Die Züge wurden bleich, weißer als das Kleid; die junge Frau sträubte sich schwach, und dann, in sich das mächtige Gefühl, sie müsse sich gefügig zeigen, kreuzte sie die Arme auf der Brust wie ein kleines Kind, das sich anschickt zu beten. Das helle Lampenlicht schien direkt auf sie, und Clarke beobachtete die Veränderungen in ihrem Gesicht wie die auf den Hügeln, wenn die Sommerwolken an der Sonne vorbeiziehen. Und dann lag sie ganz weiß und still, und der Doktor zog eines ihrer Augenlider hoch. Sie war ohne Bewußtsein. Raymond drückte fest auf einen Hebel, und der Stuhl sank sogleich zurück. Clarke sah, wie er auf einem kreisförmigen Fleck ihr Haar abschnitt, wie eine Tonsur, und die Lampe wurde näher herangeholt. Raymond nahm ein blinkendes kleines Instrument aus einem Kästchen, und Clarke wandte sich erschauernd ab. Als er wieder hinsah, verband der Doktor die Wunde, die er dem Mädchen zugefügt hatte.
»Sie wird in fünf Minuten erwachen.« Raymond war immer noch völlig kühl und gelassen. »Es gibt nun nichts mehr zu tun. Wir können nur warten.«
Die Minuten gingen langsam vorüber; sie konnten ein schleppendes, schwerfälliges Ticken hören. Im Korridor stand eine alte Standuhr. Clarke war es schwindlig und fast schlecht; seine Knie zitterten, kaum konnte er stehen.
Plötzlich hörten sie, aufmerksam wartend, einen langen Seufzer, plötzlich trat die verschwundene Farbe wieder in die Wangen der Frau, und plötzlich taten sich ihre Augen auf. Clarke schrak vor ihrem Anblick zurück. Sie erglänzten von einem schrecklichen Leuchten, sie sahen in eine weite Ferne, und ein großes Erstaunen kam über das Gesicht des Mädchens, seine Hände streckten sich aus, wie um ein Unsichtbares zu berühren. Doch im Augenblick verging das Staunen, und an seine Stelle trat das furchtbarste Entsetzen. Die Muskeln des Gesichts verzerrten sich schrecklich, der Leib bebte von Kopf bis Fuß, die Seele schien in ihrem fleischlichen Gebäude zu ringen und zu schaudern. Es war ein fürchterlicher Anblick, und Clarke sprang hinzu, als die junge Frau gerade kreischend zu Boden stürzte.
Drei Tage später führte Raymond Clarke an Marys Bett. Sie war ganz wach, sie lag da und ließ den Kopf hin- und herrollen, mit einem leeren Grinsen.
»Ja«, sagte der Doktor, noch immer kühl und gelassen, »es ist jammerschade, sie ist eine hoffnungslose Idiotin. Doch es war nichts zu machen, und schließlich hat sie den Großen Pan gesehen.«
Mr. Clarkes Aufzeichnungen
Mr. Clarke, der Gentleman, den Dr. Raymond auserwählt hatte, Zeuge des seltsamen Experiments mit dem Gotte Pan zu werden, war ein Mann, in dessen Charakter Vorsicht und Neugier sich seltsam vermählten. In seinen nüchternen Augenblicken dachte er mit unverhohlenem Widerwillen an das Ungewöhnliche und Bizarre, und doch saß tief in seinem Herzen eine großäugige Schaulust, die von all dem angezogen wurde, was an der Menschennatur zum Verborgeneren, Geheimeren zählte. Letztere Neigung hatte die Oberhand, als er Raymonds Einladung annahm, denn obwohl sein vernünftiges Urteil stets die Theorien des Doktors als wildesten Nonsens verwarf, delektierte er sich doch insgeheim am Glauben an das Phantastische und hätte mit Freuden diesen Glauben bestätigt gesehen. Die Schrecken, derer er in dem düsteren Laboratorium ansichtig wurde, waren bis zu einem gewissen Grade heilsam. Er war sich dessen bewußt, in eine etwas zwielichtige Angelegenheit verwickelt zu sein, und während vieler Jahre danach hielt er sich tapfer an das Alltägliche und mied alle Gelegenheiten zu okkulter Nachforschung. Tatsächlich besuchte er – einer Art homöopathischem Prinzip folgend – eine Zeitlang die Séancen bekannter Medien in der Hoffnung, daß die unbeholfenen Tricks dieser Herren ihm zu einer allgemeinen Abneigung gegen jeglichen Mystizismus verhelfen würden, doch diese kaustische Therapie war trotzdem nicht wirksam: Clarke wußte, daß er sich immer noch nach dem Niegesehenen sehnte, und nach und nach trat die alte Leidenschaft wieder in ihre Rechte, während das Antlitz Marys, wie es sich in unsagbarem Entsetzen zuckend verkrampfte, langsam aus seiner Erinnerung schwand. Tagsüber stets mit ernsthaften und einträglichen Geschäften befaßt, fand er abends die Versuchung groß, sich zu erholen – Insbesondere in den Wintermonaten, wenn das Feuer seine behagliche Junggesellenwohnung mit seiner warmen Glut erhellte und eine Flasche erlesenen Rotweins neben seinem Ellbogen bereitstand. Hatte er sein Abendessen bewältigt, spielte er sich kurz vor, die Lektüre der Abendzeitung interessiere ihn. Doch der kahle Katalog der Neuigkeiten war ihm rasch langweilig, und er ertappte sich dabei, wie er Blicke der Begehrlichkeit auf einen alten japanischen Sekretär warf, der in angenehmer Entfernung vom Kamin stand.
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