Bald dacht er, die Schuld liege an seinen Omras, bald an seinem Mundkoche, bald an seiner Favoritin; er schaffte sich andere Omras, andere Köche und eine andere Favoritin an; aber das wollte alles nicht helfen. Es fiel ihm ein, daß er einmal dieses oder jenes habe tun wollen, welches bisher unterblieben war. Gut, dacht er, das muß es sein! Er unternahm es, amüsierte sich damit bis es fertig war, und – fand sich betrogen. Ursache genug für einen Sultan, verdrießlich zu werden! Aber er hatte deren noch andre, die einen weisern Mann als er war aus dem Gleichgewichte hätten setzen können. Die Händel, die ihm seine Priester machten, die Intrigen seines Serails, die Zwistigkeiten seiner Minister, die Eifersucht seiner Sultaninnen, das häufige Unglück seiner Waffen, der erschöpfte Zustand seiner Finanzen, und (was noch schlimmer als dies alles zu sein pflegt) das Mißvergnügen seines Volkes, welches zuweilen in gefährliche Unruhen auszubrechen drohte, – alles dies vereinigte sich, ihm ein Leben zu verbittern, welches denen, die es nur von ferne sahen, beneidenswürdig vorkam. Schach-Gebal hatte mehr schlaflose Nächte als alle Tagelöhner seines Reichs zusammen. Alle Zerstreuungen und Ergetzlichkeiten, womit man diesem Übel zu begegnen gesucht hatte, wollten nichts mehr verfangen. Seine schönsten Sklavinnen, seine besten Sänger, seine wundertätigsten Luftspringer, seine Witzlinge, und seine Affen selbst verloren ihre Mühe dabei.
Endlich brachte eine Dame des Serails, eine erklärte Verehrerin der großen Scheherezade, die Märchen der Tausend und Einen Nacht in Vorschlag. Aber Schach-Gebal hatte die Gabe nicht (denn wirklich ist sie ein Geschenk der Natur und keines ihrer schlechtesten), der wunderbaren Lampe des Schneiders Aladdin Geschmack abzugewinnen, oder die weißen, blauen, gelben und roten Fische amüsant zu finden, welche sich, ohne ein Wort zu sagen, in der Pfanne braten lassen, bis sie auf einer Seite gar sind, aber, sobald man sie umkehrt, und eine wunderschöne Dame, in beblümten Atlas von ägyptischer Fabrik gekleidet, mit großen diamantnen Ohrengehängen, mit einem Halsbande von großen Perlen und mit rubinenreichen goldnen Armbändern geschmückt, aus der Mauer hervor springt, die Fische mit einer Myrtenrute berührt, und die Frage an sie tut: Fische, Fische, tut ihr eure Schuldigkeit? alle zugleich die Köpfe aus der Pfanne heben, das einfältigste Zeug von der Welt antworten, und dann plötzlich zu Kohlen werden. Schach-Gebal, anstatt dergleichen Historien, wie sein glorwürdiger Ältervater, mit glaubigem Erstaunen und innigstem Vergnügen anzuhören, wurde so ungehalten darüber, daß man mitten in der Erzählung aufhören mußte. Man versuchte es also mit den Märchen des Visirs Moslem, in welchen unstreitig ein großes Teil mehr Witz, und unendliche Mal mehr Verstand und Weisheit, unter dem Schein der äußersten Frivolität, verborgen ist. Aber Schach-Gebal haßte die dunkeln Stellen darin, nicht weil sie dunkel, sondern weil sie nicht noch dunkler waren; denn er hatte wirklich zu viel gesunden Geschmack, um an Unrat, so fein er auch zubereitet war, Gefallen zu finden; und überhaupt deuchte ihm die mehr wollüstige als zärtliche Fee Alles oder Nichts mit ihrer Prüderie und mit ihren Experimenten, der Pedant Tacitürne mit seiner Geometrie, der König Strauß mit seiner albernen Politik und mit seiner Barbierschüssel, und das ungeheure Mittelding von Galanterie und Ziererei, die Königin der kristallnen Inseln, mit allem was sie sagte, tat und nicht tat, ganz unerträgliche Geschöpfe. Er erklärte sich, daß er keine Erzählungen wolle, wofern sie nicht, ohne darum weniger unterhaltend zu sein, sittlich und anständig wären: auch verlangte er, daß sie wahr und aus beglaubten Urkunden gezogen sein, und (was er für eine wesentliche Eigenschaft der Glaubwürdigkeit hielt) daß sie nichts Wunderbares enthalten sollten; denn davon war er jederzeit ein erklärter Feind gewesen. Dieses brachte die beiden Omras, deren wir vorhin als wohl denkender Männer Erwähnung getan haben, auf den Einfall, aus den merkwürdigsten Begebenheiten eines ehmaligen benachbarten Reichs eine Art von Geschichtbuch verfertigen zu lassen, woraus man ihm, wenn er zu Bette gegangen wäre, vorlesen sollte, bis er einschliefe oder nichts mehr hören wollte. Der Einfall schien um so viel glücklicher zu sein, als er Gelegenheiten herbeiführte, dem Sultan mit guter Art Wahrheiten beizubringen, die man, auch ohne Sultan zu sein, sich nicht gern geradezu sagen läßt.
Man dachte also unverzüglich an die Ausführung: und da man den besten Kopf von ganz Indostan (welches freilich in Vergleichung mit europäischen Köpfen nicht viel sagt) dazu gebrauchte; so kam in kurzer Zeit dieses gegenwärtige Werk zu Stande, welches Hiang-Fu-Tsee, ein wenig bekannter Schriftsteller, in den letzten Jahren des Kaisers Tai-Tsu, unter dem Namen des goldnen Spiegels ins Sinesische, – der ehrwürdige Vater J.G.A.D.G.J. aus dem Sinesischen in sehr mittelmäßiges Latein, und der gegenwärtige Herausgeber aus einer Kopie der lateinischen Handschrift, in so gutes Deutsch, als man im Jahre 1772 zu schreiben pflegte, überzutragen würdig gefunden hat.
Aus dem Vorberichte des sinesischen Übersetzers läßt sich schließen, daß sein Buch eigentlich nur eine Art von Auszug aus der Chronik der Könige von Scheschian ist, welche zur Ergetzung und Einschläferung des Sultans Gebal verfertiget worden war. Er verbirgt nicht, daß seine vornehmste Absicht gewesen, den Prinzen aus dem Hause des Kaisers Tai-Tsu damit zu dienen, denen es (wie er meint), unter dem Schein eines Zeitvertreibs, Begriffe und Maximen einflößen könnte, von deren Gebrauch oder Nichtgebrauch das Glück der sinesischen Provinzen größten Teils abhangen dürfte. So alt diese Wahrheiten sind, sagt er, so scheint es doch, daß man sie nicht oft genug wiederholen könne. Sie gleichen einer herrlichen Arznei, welche aber so beschaffen ist, daß sie nur durch häufigen Gebrauch wirken kann. Alles kommt darauf an, daß man immer ein anderes Vehikel zu ersinnen wisse, damit sowohl Kranke als Gesunde (denn sie kann diesen als Präservativ, wie jenen als Arznei dienen) sie mit Vergnügen hinab schlingen mögen.
Was die hier und da der Erzählung eingemischten Unterbrechungen und Episoden, besonders die Anmerkungen des Sultans Gebal betrifft, so versichert zwar Hiang-Fu-Tsee, er hätte sie von guter Hand, und wäre völlig überzeugt, daß die letztern wirklich von besagtem Sultan herrührten: allein dies hindert nicht, daß der geneigte Leser nicht davon sollte glauben dürfen was ihm beliebt. Wenigstens scheinen sie dem Charakter Schach-Gebals ziemlich gemäß; und eben daher würde es unbillig sein, zu verlangen, daß sie so sinnreich und unterhaltend sein sollten, als die Reflexionen Schach-Bahams, des Weisen.
Erster Teil
1.
»Von Scheschian?« rief Schach-Gebal: »mir deucht, ich kenne diesen Namen. Ist es nicht das Scheschian, wo der Hiof-Teles-Tanzai König war, dessen verwünschten Schaumlöffel ihr Ihr neulich zu verschlingen geben wolltet, wenn ich mich nicht eben so stark dagegen gesträubt hätte, als der Großpriester Sogrenuzio?«
»Vermutlich, Sire«, sagte die schwarzaugige Tschirkassierin, welche schon vor einiger Zeit aufgehört hatte jung zu sein, aber aus dem Verfall ihrer Reizungen unter andern eine sehr angenehme Stimme davon gebracht hatte, und sich eine Angelegenheit daraus machte, den Sultan noch immer so gut zu amüsieren, als es die Umstände auf beiden Seiten zulassen wollten. »Ohne Zweifel, Sire«, sagte sie, »ist es eben dieses Scheschian; denn es nötigt uns nichts, deren zwei anzunehmen, da wir uns mit dem Einen ganz wohl behelfen können; welches, nach dem Berichte gewisser alter Erdbeschreiber, in den Zeiten seines höchsten Wohlstandes beinahe so groß gewesen sein muß als das Reich Ihrer Majestät,5 und ostwärts« –
»Die Geographie tut nichts zur Sache«, fiel Schach-Gebal ein, »in so fern du mir nur dafür gut sein willst, Nurmahal, daß da, wo deine Geschichte anfängt, die Zeit vorbei ist, da die Welt von Feen beherrscht wurde. Denn ich erkläre mich ein für allemal, daß ich nichts von verunglückten Hochzeitnächten, von alten Konkombern, von Maulwürfen, die in der geziertesten Sprache von der Welt – nichts sagen, und kurz, nichts von Liebeshändeln hören will, wie der witzigen Mustasche und ihres faden Kormorans, der so schöne Epigrammen macht und so schöne Räder schlägt. Mit Einem Worte, Nurmahal, und es ist mein völliger Ernst, keine Neadarnen und keinen Schaumlöffel!«
»Ihre Majestät können Sich darauf verlassen«, versetzte Nurmahal, »daß die Feen nichts in dieser Geschichte zu tun haben sollen; und was die Genien betrifft, so wissen Ihre Majestät, daß man gewöhnlich sechs bis sieben Könige hinter einander zählen kann, bis man auf einen stößt, der Anspruch an diesen Namen zu machen hat.«
»Auch keine Satiren, Madam, wenn ich bitten darf! Fangen Sie Ihre Historie ohne Umschweife an; und ihr« (sagte er zu einem jungen Mirza, der am Fuße seines Bettes zu sitzen die Ehre hatte) »gebt Acht wie oft ich gähne; sobald ich dreimal gegähnt habe, so macht das Buch zu, und gute Nacht.«
»Bei irgend einem Volke« (so fing die schöne Nurmahal zu lesen an) »die Geschichte seines ältesten Zustandes suchen, hieße von jemand verlangen, daß er sich dessen erinnere, was ihm im Mutterleibe oder im ersten Jahre seiner Kindheit begegnet ist.
Die Einwohner von Scheschian machen keine Ausnahme von dieser Regel. Sie füllen, wie alle andre Völker in der Welt, den Abgrund, der zwischen ihrem Ursprung und der Epoche ihrer Geschichtskunde liegt, mit Fabeln aus; und diese Fabeln sehen einander bei allen Völkern so ähnlich, als man es von Geschöpfen vermuten kann, die sich auf der ersten Staffel der Menschheit befinden. Derjenige unter ihnen, der zuerst die Entdeckung machte, daß eine Ananas besser schmecke als eine Gurke, war ein Gott in den Augen seiner Nachkommen.
Die alten Scheschianer glaubten, daß ein großer Affe sich die Mühe genommen habe, ihren Voreltern die ersten Kenntnisse von Bequemlichkeit, Künsten und geselliger Lebensart beizubringen.«
»Ein Affe?« rief der Sultan: »eure Scheschianer sind sehr demütig, den Affen diesen Vorzug über sich einzuräumen.«
»Diejenigen, bei denen dieser Glaube aufkam, dachten vermutlich nicht so weit«, erwiderte die schöne Nurmahal.
»Ohne Zweifel«, sagte der Sultan: »aber was ich wissen möchte, ist gerade, was für Leute das waren, bei denen ein solcher Glaube aufkommen konnte.«
»Sire, davon sagt die Chronik nichts. Aber wenn es einer Person meines Geschlechts erlaubt sein könnte, über einen so gelehrten Gegenstand eine Vermutung zu wagen, so würde ich sagen, daß mir nichts begreiflicher vorkommt. Kein Glaube ist jemals so ungereimt gewesen, zu welchem nicht etwas Wahres den Grund gelegt haben sollte. Konnte nicht ein Affe die ältesten Scheschianer etwas gelehrt haben, wenn es auch nur die Kunst auf einen Baum zu klettern und Nüsse aufzuknacken gewesen wäre? Denn so leicht uns diese Künste jetzt scheinen, so ist doch viel eher zu vermuten, daß die Menschen sie den Affen, als daß die Affen sie den Menschen abgelernt haben.«
»Die schöne Sultanin philosophiert sehr richtig«, sagte Doktor Danischmend, derjenige von den Philosophen des Hofes, den der Sultan am liebsten um sich leiden mochte, weil er in der Tat eine der gutherzigsten Seelen in der Welt war, und der daher die Gnade genoß, nebst dem vorerwähnten Mirza diesen Vorlesungen beizuwohnen.
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