihre Absicht sei, die Tugend selbst lächerlich zu machen, und den ewigen Unterschied zwischen wahr und falsch, Recht und Unrecht aufzuheben. Der Schmerz, sich mit einer Klasse von Menschen, die er verachtete, vermengt zu sehen, und die Gefahr, durch den Mutwillen der einen und den Unverstand der andern wider seinen Willen Böses zu tun, brachte ihn, ohne daß er sich einen Augenblick bedachte, zu der einzigen Entschließung, welche in solchen Umständen eines ehrlichen Mannes würdig war. Er erklärte sich öffentlich, und mit Verachtung des Tadels und der Vorwürfe, welche er von beiden Gattungen zu erwarten hatte, für die Sache der Tugend. Aber da er, seiner Überzeugung treu, fortfuhr, keine Tugend gelten zu lassen, welche nicht, zum untrüglichen Zeichen ihres innern Wertes, mit dem Stempel der schönen Natur bezeichnet war: so erfolgte was er vorher gesehen hatte. Die besagten Philosophen und der Pöbel der Moralisten waren in gleichem Grade unzufrieden mit ihm.