Die Leute schüttelten die Köpfe und zogen die Augenbrauen hoch und hielten die Herberts für recht »eigenartig«, »wollten lieber nicht gesehen werden, wie sie in ihr Haus gingen« und so weiter, aber nichts Konkretes. Die Behörde war sich so gut wie sicher, daß der Mann auf irgendeine Art und Weise im Hause den Tod gefunden hatte und aus der Küchentür hinausgestoßen worden war, doch zu beweisen war es nicht, und da es keine Indizien für Gewaltanwendung oder Gift gab, war man ratlos. Ein seltsamer Fall, nicht wahr? Aber es kommt noch seltsamer – etwas, was ich Ihnen noch nicht erzählt habe. Ich kannte zufällig einen der Ärzte, die herangezogen wurden, um die Todesursache festzustellen, und einige Zeit nach der gerichtlichen Untersuchung traf ich ihn und fragte ihn aus. »Wollen Sie mir wirklich sagen«, meinte ich, ›daß der Fall für Sie ein unlösbares Problem darstellt, daß Sie tatsächlich nicht wissen, woran der Mann gestorben ist?‹ ›Verzeihung‹, erwiderte er, ›ich weiß sehr wohl, was den Tod verursacht hat. Soundso ist an der Angst gestorben, am reinen, furchtbaren Entsetzen; ich habe in meiner ganzen Praxis noch nie so schrecklich verzerrte Züge gesehen, und ich habe schon in eine ganze Armee von Totengesichtern geschaut.‹ Der Doktor war für gewöhnlich ein ziemlich kaltblütiger Zeitgenosse, und mir fiel eine gewisse Erregtheit an ihm auf, doch herauszubekommen war aus ihm nichts weiter. Ich nehme an, man sagte sich, es sei sinnlos, die Herberts dafür unter Anklage zu stellen, daß sie einen Mann zu Tode erschreckt hatten – jedenfalls wurde von seiten der Behörde nichts unternommen, und die Leute vergaßen langsam den Fall. Wissen Sie denn etwas über diesen Herbert?«
»Nun«, antwortete Villiers, »er war ein alter Collegefreund von mir.«
»Tatsächlich? Haben Sie denn je seine Frau gesehen?«
»Nein, nie. Ich habe Herbert vor vielen Jahren aus den Augen verloren.«
»Das ist schon eigenartig, nicht wahr? Wenn man sich von einem Mann am Collegetor oder an der Paddington Station verabschiedet, jahrelang nichts von ihm sieht, und dann plötzlich in einem so seltsamen Zusammenhang von ihm hört. Aber Mrs. Herbert hätte ich gerne einmal kennengelernt – die Leute erzählen derart Außergewöhnliches von ihr.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Ich weiß kaum, wie ich es erklären soll. Jeder, der sie bei der Untersuchungsverhandlung gesehen hat, meinte, sie sei die schönste Frau, die er je gesehen habe, und gleichzeitig die abstoßendste. Ich habe mit einem Mann gesprochen, der sie sah, und ich versichere Ihnen, daß es ihn buchstäblich schauderte, als er diese Frau zu beschreiben versuchte, aber warum, das wußte er nicht zu sagen. Sie scheint ein Geheimnis gewesen zu sein – und ich nehme an, wenn der Tote uns noch etwas hätte erzählen können, wären das höchst sonderbare Geschichten gewesen. Und da gerät man in ein weiteres Rätsel: Was macht denn ein respektabler Gutsherr wie Mr. Nobody (so wollen wir ihn nennen, wenn es Ihnen nichts ausmacht) in einem so merkwürdigen Haus wie Nummer 20? Alles in allem ein seltsamer Fall, nicht wahr?«
»Das stimmt, Austin – ganz ungewöhnlich seltsam. Ich hätte nicht gedacht, als ich Sie nach meinem alten Freunde fragte, daß ich auf eine so wunderliche Ader stoßen würde. Ich muß nun gehen. Guten Tag.«
Villiers brach auf und dachte an sein eigenes Bild von den ineinandergeschachtelten chinesischen Kästchen – dies da war in der Tat merkwürdig gearbeitet.
Der Fund in der Paul Street
Einige Monate nach Villiers’ Begegnung mit Herbert saß Mr. Clarke wie gewöhnlich nach dem Abendessen am Kamin und hielt seine Gedanken entschlossen davon ab, in Richtung des Sekretärs zu wandern. Seit über einer Woche war es ihm gelungen, seinen »Aufzeichnungen« fernzubleiben, und er hegte Hoffnungen auf eine durchgreifende Besserung seiner selbst. Doch trotz seiner Bemühung konnte er das Erstaunen und die seltsame Neugier nicht ganz zur Ruhe bringen, welche jener letzte von ihm niedergeschriebene Fall in ihm erregt hatte. Er hatte diesen Fall oder besser gesagt: eine Zusammenfassung davon probeweise einem ihm befreundeten Wissenschaftler vorgelegt; der hatte den Kopf geschüttelt und sich gedacht, Clarke werde wohl schrullig. Und an diesem Abend strengte Clarke sich selbst an, für die Geschichte eine vernünftige Erklärung zu finden, als ein Klopfen an der Tür ihn plötzlich aus seinen Meditationen riß.
»Mr. Villiers ist da, Sir.«
»Liebe Zeit, Villiers, sehr nett von Ihnen, mich zu besuchen – wir haben uns monatelang nicht gesehen, ich glaube, fast ein Jahr. Kommen Sie, kommen Sie herein. Und wie geht es Ihnen so? Möchten Sie Rat wegen Ihrer Geldanlagen?«
»Nein, danke, ich glaube, da ist alles in bester Sicherheit. Nein, Clarke – ich bin eigentlich gekommen, um Sie in einer recht sonderbaren Angelegenheit zu konsultieren, auf die ich letzthin aufmerksam gemacht worden bin. Ich fürchte, Sie werden das alles recht absurd finden, was ich Ihnen zu erzählen habe, manchmal geht es mir selber so, und ebendeshalb habe ich mich entschieden, zu Ihnen zu kommen, weil ich weiß: Sie sind ein praktisch denkender Mann.«
Mr. Villiers wußte nichts von den »Aufzeichnungen zum Beweis der Existenz des Teufels«.
»Nun, Villiers, ich will Ihnen nur zu gerne mit meinem Rat weiterhelfen, so gut ich kann.
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