Beide fanden in seinen Schriften so viel Vorwand als sie nur wünschen konnten, seine Grundsätze und seine Absichten in ein falsches Licht zu stellen; und am Ende zeigte sich, daß er mit allen seinen Bemühungen nichts gewonnen hatte, als die kleine Zahl der Vernünftigen in der Überzeugung zu stärken: Daß Blödigkeit des Geistes und Verkehrtheit des Herzens gleich unheilbare Übel sind; daß es zwar nicht unmöglich ist, durch mechanische Mittel den großen Haufen der Menschen zu einer ganz leidlichen Art von – Tieren zu machen; aber, daß Weisheit und Güte ewig ein freiwilliges Geschenk bleiben werden, welches der Himmel nur den schönen Seelen macht.«

»Was du uns hier erzähltest, Danischmend, möchte sich an einem andern Orte ganz gut haben hören lassen«, sagte der Sultan: »aber du scheinst darüber vergessen zu haben, daß die Rede nicht von deinem Freunde Kador, sondern von dem Prinzen Isfandiar, und von einem gewissen schelmischen Kamfalu war, den du uns als einen Verführer dieses jungen Menschen bekannt machen wolltest.«

»Sire« (war Danischmends Antwort), »Ihre Hoheit ziehen mich in diesem Augenblicke aus keiner geringen Verlegenheit. Ich fing eben an gewahr zu werden, daß ich mich verirret hätte; und wer weiß was für Wendungen ich hätte nehmen müssen, um mich wieder auf den Punkt zu finden, den ich unvermerkt aus dem Gesichte verlor! Der Kamfalu also, zu welchem Sie mich zurück zu bringen die Gnade haben, war eines von diesen verzärtelten Kindern der Natur, welche sie in einem Anstoß von verschwenderischer Laune mit allen ihren Gaben überhäuft, aber vor lauter Eilfertigkeit die einzige vergessen hat, ohne welche alle übrige mehr gefährliche als vorteilhafte Geschenke sind. Er war von schöner Bildung, und der Bau seines Körpers schien Unsterblichkeit anzukündigen. Er besaß in einem hohen Grade alles was einen jungen Mann zu einem Günstling des schönen Geschlechtes zu machen pflegt, und alles was ihn im Besitz ihrer Gunst erhalten kann. Er war lebhaft, feurig, unternehmend, und niemand hatte die Kunstsprache der Zärtlichkeit, und alle die schlauen Verführungskünste, wodurch sich die Schönen wissend oder unwissend hintergehen zu lassen gewohnt sind, mehr in seiner Gewalt als er. Das Einnehmende seiner Person, ein unerschöpflicher, mit der größten Leichtigkeit in tausend Gestalten sich verwandelnder Witz, und eine natürliche Beredsamkeit, bei welcher ihm, in gewissen Fällen, seine Begierden die Dienste der höchsten Begeisterung taten, machten ihn zum angenehmsten und gefährlichsten Gesellschafter von der Welt. Nichts konnte leichtfertiger sein als seine Grundsätze in Beziehung auf die Gebieterinnen unsers Herzens; aber unglücklicher Weise für das ganze Scheschian waren diese Grundsätze ein Teil des allgemeinen Systems seiner sittlichen Begriffe. Eblis (so nannte sich der Kamfalu), dessen Herz keine Vermutung hatte, daß es eine höhere Art von Wollust gebe als die Befriedigung der Sinne und das eigennützige Vergnügen des gegenwärtigen Augenblicks – Eblis hatte sich ein System gemacht, aus welchem Wahrheit, Tugend, Zärtlichkeit, Freundschaft, kurz, jedes schönere Gefühl und jede edlere Neigung, verbannt waren. ›Alles ist wahr‹, sagte er, ›je nachdem wir es ansehen; von unserer innerlichen Stimmung und von dem Gesichtspunkt, woraus wir sehen, hängt es lediglich ab, ob uns ein Gegenstand schön oder häßlich, gut oder böse scheinen soll. Tugend ist eine Übereinkunft der feinern Köpfe, durch einen angenommenen Schein von Gerechtigkeit, Uneigennützigkeit und Großmut dem großen Haufen Zutrauen und Ehrfurcht einzuflößen. Sie bedient sich dazu einer gewissen hoch tönenden Sprache, gewisser edler Formen und schlauer Wendungen, welche sie unsern Neigungen und Handlungen gibt, um das Ziel unsrer Leidenschaften desto sicherer zu erhalten, je behutsamer wir es den Augen der Welt zu entziehen wissen. Müßige oder bezahlte Pedanten haben diese Sprache, diese Formen in einen wissenschaftlichen Zusammenhang räsoniert. Blöde Köpfe sind einfältig genug gewesen, diese Zeichen für Sachen anzusehen, und unter diesen leeren Formen gleichsam einen Körper zu suchen. Narren haben sich zu allen Zeiten vergebens oder auf Unkosten ihrer Vernunft bemüht, uns die Tugend, von welcher jene schwatzten, in ihrem Leben zu zeigen. Aber ein dreifacher Tor müßte der sein, der einen Freund auf Unkosten seiner selbst glücklich machen, – der den Augenblick, das Einzige was in seiner Gewalt ist, einem Traume von Zukunft aufopfern, – oder für andre leben wollte, wenn er sie nötigen kann für ihn da zu sein!‹ Diese abscheuliche Moral« –

»Ich besorge, Danischmend, es ist die Moral von zwei Fünfteln meiner Rajas, Omras und Mollas«, sagte der Sultan.

»Das verhüte der Himmel«, versetzte Danischmend. »Aber dessen bin ich versichert, daß es, wenn unser Herz uns nicht, wider Willen unsrer Köpfe, zu bessern Leuten machte, die Moral aller Erdenbewohner wäre.«

»Mir deucht«, sprach die schöne Nurmahal, »nichts beweiset besser, wie wahr es ist, daß nur die schönen Seelen der Tugend fähig sind, als der Ton, in welchem Eblis von dieser ihm unbekannten Gottheit spricht. ›Ein dreifacher Tor müßte der sein, der seinen Freund auf Unkosten seiner selbst glücklich machen wollte.‹ Ja wohl, Eblis! ein dreihundertfacher Tor müßt er sein. Aber dies weiß Eblis nicht – denn woher sollt er es wissen können? – daß der Fall, den er setzt, gar nicht möglich ist. Ein Freund kann für seinen Freund nichts auf Unkosten seiner selbst tun, – denn dieser Freund ist er selbst.34 Welchen größern Gewinn konnt er machen als die Glückseligkeit seines Freundes? Er könnte sein Leben für ihn geben, und würde in dem letzten Augenblicke, der vor diesem süßen Opfer vorher ginge, mehr leben als in zwanzig Jahren, die er bloß sich selbst gelebt hätte.«

»Schwärmerin! – komm und gib mir einen Kuß«, rief der Sultan. »Zweiundzwanzig Jahre, seit ich Sultan bin, verhindern mich nicht zu fühlen, daß etwas in dieser Schwärmerei ist, das meine ganze Sultanschaft aufwiegt.«

»Die Grundsätze des verführerischen Eblis fanden in dem Herzen des Prinzen Isfandiar so wenig Widerstand, daß sie sich ohne große Mühe seines Kopfes bemeistern konnten. Eblis hatte das Anstößige, welches sie für eine jede noch nicht ganz verdorbene Seele haben müssen, so geschickt zu verbergen gewußt, daß der Prinz sich mit vollkommner Sicherheit dem Vergnügen überließ, seinen Geist, wie er wähnte, von Vorurteilen zu entfesseln, deren Joch nur diejenigen tragen müßten, welche zum Gehorchen geboren wären. Da er ohnehin eine starke Neigung in sich fühlte, seine Laune zur einzigen Regel seiner Urteile und Handlungen zu machen: so konnt es nicht wohl anders sein, als daß er ein System sehr überzeugend finden mußte, welches ihm, von dem Augenblick an, da er alles können würde was er wollte, die Vollmacht erteilte, alles zu wollen was er könnte.

Die Ungeduld, so viel Jahre als der König sein Vater noch zu leben hätte, zwischen sich und dem Ziele seiner feurigsten Wünsche zu sehen, nahm mit jedem Jahre so stark zu, daß sie bei einem Prinzen, der so wenig gewohnt war seinen Leidenschaften zu gebieten, sich endlich zu deutlich verraten mußte, um dem alten Azor verborgen zu bleiben. Alle Mühe, die sein Liebling anwandte, ihn zu einem klügern Betragen zu bereden, war vergeblich. Isfandiar tadelte alle Maßregeln des Hofes, sprach mit sehr wenig Zurückhaltung von den Schwachheiten seines Vaters, und begegnete der schönen Gulnaze so, als ob er sich vorgesetzt hätte, sie alle Augenblicke zu erinnern daß sie eine persische Tänzerin gewesen sei.

Azor ertrug diesen Übermut mit einer Nachsicht, welche zu sehr die Miene einer Schwachheit hatte, um den Prinzen zum Gefühl seiner Pflicht zurück zu bringen; und in der Tat würde ein strengeres Verfahren zu nichts gedient haben, als ihn die Abnahme seines Ansehens und die Ohnmacht einer zum Ende sich neigenden Regierung desto kränkender fühlen zu lassen. Die seinige war so verhaßt, daß sein Thronfolger schon dadurch allein, weil er sie öffentlich mißbilligte, der Abgott des Volkes wurde. Der Hof des letztern vergrößerte sich zusehens; und man sprach endlich so laut von der Notwendigkeit, den alten König einer Bürde, welche jüngere Schultern erfordre, zu entladen; daß Isfandiar vermutlich nicht länger gezögert haben würde, diese Gesinnungen der Nation zum Vorteil seiner Wünsche anzuwenden, wenn ihn nicht der Tod des Königs wenigstens dieser letzten Stufe seines Verbrechens überhoben hätte.

Niemals sind die Erwartungen eines Volkes stärker betrogen worden, als an dem Tage, da Isfandiar den Thron von Scheschian bestieg. Aber was für Ursache hatten auch die Scheschianer mehr von ihm zu erwarten als von seinem Vater? Wie viele Könige, welche sich durch die heiligsten Gelübde verbinden müssen nur für die Glückseligkeit ihrer Völker zu leben, erinnern sich dieser Gelübde noch, nachdem sie den ersten Zug aus dem Zauberkelch der willkürlichen Gewalt getan haben? In Scheschian mußten sich die Könige zu nichts verbinden. Das Volk schwor ihnen grenzenlosen Gehorsam, und sie – erlaubten, am Tag ihrer Krönung, dem geringsten ihrer Untertanen – den Saum ihres Mantels zu küssen. Was für Erwartungen kann ein Volk auf eine solche Gnade gründen?

Azor hatte vor seiner Thronbesteigung alle Herzen durch Leutseligkeit und Güte gewonnen; man erwartete goldne Zeiten von ihm, und fand sich betrogen.

Isfandiar hatte sich nie die geringste Gewalt angetan, die ungestüme Hitze, die Unempfindlichkeit und das Wetterwendische seiner Gemütsart zu verbergen. Niemand wußte einen Zug von ihm anzuführen, der eine große Seele oder ein wohltätiges Herz bezeichnet hätte.