Ich liebte das Tier wie einen Bruder und blieb bei ihm in der Meierei zurück, bis ich um dasselbe außer Sorge sein konnte. Dann schlug ich den Rückweg zu Fuß ein. Rasch eilte ich von hinnen. Es war klarer Tag, als ich eine weite grüne, von spottenden Echostellen umgebene Lichtung durchschritt, an deren Ende ein dort beginnender Felsweg vom Hufschlag eines Pferdes erklang. Ich schlug mich schnell ins Gebüsch und legte mich auf den Bauch, die Augen spähend auf den langen Wiesenpfad gerichtet. Und ich erblickte dort den arabischen Schimmel des Kanzlers, von seinem Herrn langsam und lässig gelenkt. Das schöne Tier schnoberte wollüstig und sog mit geöffneten Nüstern die Morgenluft und den Waldgeruch ein.
Herr, ich war nicht überrascht, den Kanzler auf diesen grünen Wegen zu finden. Ich war darauf gefaßt, seiner früher oder später ansichtig zu werden, wie er diese Straße fahre; denn die Zierfeste wurde von seinem Knechte gehütet, und ihre maurische Bauart, die ausländischen Bäume des Burggartens, das jagdfreie Wild ringsherum hatten mich längst über den Erbauer ins Gewisse gebracht. Daraus hatte auch der König am ersten Tage erraten, wer hier etwas Liebes versteckt halte.
Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Es ergötzte mich, diesen Vater der Weisheit und tiefen Gelehrten auf etwas Menschlichem zu betreffen, und daß ihm Herr Heinrich, der einzige, der es ungestraft durfte, ins Gehege gekommen, das ließ mich in Sicherheit lachen. Auch ist es seit grauen Zeiten angenommen, daß in Buhlschaft und Liebeswette Kleriker und Gelehrte ausgestochen werden von Fürsten und Kriegsleuten.
Sicherlich jedoch ließ ich von meiner Wissenschaft gegen Herrn Heinrich nichts merken, weder mit einer schlauen Anspielung, noch mit einem lustigen Gesichte; denn es gibt Grenzen, Herr, im gefährlichen Umgange eines Knechtes mit einem König, selbst dem leutseligsten. In der Stille meiner Gedanken ergötzte mich ein Tun, das ich für einen fürstlichen Mutwillen hielt; aber ich verwickelte mich in einen Greuel und in eine Torheit, die Herrn Heinrich die Krone, das Leben und – wehe – seiner Seele Seligkeit gekostet hat.
Versteht, Herr, ich meinte, der Kanzler hätte sich eine reife süße Traube aus irgendeinem besonderen aquitanischen Weinberge in den englischen Nebel herübergeholt, und wenn er nun an ihr die gefaulten Beeren entdecke, schiebe er sie gleichgültig und höchstens, als ein Zärtling, mit etwas Ekel auf die Seite. Schon sah ich ihn, wie er, seinen König und Schöpfer als Nebenbuhler findend, mit einer höfischen, leise verächtlichen Miene aus den Schranken trat.
Dergestalt gewahrte ich in diesem Verrate wenig Übel und keine Gefahr.
Mit schadenfroher Neugier blickte ich aus meinem Versteck zu dem langsamen Reiter hinüber, der seit wenigen Tagen aus Canterbury zurückgekommen war, wo ihm die Pfaffen des Königs zu tun gegeben hatten, und der jetzt seine Nächte in Windsor über den während seiner Abwesenheit liegengebliebenen Geschäften zubrachte. Bei dem gleichmäßig milden Scheine einer griechischen Ampel schrieb er unermüdet, so daß der König, wann er aus unruhigem Schlafe auffuhr, über den Hof hinweg den für ihn und das Reich Sorgenden erblicken konnte.
Aber ist er's? Ist dies der verschlossene Kanzler mit den kalt prüfenden Blicken und den Staatssorgen, fragte ich mich verwundert, oder ein andächtiger Ritter und Pilger nach dem heiligen Grale? – Ihr kennet die Mär von dem Kelch mit dem kostbaren Blute, der, unter süßem Getön vom Himmel sinkend, auf Montsalvatsch sich niedergelassen hat? – In den blassen, träumenden Zügen lag eine selige Güte und das Antlitz schimmerte wie Mond und Sterne. Sein langes Gewand von violetter Seide floß in priesterlichen Falten über den Bug des silberfarbenen Zelters, der, sonst nach dem feurigen Schalle der Zinken und Pauken zu tanzen gewöhnt, heute langsam den weichen Pfad beschritt und den zierlichen Fuß hob wie nach dem Tone der Flöten, welche die verborgenen Waldgötter spielen.
Ich entsetzte mich ob der Frömmigkeit, mit welcher der Scheinheilige auf sündige Buhlschaft ritt – ganz anders als mein fürstlich frecher und minnedurstiger Herr – und doch übermannte mich ein Mitleid mit dieser getäuschten Andacht und dann eine plötzliche Furcht, der Blasse dort, dessen Wesen mir von jeher eine mir ungewohnte Scheu angehaucht hatte, möchte den Raub seines Heiligtums an uns, meinem König und mir, insgeheim, aber unerhört und grausam rächen.
In diesem Augenblicke zeigte sich die senkrechte, tiefe Staatsfalte wieder zwischen den feinen Brauen des Kanzlers. Herr Thomas trieb sein Pferd an, nicht von Ungeduld befallen, sondern von einer aufsteigenden Sorge, wie mir schien.
Wieder stand die Sichel eines neuen Mondes am Himmel, als ich zum andern Male auf diesen Wegen vom Tag ereilt wurde. Der König hatte gegen Mitternacht von seiner Buhle Abschied genommen, denn es stand seine Reise nach der Normandie bevor, mich dann aber, an der Grenze des Forstes angelangt, wieder zurückjagen lassen mit der Botschaft, er begehre sie noch einmal zu umfangen und werde morgen wiederkommen.
Nach ausgerichtetem Auftrage ritt ich müde und schläfrig durch den schon herbstfeuchten Wald zurück. Während mein schreitender Gaul die gelben Blätter von den Zweigen strich, hatte ich trübselige Gedanken über die Vergänglichkeit des irdischen Wesens, wie sie mir gewöhnlich sind, wann ich die bleichen Lichter der Zeitlosen auf den Wiesen erblicke.
Ein helles Gewieher in nächster Nähe erweckte mich aus meiner Schwärmerei. Nach einer Wendung des Pfades erblickte ich einen gesattelten Gaul, der an das Gehege des Meierhofes gebunden stand. Ich gleite vom Pferde, führe es ins Dickicht und spähe, geräuschlos zurückgeschlichen, über den hohen Zaun des Gehöftes. Drinnen verkehrte mit dem ihn mißtrauisch betrachtenden Meier ein hagerer geharnischter Gesell, der mir erst den Rücken zuwandte, dann aber mitten im Gespräche rasch den Kopf drehend, gerade in der Richtung des Schlößchens, den scharfen Haken seines Raubvogelgesichtes zeigte. Ich erkannte den Geier, suchte meinen Gaul und setzte ihn in Galopp. Niemand anders umkreiste das Lustrevier meines Königs als der Normanne Malherbe, mir verhaßter seit Hildes Entführung als jener Kriegsknecht auf dem Passionsbilde zu Allerheiligen, welcher unserm Herrn und Heiland ins Gesicht speit und gegen den ich schon auf Kindesbeinen einen besonderen Grimm verspürte. Der Kanzler hatte den Verworfenen aus seinem Gefolge entfernt und es verlautete, er habe bei Frau Ellenor Dienst und Gunst gefunden. Ich sah, was da bevorstand. Erfuhr Frau Ellenor das Versteck der Waldelfe, so wettete ich keinen Pfennig auf ihr zartes Leben.
Als ich dem Könige von dieser schlimmen Begegnung Bericht gab, schoß ihm das Blut dunkelrot zu Kopfe vor Zorn und Liebe.
›Wir müssen mit der kleinen Dame über Meer‹, sagte er und runzelte die Brauen. ›Und zur Stunde! Bevor der Habicht die Taube zerfleischt!‹
Er befahl mir auf den Abend drei gesattelte Rosse und für ihn eine unscheinbare Tracht bereitzuhalten.
Es war schon dunkel, als der erst spät vom Kanzler freigelassene Herr Mantel und Kappe ergriff und sich zu Pferde warf.
Nach einer Stunde scharfen Rittes, schon fast auf der Hälfte des Weges, winkte er mich an seine Seite und sagte mir, ich kehre in der Frühe nicht mit ihm zurück, sondern habe morgen in dem Schlößchen zu bleiben und die Herrin mit einer Zofe nach eingebrochener Nacht auf seine nächste Burg zu bringen, von wo er sie werde über Meer geleiten lassen.
Rasch waren wir am Ziel. Der Herr fand für sein Haupt einen weichen Pfühl und ich am Fuße der Mauer einen harten, den Sattel meines Pferdes, dem ich mit den zwei andern eine nächtliche freie Weide gönnte.
Als sich die nebelfeuchten Wipfel des Waldes vergoldeten und ich eben die drei Tiere wieder eingefangen hatte, trat der König aus der Pforte und an seinem Arme hing ein liebliches Geschöpf nicht über fünfzehn Jahre alt. Das schönste Mädchenhaupt, das ich je erblickt habe, lehnte an der Schulter des Königs und heftete auf seine lusttrunkenen Augen zwei flehende und furchtsame Rabenschwarze Haare, von einem goldenen Stirnreif zusammengehalten, flossen aufgelöst über die zarten Schultern und Hüften nieder bis fast zur Erde. Sie war in Tränen und Herr Heinrich sprach ihr Mut ein.
›Ich lasse dir diesen hier.
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