Vortreffliche Gesetze und Anstalten konnten gemacht, Schlachten gewonnen, Provinzen erobert, oder (was wenigstens eben so gut ist) erhalten und verbessert werden, ohne daß der Ruhm des Königes den kleinsten Zuwachs dadurch erhielt. Alles was geschah, Gutes oder Böses, wurde demjenigen zugeschrieben der es getan hatte; und der König, der nichts getan hatte, war und blieb ein namenloser König, gesetzt auch, daß zu seiner Zeit die größten Dinge in seinem Reiche geschehen wären.«

»Nichts kann billiger sein«, sagte der Sultan. »Jedem das Seine! Einem Fürsten das Gute zuschreiben, das seine Minister tun (ich nehme den Fall aus, wo sie bloß die Werkzeuge, oder so zu sagen die Gliedmaßen sind, durch welche er, als die Seele des ganzen Staatskörpers, wirket) wäre eben so viel, als ihm ein Verdienst aus der Fruchtbarkeit seiner Länder zu machen, weil er die Sonne scheinen und Regen fallen läßt.«

Nurmahal, Danischmend und der junge Mirza erteilten dieser Anmerkung ihren Beifall in vollem Maße, und mit aller der Bewunderung, welche sie um so mehr verdiente, da sie wirklich uneigennütziger war, als Schach-Gebal selbst sich vielleicht schmeicheln mochte.

»Der gute König von Scheschian«, fuhr Nurmahal in ihrer Erzählung fort, »der zu dieser in dem Munde eines großen Monarchen so preiswürdigen Anmerkung Gelegenheit gegeben hat, was auch sein Name gewesen sein mag, verdient wenigstens das Lob eines guten Geschmacks in der Wahl seiner Günstlinge; denn die schöne Lili, seine Favoritin, war aus allem, was eine Person unsers Geschlechtes liebenswürdig machen kann, zusammen gesetzt. Und sollten ihr auch die Dichter, Maler, Bildhauer und Schaumünzenmacher ihrer Zeit geschmeichelt haben, so ist doch nicht zu leugnen, daß die Nation Ursache hatte, ihr Andenken zu segnen. Niemals ist eine größere Gönnerin der Künste gewesen, als die schöne Lili. Sie führte den Seidenbau in Scheschian ein, und zog eine Menge persischer, sinesischer und indischer Künstler herbei, welche durch ihren Vorschub alle Arten von Manufakturen zu Stande brachten. Die Scheschianer lernten unter ihrer Regierung – dies ist der eigene Ausdruck der Geschichtschreiber – Bequemlichkeiten und Wollüste kennen, von welchen die meisten noch keinen Begriff gehabt hatten. Man glaubte ihr den Genuß eines neuen und unendliche Mal angenehmern Daseins zu danken zu haben. Sie brachte die Schätze in einen belebenden Umlauf, die in den Schatzkammern der vorigen Könige, wie die Leichen der Pharaonen in ihren Pyramiden, auf eine unnützlich prahlerhafte Weise begraben lagen. Ihr Beispiel reizte die Großen und Begüterten zur Nachahmung. Die Hauptstadt bildete sich nach dem Hofe, und die Städte der Provinzen nach der Hauptstadt. Erfindsamkeit und Fleiß bestrebten sich in die Wette, den ganzen Staat in eine so lebhafte als heilsame Tätigkeit zu setzen; denn Erfindsamkeit und Fleiß war der gerade Weg zu Überfluß und Gemächlichkeit, und wer wünscht nicht so angenehm zu leben als möglich? Die wohltätige Lili machte die Einwohner von Scheschian auch mit den Reizungen der Musik und der Schauspiele bekannt; und so nachteilig in der Folge alle diese Geschenke ihrem Wohlstande wurden, so unleugbar ist es, daß sie anfangs eine sehr gute Wirkung taten. So wie sich das Gefühl der Scheschianer verfeinerte, so verschönerten sich auch zusehens ihre Sitten. Man wurde geselliger, sanfter, geschmeidiger, man vertrug sich besser, man lernte sich mit einander freuen, und fühlte sich selbst desto glücklicher, je größer die Menge der Glücklichen war, die man um sich sah, und so weiter; – denn es würde sehr unnötig sein, Ihrer Hoheit alle die guten Wirkungen des Geschmacks und der Künste vorzuzählen, von welchen Sie Selbst ein so großer Kenner und Beförderer sind. Freilich gab es hier und da milzsüchtige, zur Freude untüchtig gewordene Leute, die ein klägliches Geschrei über diese Neuerungen erhoben. ›Welche Greuel!‹ riefen sie, indem sie ihre übel gekämmten Köpfe mit Unglück-weissagender Miene schüttelten. ›Was werden die Früchte davon sein? Diese Liebe zu Gemächlichkeiten und Ergetzungen, dieser verfeinerte Geschmack, dieser herrschende Hang zur Sinnlichkeit, wird die Nation zu Grunde richten. Üppige Feiertage werden den Gewinn der arbeitsamen Tage, üppiger Aufwand den Überfluß der sparsamen Mäßigkeit verzehren; die Wollust wird den Müßiggang, der Müßiggang die ganze verderbliche Brut der Laster herbei ziehen. Die Reichen werden unersättlich werden, und bei aller Verfeinerung ihrer Empfindungen sich kein Bedenken machen, von dem Eigentume der Armen, so viel sie nur können, in ihren Strudel hinein zu ziehen. Die Armen werden eben so wenig gewissenhaft sein, alles, wie ungerecht und schändlich es immer sein mag, zu tun und zu leiden, wenn es nur ein Mittel abgeben kann, sich in den beneideten Zustand der Reichen zu schwingen. Ungeheuer von Lastern, unnatürliche Ausschweifungen, Verräterei, Giftmischerei und Vatermord werden durch ihre Gewöhnlichkeit endlich das Abscheuliche verlieren, das sie für die unverdorbene Menschheit haben; und nicht eher, als bis die Nation unwiederbringlich verloren ist, wird man gewahr werden, daß die schöne Lili die zauberische und geliebte Urheberin unsers Verderbens war.‹

Einige alte Leute, die im Laufe von sechzig oder siebzig Jahren weislich genug gelebt hatten, um im Alter noch nicht allem Anteil an den Freuden des Lebens entsagen zu müssen, sahen die Sache aus einem andern Gesichtspunkt an. – ›Unsere milzsüchtigen und nervenlosen Brüder haben nicht ganz unrecht‹, sagten sie:›Ergetzungen und Wollüste können, als die Würze des Lebens, durch übermäßigen Gebrauch nicht anders als schädlich sein. Die Natur hat sie zur Belohnung der Arbeit, nicht zur Beschäftigung des Müßiggangs bestimmt. Gleichwohl ist unleugbar, daß nicht die schöne Lili, sondern die Natur selbst, die Zaubrerin ist, die uns diesen göttlichen Nektar darreicht, den sie mit eigenen Händen für uns zubereitet hat, und wovon etliche Tropfen genug sind, uns aller Mühseligkeiten des Lebens vergessen zu machen. Oder ist es nicht die Natur, die den Menschen von einem Grade der Entwicklung zum andern fortführt, und, indem sie durch die Bedürfnisse seine Einbildungskraft und durch die Einbildungskraft seine Leidenschaften spielen macht, diese vermehrte Geselligkeit, dieses verfeinerte Gefühl, diese Erhöhung seiner empfindenden und tätigen Kräfte hervorbringt, wodurch der Kreis seiner Vergnügungen erweitert, und seine Fähigkeit, des Daseins froh zu werden, mit seinen Begierden zugleich vermehrt wird? Laßt uns also der Natur folgen; einer Führerin, die uns unmöglich irre führen kann!

Nicht sie, – unsre Ungeduld, unsre Gierigkeit im Genießen, unsre Unachtsamkeit auf ihre Warnungen, ist es, was uns auf Abwege verleitet. Jede höhere Stufe, welche der Mensch betritt, erfodert eine andere Lebensordnung; und eben darum, weil der große Haufe der Sterblichen als unmündig anzusehen ist, und sich nicht selbst zu regieren weiß, muß er dieses Amt einer gesetzgebenden Macht überlassen, welche immer das Ganze übersehen, und ihren Untergebenen, mit jeder merklichen Veränderung ihrer Umstände, auch die darnach abgemessenen Verhaltungsregeln vorschreiben soll. Es lebe die schöne Lili! Sie hat sich ein Recht an unsre Dankbarkeit erworben, denn sie hat uns Gutes getan. Aber wenn sie sich nun auch gefallen lassen wollte, uns eine so vollkommene Polizei zu geben, als wir bedürfen, wenn uns ihre Geschenke nicht verderblich werden sollen: dann verdiente sie, wenigstens so gut als der große Affe, daß wir ihr Pagoden erbaueten!‹

Die schöne Lili hüpfte auf dem blumichten Wege fort, auf den eine wollüstige Einbildungskraft sie geleitet hatte, ohne sich um die Drohungen der einen, noch um die Warnungen der andern zu bekümmern. Sie genoß des Vergnügens, der Gegenstand der Liebe und Anbetung einer ganzen Nation zu sein. Umflattert von Freuden und Liebesgöttern, goß sie überall, so weit ihre Blicke reichten, süßes Vergessen aller Sorgen, Entzücken und Wonne aus.