Aber diese Fehler« –
»Es sind sehr wesentliche Fehler«, sagte Schach-Gebal –
»Ohne Zweifel, Sire«, versetzte Nurmahal: »aber wenige Völker und Zeiten sind so glücklich, mit einem Fürsten beseligt zu werden, an welchem selbst seine Fehler liebenswürdig sind; wenn man anders Fehler nennen kann, was allein in dem Übermaß gewisser Vollkommenheiten seine Quelle hat« –
»Kleine Schmeichlerin!« sagte Schach-Gebal, indem er sie sanft auf einen ihrer Arme klopfte, dessen schöne Form ihre weiten zurück geschlagenen Ärmel sehen ließen; ein kleiner Umstand, der die beste Vorlesung am Bette Seiner Hoheit hätte unnütz machen können, wenn Zeit und Gewohnheit unsern Sultan nicht zu einem der vollkommensten Stoiker über diesen Punkt gemacht hätten.
»Diese Fehler also« (fuhr Nurmahal fort) »wurden durch einige sehr wichtige Tugenden vergütet. Ogul-Kan ließ sich die Geschäfte der Regierung sehr angelegen sein; er brachte den Ackerbau in Aufnahme, stellte die zerstörten Städte wieder her, legte neue an, lockte aus benachbarten Staaten die Künste in die seinigen, suchte Talente und Verdienste auf, um sie zu belohnen und Gebrauch von ihnen zu machen, ehrte die Tugend, und konnte es zu gewissen Zeiten wohl leiden, wenn man ihm die Wahrheit sagte.«
»Diese letzte Eigenschaft versöhnt mich wieder mit euerm Ogul«, sagte der Sultan lächelnd. »Wenn er den Wein weniger geliebt hätte, so möchte er einen Platz unter den großen Männern seiner Zeit verdient haben.«9
»Ogul-Kan besaß bei allen diesen guten Eigenschaften noch eine, die unter den gehörigen Einschränkungen einem Fürsten viel Ehre macht, wofern er unglücklich genug ist, ihrer vonnöten zu haben. Es begegnete ihm in den Aufwallungen seiner Leidenschaften ziemlich oft, ungerecht und grausam zu sein: aber sobald das Übel geschehen war, kam er wieder zu sich selbst, und dann pflegte er sein Haupt nicht eher sanft zu legen, bis er demjenigen, der dadurch gelitten, alle nur mögliche Erstattung getan hatte.«
»Zum Exempel, wie pflegten es wohl Seine Majestät Ogul-Kan zu halten, wenn Sie einem etwa ohne Ursache den Kopf hatten abschlagen lassen?« – fragte Danischmend. »Besaßen Sie vielleicht das Geheimnis der magischen Mundkügelchen, womit der Prinz Thelamir seinem Bruder und der schönen Dely ihre Köpfe wieder aufsetzte, als er sie ihnen aus einem Irrtum der Eifersucht abgeschlagen hatte?«
»Wie begierig der Doktor nach diesem Anlaß schnappt, seine Belesenheit in den Geistermärchen zu zeigen!« flüsterte der junge Mirza dem Sultan zu.
»Danischmend«, sagte der Sultan, »hat den kleinen Fehler, die Freiheit unverschämt zu sein, die ihm als einem Philosophen zusteht, zuweilen zu mißbrauchen. Man muß es mit diesen Herren so genau nicht nehmen. Aber meinen Freund Ogul soll er ungehudelt lassen, wenn anders ein Philosoph eines guten Rates fähig ist.«
»Mit einem Worte«, fuhr Nurmahal fort, »Ogul war bei allen seinen Fehlern ein so ruhmwürdiger Fürst, daß selbst die damaligen Bonzen in Scheschian in die Wette eiferten, Gutes von ihm zu sagen. ›Nichts mangelte ihm, um der beste unter den Königen zu sein‹, sagten sie, ›als daß er, aller Hoffnung ungeachtet, die wir uns von ihm zu machen Ursache hatten, aus der Welt gegangen ist, ohne jemals dem großen Affen ein Opfer gebracht zu haben.‹«
»Wissen Sie auch, meine schön Sultanin«, sagte Schach-Gebal, »daß es nicht mehr bedarf, als was Sie uns eben zu melden beliebten, um Ihren Ogul auf die unwiderbringlichste Weise mit mir zu veruneinigen? Beim Barte des Propheten! der König, von welchem seine Bonzen in die Wette Gutes reden, muß – ich mag nicht sagen was er sein muß. Gehen Sie, gehen Sie, Nurmahal, nichts mehr von Ihrem Ogul! Er muß eine schwache, einfältige, leichtgläubige, hasenherzige Seele gewesen sein; das ist so klar wie der Tag. Seine Bonzen haben ihn gelobt! Welche Demonstration im Euklides beweist schärfer?«
»Wenn es der Philosophie jemals erlaubt sein könnte«, sagte Danischmend mit affektiertem Stottern, »dem König der Könige, meinem Herrn« –
»Nun, Doktor«, unterbrach ihn der Sultan, »laß hören, was du uns im Namen deiner gebietenden Dame zu sagen hast. Ich bin auf eine Impertinenz gefaßt. Nur heraus, aber nicht gestottert, Herr Danischmend, oder ich klingle« –
Der beste Sultan bleibt doch immer Sultan, wie man sieht. Diese Drohung, mit einer gewissen Miene begleitet, welche wenigstens besorgen ließ, daß er fähig sein könnte Ernst daraus zu machen, war nicht sehr geschickt, dem armen Danischmend Mut zu geben. Allein zu seinem Glücke kannte er den Sultan, seinen Herrn. Ohne sich also schrecken zu lassen, sagte er: »Die Philosophie, Sire, ist eine Unverschämte, wie Ihre Hoheit zu sagen geruhet haben; denn sie bedenkt sich keinen Augenblick, den Königen selbst unrecht zu geben, wenn die Könige unrecht haben. Aber in gegenwärtigem Fall ist meine demütige Meinung, Ihre Hoheit und die Philosophie könnten wohl beide recht haben. Das Lob der Bonzen, welches in Ihren Augen der größte Tadel ist den sich Ogul zuziehen konnte, war es unstreitig, wenn es von Herzen ging.10 Aber dies ist gerade die Frage; oder vielmehr, es ist keine Frage: denn wie konnte es von Herzen gehen, da sie alles Gute, was sie von ihm sagten, mit einem einzigen Aber wieder zurück nahmen? Was halfen dem guten König Ogul alle seine Tugenden? Ging er nicht aus der Welt, ohne dem großen Affen geopfert zu haben? Ihre Hoheit kennen diese Herren zu gut, um den ganzen Nachdruck eines solchen Vorwurfs nicht zu übersehen.«
»Du gestehst also doch ein«, erwiderte der Sultan, »daß sie ihn bis zum Himmel erhoben haben würden, wenn er sich hätte entschließen können, dem großen Affen zu opfern?«
»Mit Ihrer Hoheit Erlaubnis«, sagte Danischmend, »das gesteh ich nicht ein. In diesem Falle würden sie leicht einen andern Vorwand gefunden haben, ihr heuchlerisches Lob zu entkräften. Ihre Hoheit wissen, daß es nur ein einziges Mittel gibt, den aufrichtigen Beifall der Bonzen zu erlangen, und Ogul (mit aller Ehrerbietung, die ich ihm schuldig bin, sei es gesagt) scheint mir derjenige nicht zu sein, den jemals der Ehrgeiz geplagt hätte, eine so teure Ware zu kaufen.«
»Wie, wenn ich meinen Iman kommen ließe, die Frage zu entscheiden?« sagte der Sultan.
»Sein Ausspruch läßt sich erraten, ohne daß man darum mehr von der Kabbala zu verstehen nötig hat als andre«, versetzte Danischmend. »Er würde wider die Bonzen sprechen. Wie sollten Bonzen bei einem Iman recht haben können?«
»Ich denke, Danischmend hat sich ganz erträglich aus der Sache gezogen«, sagte Schach-Gebal.
»Ihre Hoheit beweisen durch Ihre Abneigung vor den Bonzen, daß Sie ein guter Musulmann sind«, sprach die schöne Nurmahal. »Aber der Geschichte getreu zu bleiben, muß ich sagen, daß die Bonzen, wenn sie Gutes von Ogul-Kan sprachen, hinlängliche Ursache dazu hatten. Es ist wahr, dieser Prinz betrog eine vielleicht ausschweifende Hoffnung, die sie auf etwas gegründet hatten, was vernünftiger Weise keine Grundlage zu einer solchen Hoffnung sein konnte, ›weil es bloß die Frucht weiser Grundsätze der Regierung war‹. Aber die Achtung, die er, diesen Grundsätzen zu Folge, ihrem Orden bewies; der Schutz, den sie von ihm genossen; und die behutsame Art, womit er in allen Sachen zu verfahren pflegte, die den unvernünftigen, aber nun einmal eingeführten Dienst des großen Affen betrafen; – berechtigten ihn allerdings, wo nicht zur Erkenntlichkeit, doch wenigstens zu einigem Grade von Billigkeit auf Seite der Bonzen. Und gesetzt auch, man wollte ihnen diese Tugend nicht gern ohne Beweis zugestehen; so ist doch zu vermuten, daß sie Klugheit genug hatten, aus Furcht zu tun, was gewöhnliche Menschen aus einem edlern Beweggrunde getan hätten.«
Unter dieser Rede der schönen Nurmahal entfuhr dem Sultan ein Ton, der ein Mittelding zwischen Seufzen und Gähnen war. Der Mirza gab der Dame das abgeredete Zeichen, und sie war im Begriff abzubrechen, als Schach-Gebal, der gerade bei guter Laune war, durch einen Wink zu erkennen gab, daß er ihrer Erzählung noch nicht überdrüssig sei.
»Ogul-Kan«, fuhr sie fort, »hatte etliche Nachfolger, welche über die Schaubühne gingen und wieder verschwanden, ohne irgend etwas so Gutes oder so Böses getan zu haben, daß es der Aufmerksamkeit der Nachwelt zu verdienen schien. Man nannte sie deswegen in den Jahrbüchern von Scheschian die namenlosen Könige; denn die Nation bekam so wenig Gelegenheit ihre Namen zu hören, daß die wenigsten sagen konnten, wie der regierende Sultan heiße. Wenn dieser Umstand der Nachwelt einen nur sehr mittelmäßigen Begriff von den Verdiensten dieser Prinzen gibt: so muß man doch gestehen, daß ihre Zeitgenossen sich vielleicht nicht desto schlimmer dabei befanden. Das Stillschweigen der Geschichte scheint wenigstens so viel zu beweisen, daß Scheschian unter ihrer unberühmten Regierung nicht unglücklich war; und nicht unglücklich sein, ist wenigstens ein sehr leidlicher Zustand« –
»Nur kann er nicht lange dauern«, sagte Danischmend: »denn dieser leidliche Zustand scheint mir bei einem ganzen Volke eben das zu sein, was bei einem einzelnen Menschen der Mittelstand zwischen Krankheit und Gesundheit ist; eines von beiden muß darauf erfolgen; entweder man wird wieder gesund, oder man schmachtet sich zu Tode.«
»Vielleicht würde dies der Fall der Scheschianer gewesen sein«, fuhr Nurmahal fort, »wenn der letzte von diesen namenlosen Königen nicht das Glück gehabt hätte, eine Geliebte zu besitzen, durch welche seine Regierung eine der merkwürdigsten und glänzendsten in der Geschichte dieses Reiches geworden ist.«
»Vortrefflich!« rief Schach-Gebal mit einer Grimasse: »ich liebe die Könige, welche die Erwähnung, so die Geschichte von ihnen tut, ihren Mätressen zu danken haben!«
»Ich muß nicht vergessen, Sire«, sagte die schöne Nurmahal, »daß die Scheschianer in diesem Stück eine Gewohnheit haben, worin sie, so viel ich weiß, von allen übrigen Völkern des Erdbodens abgehen; eine Gewohnheit, welche die Zahl der namenlosen Könige bei allen Nationen beträchtlich vermehren würde, wenn sie allenthalben eingeführt wäre. Nichts, was unter der Regierung eines Königes geschah, wurde dem Könige zugeschrieben, wofern er es nicht selbst getan hatte.
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