»Es ist nicht zu vermuten«, setzte er hinzu, »daß die ersten Menschen in Scheschian scharfsinniger gewesen sein sollten als Isanagi No Mikotto, einer von den japanischen Götterkönigen, von welchem ihre Geschichte versichert, daß er die Kunst, mit seiner Gemahlin Ysanami nach der Weise der Sterblichen zu verfahren, von dem Vogel Isiatadakki abgesehen habe.«6

Schach-Gebal schüttelte, man weiß nicht warum, den Kopf bei dieser Anmerkung; und Nurmahal, ohne den Einfall des Philosophen Danischmend eines Errötens zu würdigen, fuhr also fort.

»In dem ersten Zeitpunkte, wo die Geschichte von Scheschian zuverlässig zu werden anfängt, fand sich die Nation in eine Menge kleiner Staaten zerstückelt, die von eben so vielen kleinen Fürsten regiert wurden, so gut es gehen wollte. Alle Augenblicke fiel es zweien oder dreien von diesen Potentaten ein, den vierten mit einander auszurauben; wenn sie mit ihm fertig waren, zerfielen sie über der Teilung unter sich selbst; und dann pflegte der fünfte zu kommen, und sie auf einmal zu vergleichen, indem er bis zu Austrag der Sache den Gegenstand des Streits in Verwahrung nahm.

Diese Befehdungen dauerten, zu großem Nachteile der armen Scheschianer, so lange, bis etliche von den schwächsten den Vorschlag taten: daß sich die sämtlichen Rajas, um der allgemeinen Sicherheit willen, einem gemeinschaftlichen Oberhaupte unterwerfen sollten. Die mächtigsten ließen sich diesen Vorschlag belieben, weil jeder Hoffnung hatte, daß die Wahl auf ihn selbst fallen würde. Aber kaum war diese entschieden: so fand sich, daß man nicht das beste Mittel die Ruhe herzustellen gewählt hatte.

Der neue König war des Vorzugs würdig, den ihm die Nation beigelegt hatte. Die Achtung für seine persönlichen Verdienste unterstützte eine Zeit lang seine Bemühungen, und Scheschian genoß einen Augenblick von Glückseligkeit, den er dazu anwandte, Gesetze zu entwerfen, welche der große Kon-Fu-Tsee nicht besser hätte machen können; Gesetze, denen, um vollkommen zu sein, nichts abging, als daß sie nicht (wie man von den Bildsäulen eines gewissen alten Künstlers sagt) von selbst gingen, das ist, daß es von der Willkür der Untertanen abhing, sie zu halten oder nicht zu halten. Freilich waren auf die Übertretung derjenigen, von deren Beobachtung die Ruhe und der Wohlstand des Staats schlechterdings abhing, schwere Strafen gesetzt: aber der König hatte keine Gewalt sie zu vollziehen. Wenn einer von seinen Rajas zum Gehorsam gebracht werden sollte, so mußte er einem andern auftragen, den Raja dazu zu nötigen; und auf diese Weise blieben immer die gerechtesten Urteile unvollzogen. Denn keine Krähe hackt der andern die Augen aus, sagt der König Dagobert.«7

»Wer war dieser König Dagobert?« fragte der Sultan den Philosophen Danischmend.

Danischmend hatte bei allen seinen vermeintlichen oder wirklichen Vorzügen einen Fehler, der, so wenig er an sich selbst zu bedeuten hat, in gewissen Umständen genug ist, den besten Kopf zu Schanden zu machen. Niemals konnte er eine Antwort auf eine Frage finden, auf die er sich nicht versehen hatte. Dieser Fehler hätte ihm vielleicht noch übersehen werden können; aber er vergrößerte ihn insgemein durch einen andern, der in der Tat einem Manne von seinem Geiste nicht zu verzeihen war. Fragte ihn, zum Exempel, der Sultan etwas, das ihm unbekannt war; so stutzte er, entfärbte sich, öffnete den Mund und staunte, als ob er sich darauf besänne: man hoffte von Augenblick zu Augenblick, daß er losdrücken würde; und man konnt es ihm daher um so viel weniger vergeben, wenn er endlich die Erwartung, worin man so lange geschwebt hatte, mit einem armseligen das weiß ich nicht betrog; weil er, wie man dachte, dies eben sowohl im ersten Augenblicke hätte sagen können. Dies war nun gerade der Fall, worin er sich itzt befand: kein Mensch in der Welt war ihm unbekannter als der König Dagobert.

»Ich hatte Unrecht, eine solche Frage an einen Philosophen zu tun«, sagte der Sultan etwas mißvergnügt: »laßt meinen Kanzler kommen.«

Der Kanzler war ein großer dicker Mann, welcher unter andern rühmlichen Eigenschaften gerade so viel Witz hatte, als er brauchte, um auf jede Frage eine Antwort bereit zu halten.

»Herr Kanzler, wer war der König Dagobert?« fragte der Sultan. »Sire«, antwortete der Kanzler ganz ernsthaft, indem er mit der rechten Hand seinen Wanst, und mit der linken seinen Knebelbart strich, »es war ein König, der vor Zeiten in einem gewissen Lande regierte, das man auf keiner indostanischen Landkarte findet; vermutlich weil es so klein war, daß man nicht sagen konnte, welches die Nord- und welches die Süd-Seite davon sei.«

»Sehr wohl, Herr Kanzler! Und was sagte der König Dagobert?« »Meistens nichts«, versetzte der Kanzler, »wenn es nicht im Schlafe geschah, welches ihm zuweilen in seinem Divan begegnete. Sein Kanzler, der, wegen seines kurzen Gesichts, nicht immer gewahr wurde, ob der König wachte oder schlummerte, nahm etlichemal das, was er im Schlafe gesagt hatte, für Befehle auf, und fertigte sie auf der Stelle aus; und, was das Sonderbarste ist, die Geschichtschreiber versichern, daß diese nämlichen Verordnungen unter allen, welche während seiner Regierung heraus gekommen, die klügsten gewesen seien.«

»Gute Nacht, Herr Kanzler«, sagte Schach-Gebal.

»Man muß gestehen«, dachte der Kanzler im Weggehen, »daß die Sultanen zuweilen wunderliche Fragen an die Leute tun.«

»Es ist eine schöne Sache um einen sinnreichen Kanzler«, fuhr der Sultan fort, nachdem sich der seinige zurückgezogen hatte. »Ich weiß wohl, Nurmahal, Ihr seid ihm nie gewogen gewesen; und wenn ich günstiger für ihn denke, so geschieht es gewiß nicht weil ich ihn nicht kenne. Ich weiß, daß er, mit aller abgezirkelten Formalität seiner ganzen Person, welche ein lebendiger Inbegriff aller Gesetze, Ordonnanzen, alten Gewohnheiten und neuen Mißbräuche meines Reichs ist, im Grunde doch nur ein Intrigenmacher, ein falscher, unruhiger, unersättlicher, rachgieriger Bube, und ein heimlicher Feind aller Leute ist, von denen ihm sein Instinkt sagt, daß sie mehr wert sind als er. Überdies weiß ich, daß er sich von einem schelmischen kleinen Fakir regieren läßt, der ihm weisgemacht hat, er besitze ein Geheimnis, ihn sicher über die Brücke, die nicht breiter ist als die Schärfe eines Schermessers, hinüber zu bringen. Aber wenn er noch zehnmal schlimmer wäre als er ist, so müßt ich ihm um der Gabe willen hold sein, die er hat, auf jede Frage, so unerwartet und unbequem sie ihm sein mag, eine Antwort aus dem Ärmel zu schütteln, die er euch mit einer so unverschämten Ernsthaftigkeit für gut gibt, daß man, gern oder nicht, damit zufrieden sein muß. – Aber wir vergessen, dem König Dagobert und meinem Kanzler zu Gefallen, den armen König von Scheschian, und das ist nicht billig. Der gute Mann dauert mich; wiewohl es in der Tat seine eigene Schuld ist, wenn ihm seine Leute wie die Frösche dem König Klotz mitspielen. Wie konnt es ihm einfallen, auf solche Bedingungen König zu sein?«

»Ihre Hoheit«, sagte Nurmahal, »werden ihm diesen Einfall vielleicht zugute halten, wenn Sie bedenken, daß die Nation einen König haben wollte, und daß es, alles überlegt, doch immer besser ist, dieser König selbst zu sein, als es einem andern zu überlassen. Er konnte doch immer mit einiger Wahrscheinlichkeit hoffen, daß es ihm an Gelegenheit nicht fehlen würde, sein Ansehen, so eingeschränkt es anfangs war, zu befestigen und zu erweitern. Zudem war er ein Mann von mehr als gemeiner Fähigkeit, sein eigenes Fürstentum war eines der beträchtlichsten, und an der Spitze der Partei, die ihn auf den Thron erhob, konnt er sich schmeicheln alles zu vermögen.«

»Und dennoch schmeichelte er sich zu viel?«

»Wie hätt es anders gehen können?« versetzte die Sultanin. »Seine Anhänger erwarteten mehr Belohnungen als er geben konnte. Ihre Foderungen hatten keine Grenzen. Er hielt sich für berechtigt, Dienste und Unterwürfigkeit von denjenigen zu erwarten, die ihn zum Könige gemacht hatten; und eben darum, weil sie ihn zum Könige gemacht hatten, glaubten sie daß er ihnen alles schuldig sei. Eine solche Verschiedenheit der Meinungen mußte Folgen haben, die den König und das Volk gleich unglücklich machten. Da er die einmal übernommene Rolle gut spielen wollte, so mußt er notwendig mit seinen Rajas zerfallen, die ihn lieber eine jede andre spielen gesehen hätten als die Rolle eines Königs. Seine ganze Regierung war unruhig, schwankend und voller Verwirrung. Aber unter seinen Nachfolgern ging es noch schlimmer.