Allein man war der langen Regierung seines verhaßten Vaters überdrüssig; Isfandiar hatte sich öffentlich an die Spitze der Mißvergnügten gestellt; man hoffte, daß derjenige besser regieren würde, der von den Gebrechen der alten Regierung so lebhaft gerührt schien, und so viele Gelegenheit gehabt hatte durch fremde Fehler weise zu werden. Aber man betrog sich sehr. Isfandiar würde sich eben so mißvergnügt bezeigt haben, wenn Azor der beste der Könige gewesen wäre.
Die erste Probe, welche der neue Sultan von seinem Vorhaben ohne Grundsätze zu regieren gab, war die Veränderung, die er bei Hofe und in der Staatsverwaltung vornahm.
In den letzten Jahren Azors hatte man sich durch die äußerste Not gedrungen gesehen, den übermäßigen Aufwand der Hofhaltung einzuschränken, und einige Männer von bewährter Redlichkeit und Einsicht zu den wichtigsten Staatsbedienungen zu berufen. Es war zu spät für die Glückseligkeit von Scheschian; aber noch immer früh genug, um noch größere Übel zu verhüten. Durch die Weisheit und unverdrossene Arbeit dieser ehrwürdigen Alten war die Staatswirtschaft in bessere Ordnung gebracht, und dem Volk, ohne Nachteil der Krone, beträchtliche Erleichterung verschafft worden. Isfandiar zählte vermutlich beides unter die Mißbräuche; denn er setzte seinen Hofstaat auf einen prächtigern Fuß, als er in den glänzendsten Zeiten Azors gewesen war; und die einzigen unter den Staatsbedienten seines Vaters, welche er um jeden Preis hätte kaufen sollen, wurden abgedankt. Sie mußten einem Schlaukopfe Platz machen, der sich durch ein Projekt, die Scheschianer, mittelst eines neu erfundenen Kunstworts, die Luft, welche sie einatmeten, versteuern zu lassen, das Vertrauen Seiner Hoheit erworben hatte.
Isfandiar hatte kaum einige Monate das Vergnügen geschmeckt alles zu tun was ihm beliebte, als er anfing sich seinen Launen mit einer Sorglosigkeit zu überlassen, welche, ungeachtet des jovialischen Geistes, womit er sie würzte, in den Augen der Vernunft eine desto anstößigere Art von Tyrannei war, weil sie bewies, daß er fähig sei, mit kaltem Blut und bei völligem Gebrauch seiner Sinne die unsinnigsten Dinge zu tun. Er schien sich sehr viel damit zu wissen, daß er keine erklärte Favoritin hatte wie sein Vater. Aber dafür hielt er eine ungeheure Menge von Hunden, Jagdpferden und Falken; gab unermeßliche Summen für Gemälde aus, ohne den geringsten Geschmack von der Kunst zu haben, und belohnte mit unmäßiger Verschwendung alle Abenteurer und Landstreicher, die, mit dem Titel witziger Köpfe, Virtuosen und Besitzer seltsamer Kunststücke, an seinen Hof kamen, weil, wie sie sagten, nur der größte der Könige würdig sei, der Besitzer ihrer Talente und Raritäten zu sein.
Ohne irgend eine herrschende Leidenschaft zu haben, hatte er nach und nach alle, und jede mit desto größerer Wut, weil er vorher sah, sie würde bald von einer andern verdrängt werden. Das arme Scheschian gewann also wenig bei seiner Mäßigung in einem einzigen Punkte; einer Mäßigung, wovon der Grund vielmehr in seiner Unfähigkeit zu lieben, als in seiner Weisheit lag, und welche ihn nicht verhinderte, wenn es ihm einfiel, die Einkünfte einer ganzen Provinz an die erste sinesische Gauklerin, die ihn eine Viertelstunde belustigte, wegzuschenken.
Eben dieselbe wunderliche Laune, welche die Regel seines Geschmacks war, regierte ihn bei Besetzung der wichtigsten oder ansehnlichsten Hofämter und Staatsbedienungen. Er machte in einem solchen Anstoß seinen Pastetenbäcker zum ersten Minister, ein andermal seinen Barbier zum Hauptmann über die Leibwache. Der Reichskanzler wurde abgesetzt, weil er ein schlechter Tänzer war, und ein gewisser Quacksalber schwang sich durch die Erfindung einer Pomade in die Stelle des Oberschatzmeisters, der die Verwegenheit gehabt hatte, Seiner Hoheit vorzustellen, daß zehntausend Unzen Silbers eine zu große Belohnung für die Erfindung einer neuen Pomade sei. Keiner von seinen Dienern konnte eine Stunde lang auf seine Gnade zählen; und das schlimmste war, daß man sie durch Wohlverhalten eben so leicht als durch Übeltaten verscherzen konnte. Der einzige Eblis besaß das Geheimnis sich ihm unentbehrlich zu machen, und, ohne einen andern als den Titel seines Günstlings, den Hof und den Staat eben so willkürlich zu regieren als der Sultan selbst. Ich hatte vielleicht unrecht, das Mittel, dessen er sich dazu bediente, ein Geheimnis zu nennen; denn im Grunde kann nichts einfacher sein. Es bestand in der Kunst, sich in alle Launen seines Herrn zu schicken, ihn alles tun zu lassen was er wollte, und für alle seine Unternehmungen, so ausschweifend sie sein mochten, Mittel zu schaffen.«
»Das letzte ist eben so leicht nicht, als du dir einbildest«, sagte der Sultan.
»Sire«, versetzte Danischmend, »nach des Günstlings Grundsätzen und Art zu verfahren konnte nichts leichter sein. Nach ihm hatte der Sultan das Recht zu nehmen, so lange seine Untertanen etwas hatten, das ihnen genommen werden konnte.«
»Und wenn sie nichts mehr hatten?«
»Dieser Fall war, seiner Meinung nach, so bald noch nicht zu besorgen.
›Der Hunger, und die Begierde nach einem Zustande, worin sie müßig gehen können, wird sie schon arbeiten lehren‹, pflegte er zu sagen, ›und so lange sie arbeiten, können sie geben.‹«
»Dieser Eblis fürchtete sich also nicht vor den Folgen der Mutlosigkeit?«
»Das Übel war, daß er dem Sultan eine Philosophie beigebracht hatte, welche die menschliche Natur in seinen Augen verächtlich machte. Er sah die Menschen für nichts besseres als eine Gattung von Tieren an, von welcher sich mehr Vorteile ziehen lassen als von irgend einer andern; und in der Kunst, sie für ihren Gebieter zu gleicher Zeit so nützlich und so unschädlich als möglich zu machen, bestand, nach ihm, das große Geheimnis der Regierungskunst. Man hätte ihm diesen Grundsatz gelten lassen können, wenn er vorausgesetzt hätte, daß der Vorteil des Gebieters und des Staats allezeit einerlei sei. Aber dies war es nicht was er damit wollte.
›Der Mensch‹, sagte Eblis, ›ist aus zwei entgegen gesetzten Grundneigungen zusammen gesetzt, deren vereinigte Wirkung ihn zu dem macht was er ist: Hang zum Müßiggang und Hang zum Vergnügen. Ohne den letztern würde ihn jener ewig in einer unüberwindlichen Untätigkeit erhalten; aber so groß sein Abscheu vor Abhänglichkeit und Arbeit ist, so ist doch sein Hang zum Vergnügen noch stärker. Um beide zu vereinigen, ist ein Zustand von Unabhänglichkeit, worin er alles mögliche Vergnügen ohne einige Bemühung genösse, das letzte Ziel seiner Wünsche. Er kennt keine Seligkeit über dieser. Daher dieser unauslöschliche Hang zum Despotismus, der dem armseligsten Erdensohn eben so angeboren ist als dem Erben des größten Monarchen. In dem ganzen Scheschian ist kein einziger, welcher nicht wünschte, daß alle übrige nur für sein Vergnügen beschäftigt sein müßten. Allein die Natur der Sache bringt es mit sich, daß nur ein Einziger dieser Glückliche sein kann: alle übrige sind durch die Notwendigkeit selbst dazu verurteilt, sich, so lange sie leben, mehr oder weniger zu diesem letzten Wunsche des Sterblichen empor zu arbeiten; und selbst das Glück, ihm nahe zu kommen, kann nur Wenigen zu Teile werden. Was soll nun der Einzige hierbei tun, der, mit dem vergötterten Diadem um die Stirne, oben auf der Spitze des Berges steht, und nichts Höheres zu ersteigen sieht? Soll er sich etwann in dem Genuß seiner Wonne durch albernes Mitleiden mit der wimmelnden Menge stören lassen, welche voll klopfender Begierde sich aus der Tiefe empor zu heben versucht, und, neidische Blicke auf die versagte Glückseligkeit heftend, bei jedem Tritt auf der schlüpfrigen Bahn in Gefahr schwebt, durch das Gedränge ihrer Mitwerber oder ihre eigene Hastigkeit tiefer, als sie empor gestiegen ist, wieder herunter zu glitschen? Soll er vielleicht so höflich sein, einem unter ihnen Platz zu machen? – Wahrhaftig! Sie mögen sehen, wie sie hinauf kommen; dies ist ihre Sache. Die seinige ist, indem sie von Stufe zu Stufe zu ihm empor klettern, sich ihrer Hände zu bedienen, um alle Güter und Freuden der Welt zu den Füßen seines Thrones aufhäufen zu lassen; und wenn ihm der Genuß alles dessen, was die übrigen wünschen, noch eine Sorge verstatten kann, so ist es, zu verhindern, daß von der wetteifernden Menge keiner hoch genug steige, ihn von seinem Gipfel herab zu drängen. Nichts würde dem Einzigen gefährlicher sein, als wenn die Menge alle Hoffnung in einen bessern Zustand zu kommen verlöre. Diese Hoffnung ist die wahre Seele eines Staats; mit ihr versiegt die Quelle des politischen Lebens; eine allgemeine Untätigkeit verkündigt, gleich der Todesstille vor einem Sturme, die schrecklichen Wirkungen der Verzweiflung, unter welchen schon so manche Thronen Asiens eingestürzt sind.
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