Das wird Ihnen alles als verstiegene Rhetorik erscheinen, Clarke, doch ist es schwer, Worte zu finden. Trotzdem – ich weiß nicht, ob sich das, was ich andeute, nicht auch mit einfachen, ganz vertrauten Begriffen beschreiben ließe. Beispielsweise ist diese unsere Welt nun fast zur Gänze mit Telegraphendrähten und Kabeln umgeben – der Gedanke fliegt fast mit Gedankenschnelle vom Aufgang zum Niedergang der Sonne, von Nord nach Süd, über die Meeresflut und die Einöden. Gesetzt den Fall, ein heutiger Elektroingenieur würde plötzlich erkennen, daß er und seine Freunde nur mit Kieselsteinen gespielt und sie für die Säulen der Welt gehalten haben; nehmen wir an, er sähe den weltenfernsten Raum dem Energiestrom geöffnet und Menschenworte zuckten mit Blitzeseile zur Sonne und über die Sonne hinaus in Sternensysteme jenseits der unseren, und die Stimmen der Menschen hallten deutlich wider in der öden Leere, die unser Denken umschlossen hält. Als notwendig unzulängliche Analogie ist dies doch ein gutes Bild für das, was ich vollbracht habe. Sie verstehen nun ein wenig von dem, was ich empfand, als ich eines Abends hier stand – es war ein Sommerabend, das Tal sah ganz so aus wie jetzt, ich stand hier und sah vor mir den unaussprechlichen, den unerdenklichen Abgrund zwischen zwei Welten: zwischen jener der Materie und der des Geistes. Ich sah die große, tiefe Leere sich grauverhüllt vor mir erstrecken, und in diesem Augenblick sprang eine Brücke von der Erde hinüber zum Rand des Unbekannten, und der Abgrund war überwunden! Sie können im Buch von Browne Faber nachschlagen, wenn Sie möchten, und da werden Sie sehen, daß die Wissenschaftler bis zum heutigen Tage nicht wissen, wie sie sich das Auftreten einer bestimmten Gruppierung von Nervenzellen im Gehirn erklären oder welche Funktion sie ihr zuweisen sollen. Diese Zellen sind, sozusagen, zu verpachtendes Land, ein leeres Terrain für phantastische Theorien. Ich befinde mich nicht in der mißlichen Lage wie Browne Faber und die Spezialisten, ich bin vollkommen orientiert über die Rolle, welche jene Nervenzentren in der Ordnung der Dinge spielen könnten! Mit einer leichten Berührung kann ich sie anregen, mit einer bloßen Berührung, sage ich, kann ich den Strom freisetzen, kann ich diese Welt der Sinne kommunizieren lassen mit wir werden diesen Satz später beenden können. Ja, das Messer ist notwendig, doch bedenken Sie, was dieses Messer vermag! Es wird die starre Mauer der Sinnenwelt ganz und gar einreißen, und wahrscheinlich zum ersten Mal seit der Erschaffung des Menschen wird ein geistiges Wesen die Geisterwelt schauen. Clarke, Mary wird den Großen Pan sehen!«

»Aber Sie wissen doch noch, was Sie mir schrieben? Ich dachte, es wäre notwendig, daß sie ...«

Er flüsterte den Rest dem Doktor ins Ohr.

»Durchaus nicht, durchaus nicht. Das ist Unsinn, ich versichere es Ihnen. Tatsächlich ist es besser so, wie es ist, dessen bin ich mir gewiß.«

»Überlegen Sie es sich gut, Raymond. Es ist eine große Verantwortung. Es kann etwas fehlschlagen, und Sie hätten sich für den Rest Ihres Lebens unglücklich gemacht.«

»Nein. Wohl kaum. Selbst wenn das Schlimmste geschähe – wie Sie wissen, habe ich Mary als Kind aus der Gosse geholt und sie vor dem beinahe sicheren Hungertod gerettet. Ich glaube, ich kann ihr Leben gebrauchen, wie es mir richtig erscheint. Kommen Sie, es ist schon spät, wir gehen besser hinein.«

Dr. Raymond ging voran ins Haus, durch die Diele und durch einen langen dunklen Korridor. Er holte einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete eine schwere Tür, um Clarke dann in sein Laboratorium zu winken. Früher war hier ein Billiardzimmer gewesen, und von der Decke hing noch eine runde Lampenkugel, die ein traurig-graues Licht auf den Doktor warf, als er eine andere Lampe mit einem massiven Schirm anzündete und auf einen Tisch in der Mitte des Raumes stellte.

Clarke sah sich um. Kaum ein Fußbreit der Wände war leer. Überall standen Regale voller Flaschen und Phiolen in allen Formen und Farben, und an einem Ende war ein kleiner Chippendale-Bücherschrank. Raymond deutete zu ihm hinüber.

»Sehen Sie diesen Pergamentband von Oswald Crollius? Das war einer der ersten, die mich auf den Weg gebracht haben, obwohl ich nicht glaube, daß er selber ihn je gefunden hat. Einer seiner sonderbaren Sätze lautet: ›In jedem Weizenkorn ist die Seele eines Sterns verborgen.‹«

Sonst war das Laboratorium sparsam möbliert. Der Tisch in der Mitte, ein großer Steinquader, dessen Platte in einer Ecke einen Abfluß hatte, die beiden Sessel, in denen Raymond und Clarke saßen: Das war alles, einen seltsam aussehenden Stuhl im entferntesten Winkel des Raumes ausgenommen. Clarke schaute ihn an und zog die Augenbrauen hoch.

»Ja, das ist der Stuhl«, sagte Raymond. »Wir können ihn auch gleich aufstellen.« Er erhob sich und rollte den Stuhl ins Licht, um ihn dann höher und tiefer zu stellen, den Sitz herunterzulassen, den Rücken in verschiedenen Winkeln zu adjustieren und die Fußstütze einzurichten. Es sah bequem genug aus, und Clarke strich mit der Hand über den weichen grünen Samt, während der Doktor an den Hebeln hantierte.

»Jetzt, Clarke, machen Sie es sich nur bequem.