Wie ein kleiner Junge vor dem Schrank, in dem die Marmeladen stehen, zögerte Clarke erst unentschlossen ein paar Minuten lang, bis dann stets das Gelüste siegte und er schließlich seinen Stuhl heranzog, eine Kerze anzündete und sich vor dem Sekretär niederließ. Dessen Fächer und Schubladen quollen über von Dokumenten mit morbidestem Inhalt, und auf der Schreibplatte ruhte ein großer Band in Clarkes Handschrift, in den er mit mühsamer Sorgfalt die Perlen seiner Sammlung übertragen hatte. Clarke empfand eine großartige Verachtung für veröffentlichte Literatur; die gespenstischste Geschichte hörte auf, ihn zu interessieren, war sie denn einmal im Druck erschienen; sein einziges Vergnügen lag im Überlesen, Kompilieren, Anordnen und Neuordnen seiner von ihm so genannten »Aufzeichnungen zum Beweis der Existenz des Teufels«, und bei dieser Tätigkeit schien der Abend zu verfliegen, und die Nacht war zu kurz.

Eines Abends in einer gemeinen Dezembernacht, schwarz vor Nebel und beißend kalt, beeilte sich Clarke mit seinem Abendessen und ließ sich kaum einen Moment zu seinem gewohnten Ritual herbei, in welchem die Abendzeitung vorgenommen und wieder weggelegt wurde. Er ging zwei-, dreimal im Zimmer auf und ab, öffnete den Sekretär, stand einen Moment lang still und setzte sich dann. Er lehnte sich zurück, gefangen in einer jener Träumereien, wie sie ihn überkamen, und endlich zog er sein Buch hervor und schlug es bei der letzten Eintragung auf. Drei oder vier Seiten waren da dicht mit Clarkes rundlich-regelmäßiger Schrift bedeckt, und zu Beginn hatte er in etwas größeren Buchstaben geschrieben:

Singulärer Bericht meines Freundes Dr. Phillips. Er versichert mir, daß alle hier erzählten Begebenheiten ganz und durchaus wahr sind, lehnt es jedoch ab, die Familiennamen der betreffenden Personen oder den Ort dieser außerordentlichen Begebenheiten zu nennen.

 

Mr. Clarke fing an, das Niedergelegte zum zehnten Male durchzugehen, wobei er hie und da einen Blick auf die Bleistiftnotizen warf, die er sich gemacht hatte, als sein Freund ihm alles erzählte. Zu seinen Grillen gehörte es, sich darin zu gefallen, daß er sich eine gewisse literarische Begabung zuschrieb. Er hielt viel auf seinen Stil und bemühte sich um einen dramatischen Aufbau des Mitgeteilten. Er las folgende Geschichte:

 

Es geht in dieser Darlegung um die Personen Helen V., eine Frau, die, falls sie noch unter den Lebenden ist, jetzt dreiundzwanzig sein muß, die mittlerweile verstorbene Rachel M., welche ein Jahr jünger war als die eben Genannte, und Trevor W., achtzehn Jahre, einen Schwachsinnigen. Sie wohnten zur Zeit der Erzählung in einem Dorf im Grenzland von Wales, zu Zeiten der römischen Besatzung ein Ort von einiger Bedeutung, doch nun ein zerstreut liegender Weiler von nicht mehr als fünfhundert Seelen. Er liegt auf einer Anhöhe, etwa sechs Meilen vom Meer entfernt, im Schutze eines ausgedehnten malerischen Waldes.

Vor etwa elf Jahren kam Helen V. unter recht sonderbaren Umständen in das Dorf. Es heißt, daß sie, eine Waise, in der Kindheit von einem entfernten Verwandten adoptiert wurde, der sie in seinem Hause aufzog, bis sie das Alter von zwölf Jahren erreicht hatte. Da er es jedoch für besser hielt, wenn das Kind Spielgefährten gleichen Alters hätte, annoncierte er in verschiedenen Lokalzeitungen nach einem guten Heim auf einem wohlversehenen Bauernhof für ein zwölfjähriges Mädchen, und auf diese Anzeige meldete sich Mr. R., ein wohlhabender Bauer in dem erwähnten Dorfe. Da seine Referenzen befriedigend waren, schickte der Herr seine Adoptivtochter zu Mr. R. – mit einem Brief, in dem er sich ausbat, daß das Mädchen ein eigenes Zimmer haben sollte, und hervorhob, daß ihre Pflegefamilie sich um ihre Erziehung nicht bekümmern bräuchte, da sie für die Stellung, die sie im Leben einnehmen würde, bereits hinreichend erzogen sei. Tatsächlich gab man Mr. R. zu verstehen, daß es dem Mädchen überlassen bleiben solle, sich ihre Beschäftigungen zu suchen und ihre Zeit mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken zuzubringen. Mr. R. holte sie schließlich an der nächsten Bahnstation ab – in einer Stadt, die einige Meilen von seinem Hof entfernt gelegen war – und scheint an dem Kind nichts Außergewöhnliches wahrgenommen zu haben, abgesehen davon, daß sie mit Bezug auf ihr bisheriges Leben und ihren Adoptivvater kaum etwas sagte. Doch gehörte sie einem von den Bewohnern des Dorfes ganz verschiedenen Typus an: Ihre Haut war von einem blassen, klaren Olivgrau, und der scharf ausgeprägte Schnitt ihrer Gesichtszüge hatte etwas Fremdländisches. Sie scheint sich umstandslos in das Leben des Bauernhofs eingefügt zu haben und war beliebt bei den Kindern, die manchmal mit ihr im Wald umherwanderten, denn dies war ihr hauptsächliches Vergnügen. Mr.