»Ich schwöre beim Haupte des Propheten, daß ich, ehe der Mond wieder voll sein wird, wissen will, ob innerhalb der Grenzen meines Gebiets solche Unglückliche leben; und wehe dem Sklaven, dem ich die Sorge für meine Untertanen anvertraut habe, in dessen Bezirk ein Urbild deiner verfluchten Malerei gefunden würde! Es ist mein ganzer Ernst, und zum Beweise davon trag ich das Amt dieser Untersuchung dir selbst auf, Danischmend! Morgen, nach dem ersten Gebete, erwart ich dich in meinem Zimmer, damit wir weiter von der Sache sprechen.«

Was der gutherzige Danischmend dem Sultan gesagt haben mag, um ihm im Namen aller, welche bei dieser Aufwallung seines königlichen Herzens interessiert waren, den demütigsten Dank zu erstatten, wollen wir, um uns nicht zu weit von unserm Wege zu entfernen, der Einbildung des Lesers überlassen.

»Gut«, sagte Schach-Gebal, dessen Hitze sich während der Danksagungsrede des Philosophen wieder merklich abgekühlt hatte, »du weißt meinen Willen! Morgen eine Stunde nach Sonnenaufgang, Danischmend! – Itzt will ich noch die Ausführung deiner Einwendungen gegen die Theorie des Günstlings Eblis hören. Laß sehen, wie du dich aus der Sache ziehen wirst.«

»Ich behauptete« (fuhr Danischmend in seinem Vortrage fort), »daß die Erfahrung, auf welche sich Eblis bezieht, um seine häßlichen Gemälde von der Bösartigkeit des Volkes zu rechtfertigen, wenigstens eben so stark für meine als für seine Meinung rede; und ich stellte zu diesem Ende eine Vergleichung an, zwischen einem Volke, welches unter einer freien, oder wenigstens unter einer milden Regierung glücklich ist, und einem Volke, dem ein Tyrann wie Isfandiar, mit Hülfe eines Günstlings wie Eblis, so mitspielt, wie man es von der Vereinigung harter Grundsätze mit einer unempfindlichen Sinnesart erwarten kann. Wenn der Kontrast zwischen dem Wohlstande des einen und dem Elende des andern beim ersten Anblick in die Augen fällt, so wird uns eine fortgesetzte Aufmerksamkeit keinen geringern Abstand zwischen ihrem sittlichen Charakter entdecken lassen. Das glückliche Volk ist zufrieden mit seinem Zustande; es gewöhnet sich mit Vergnügen an ihn, und ist geneigt zu glauben, daß es keinen bessern gebe. Es segnet den guten Fürsten, unter dessen Gesetzen es in ungekränkter Sicherheit der Früchte seines Fleißes und seiner Mäßigung genießt. Weit entfernt Veränderungen zu wünschen, ist es im Gegenteil bereit, Gut und Leben alle Augenblicke für die gegenwärtige Verfassung, für ein Vaterland, worin es glücklich ist, für einen Fürsten, in welchem es seinen allgemeinen Vater erblickt, aufzuopfern. Das unterdrückte Volk, ich gestehe es, sieht dem Bilde sehr ähnlich, welches Eblis unbilliger Weise von dem Volke überhaupt machte. Aber wie sollt es anders sein können? Sollte sich nicht die Menschheit in Geschöpfen, welche ihre natürliche Gleichheit mit ihren Unterdrückern fühlen, gegen solche Kränkungen empören, deren bloßer Anblick alle Gesetze der Natur, der Religion und des gesellschaftlichen Lebens zur Rache aufruft? Ist es zu verwundern, wenn die Vergleichung ihres Elends mit dem wollüstigen und unbarmherzigen Übermut ihrer Herren sie endlich wütend macht? Oder was kann man anders erwarten, als daß anhaltende Tyrannei, Sorglosigkeit für den Staat, Kaltsinn beim Anblicke der allgemeinen Not, und öffentliche Verspottung derselben durch die übertriebenste Üppigkeit, ein Volk, dessen Geduld erschöpft ist, endlich zur Verzweiflung treiben werde?

›Das Volk‹, sagt Eblis, ›ist launisch in seinen Leidenschaften, undankbar für das Gute, das man ihm erweist, ungestüm und unersättlich in seinen Forderungen; es ist neidisch über die Vorzüge seiner Obern, geneigt alle ihre Maßregeln zu tadeln, ungerecht gegen ihre Tugenden, unbillig gegen ihre Fehler; es sieht sie als seine ärgsten Feinde an, und ergetzt sich an allem, was sie kränken und demütigen kann, als an dem angenehmsten Schauspiele.‹ – Aber sollte wohl jemand die Verwegenheit haben können, zu behaupten, die Menschen seien von Natur so bösartige Geschöpfe? Wer macht sie dazu? Was für Gewalt muß der Menschheit angetan worden sein, welche grausame und langwierige Mißhandlungen muß sie erlitten haben, bis sie so werden konnte, wie Eblis sie schildert! Ist es nicht der Gipfel der Ungerechtigkeit, die Menschen dafür zu bestrafen, daß sie die verkehrten Geschöpfe sind, wozu man sie selbst gemacht hat? Mir deucht, die Unterdrücker der Menschheit haben wohl keine Ursache sich zu beschweren. Die unbegreifliche Geduld, womit die meisten Völker des Erdbodens sich zu allen Zeiten von einer kleinen Anzahl von Isfandiarn und Eblissen haben mißbrauchen lassen, ist der stärkste Beweis der ursprünglichen Mildigkeit der menschlichen Natur. Wenn wir von Empörungen, Bürgerkriegen, und gewaltsamen Staatsveränderungen hören, so können wir allemal mit der größten Wahrscheinlichkeit vermuten, daß unleidliche Beleidigungen den Anlaß dazu gegeben haben.«

»Nicht allemal, mein guter Danischmend«, sagte der Sultan: »dein Eifer für die Sache des Volks macht dich vergessen, wie viele Beispiele die Geschichte des Erdbodens uns zeigt, daß auch gute Fürsten, Fürsten, welche wenigstens einige geringe Fehler mit großen Tugenden vergüteten, Schlachtopfer der unbändigen Herrschsucht eines stolzen Priesters, oder der übermütigen Anmaßungen aufrührerischer Emirn geworden sind.«

»Gleichwohl«, erwiderte Danischmend, »würde sich vielleicht in jedem besondern Falle zeigen lassen, daß die Fürsten, auf welche Ihre Hoheit zu zielen scheinen, durch sehr wesentliche Fehler in der Regierung, durch allzu große Nachsicht gegen die Laster ihrer Günstlinge, durch häufigen Mißbrauch einer willkürlichen Gewalt, durch offenbare Ungerechtigkeiten und ein tyrannisches Verfahren sowohl mit dem Volk als mit den Großen ihres Reiches, sich die unglückliche Ehre zugezogen haben, der Nachwelt zu Trauerspielen Stoff zu geben. Ein König gewinne nur die Zuneigung seiner Untertanen, er verdiene sich den glorreichesten und süßesten aller Titel, den Namen eines Vaters des Volks: so wird er gewiß sein können, in ihrer Liebe zu seiner Regierung und zu seiner Person unerschöpfliche Mittel gegen alle Anschläge und Unternehmungen seiner Feinde zu finden. Ich möchte den Priester oder die Emirn sehen, welche die Verwegenheit hätten, sich an einen Fürsten zu wagen, dem die Herzen aller seiner Untertanen zur Brustwehr dienen!«

Schach-Gebal hatte vermutlich einige geheime Ursachen, warum er nicht von sich erhalten konnte, die Gründe seines Philosophen überzeugend zu finden. Indessen schien er doch zu fühlen, daß er den Streit nicht würde fortsetzen können, ohne seinem Gegner Blößen zu geben, die den Sieg nicht lange unentschieden lassen dürften. Er spielte also das Sicherste, und entließ die Gesellschaft für diesmal, indem er zu der schönen Nurmahal sagte: »In der Tat, es fehlt unserm Freunde Danischmend nichts als etwas mehr Kenntnis der Welt, um (für einen Philosophen) ganz leidlich zu räsonieren. Er hat den Fehler aller dieser Herren, gern von Dingen zu reden die er nicht versteht: aber er spricht doch gut, und dies ist, zum Zeitvertreib, alles was ich von ihm fordre.« Die Achseln des weisen Danischmend waren im Begriff die Antwort auf dieses unerwartete Lob zu geben, als er sich noch zu rechter Zeit erinnerte, daß es nicht erlaubt sei, über irgend etwas, das ein Sultan sagen kann, die Achseln zu zucken. Er begnügte sich also, wie gewöhnlich, seinen ungelehrigen Kopf gegen den Erdboden zu stoßen, und schlich davon.

 

2.

 

Unsere Leser erwarten ohne Zweifel, daß Danischmend, mit einem Auftrage beladen, der für die Ruhe Schach-Gebals und für das Beste der armen Indostaner von der größten Wichtigkeit war, das Amt, den alten Sultan einzuschläfern, der schönen Nurmahal wieder überlassen werde. In der Tat hatte Schach-Gebal mit so vielem Ernst von der Sache gesprochen, daß der ehrliche Philosoph selbst, so gut er sonst die Launen seines Gebieters kannte, diesmal von der Hoffnung, ein Werkzeug der Glückseligkeit seines Vaterlandes zu werden, sich hintergehen ließ. Diese Hoffnung ließ die ganze Nacht durch keinen Schlaf in seine Augen kommen; aber sie entschädigte ihn dafür durch die angenehmsten Träume, die jemals die Seele eines Menschenfreundes gewieget haben. Mit der unumschränkten Gewalt des Sultans bekleidet, zweifelte er keinen Augenblick an dem Erfolge seiner Bemühungen. Denn es war eine von den Maximen, die er immer im Munde zu führen pflegte: Die Großen könnten alles was sie ernstlich wollten. »Welche Wonne!« rief er aus: »in kurzem soll der Mann, der im ganzen Indostan am wenigsten glücklich ist, der Sultan selber sein!«

Sobald die ersten Sonnenstrahlen den Horizont röteten, stand Danischmend im Vorzimmer, so munter als ob niemand besser geschlafen hätte als er. Aber es vergingen drei oder vier Stunden, bis Schach-Gebal, wiewohl er in der Tat nichts Wichtigers zu tun hatte, Zeit finden konnte sich seiner zu erinnern. »Ist Danischmend da?« fragte er endlich, nachdem er wohl dreimal war berichtet worden, daß Danischmend da sei. »Laßt ihn herein kommen!« – Der arme Philosoph, der inzwischen Zeit genug gehabt hatte aus seinen schönen Träumen zu erwachen (denn zu den Träumen eines Menschenfreundes kann wohl kein unbequemerer Ort sein als ein Vorgemach), schlich mit gesenkten Ohren herbei. »Ha, mein guter Danischmend«, rief ihm der Sultan mit einer jovialischen Miene zu, »ich hatte dich ganz vergessen. Was bringst du uns Neues, Danischmend?« – Diese Anrede hätte einem feinern Höfling, als unser Philosoph war, die undankbare Mühe erspart, Seine Hoheit an einen unangenehmen Gegenstand zu erinnern, dessen Andenken Sie, wie es schien, glücklich verschlafen hatten. Aber Danischmend hätte so lange an dem Hofe zu Dehly leben können als Nestor, ohne jemals ein Hofmann zu werden. Er erinnerte also den Sultan an seinen gestrigen Schwur. Schach-Gebal hörte alles was ihm der gute Mann zu sagen hatte, mit vieler Gefälligkeit an. »Aber bedenkst du auch«, sagte Gebal, »daß du in drei Jahren nicht fertig werden könntest, wenn du alle meine Provinzen durchreisen, und von Haus zu Haus dich erkundigen wolltest, wie sich die Leute befinden? Ich kann mich unmöglich entschließen dich so lange zu entbehren.