Aber er gab seinen Ekel dem innerlich Mißschaffenen nicht zu fühlen, sondern ließ sich mehr zu ihm herunter und bedachte ihn mehr als die andern. Ich habe ihn auch wohl seufzen hören, was sonst nicht seine Art war, wenn ich ihm eine frische Missetat Herrn Hansens zu berichten hatte.

In Wahrheit, der Reichskanzler liebte die Königskinder wie seine eigenen, und übel ward ihm vergolten.

Jetzt komme ich zu reden auf ein Geheimnis der Ungerechtigkeit, das zwar in keiner Chronik wird verzeichnet stehen, aber doch die Grabschaufel ist, die Herrn Thomas und Herrn Heinrich, einem nach dem andern, seine Grube gemacht hat.«

 

Hans der Armbruster faltete mechanisch die starken alten Hände, als hätten auch sie mit dieser Schaufel gegraben.

 

V

 

»Jetzt, da Ihr einen Einblick habt in Herrn Heinrichs Haushalt«, fuhr Hans der Armbruster fort, »erkennt Ihr von weitem, daß er bei Frau Ellenor keine Ruhe und kein Vergnügen fand und daß er auf seinen Kriegs- und Königsfahrten häufige Umschau hielt unter den Töchtern seiner Länder diesseits und jenseits des Meeres.

Ich will es Euch nicht verhalten, daß ich ihn auf manchem Ritte begleitet habe, den ich als ein anfänglich unter geistlicher Zucht Gewachsener lieber unterlassen hätte und welcher mir zeitweilig die Beichte erschwerte. Aber wollet bedenken, daß der König wenig sichere Leute um sich hatte und ich durch meine Treue auf geraden und krummen Straßen Hauszwist, ja Meucheltat und Giftmord verhütete.

Denn Frau Ellenor war ein eifersüchtiger Teufel, ob sie auch selber ihrem Eheherrn keine Treue hielt. Sie bestach von Herrn Heinrichs Leihknechten, was sich bestechen ließ, dermaßen, daß ihr seine Absprünge alle bekannt wurden und sie ihre Nebenbuhler in feindseliger mörderischer Weise verfolgen konnte. Mehr als eine fand der König tot, oder sie verwelkte plötzlich in seinen Armen.

So war es ihm billig zu gönnen, daß er an mir einen verläßlichen Knecht gefunden hatte.

 

Eines Tages begab es sich, daß der König mit wenig Gefolge eine Birsch anstellte in einem entlegenen Forste, wo er, meines Wissens, sonst nicht zu jagen pflegte. Gegen Abend überfiel uns ein flammendes Wetter und trieb die Herren auseinander. Ich aber hielt mich bei dem König und fand für ihn Schutz unter einem ausgehöhlten Felsen, wo er den Wolkenbruch vorübergehen ließ. Als die Donner verrollt hatten und der Regen kaum noch durch das Laub der Eichen schlug, suchte ich den Weg, den wir hergekommen waren, fand ihn aber versperrt durch ein Wirrsal abgerissener Äste und bloßgewaschener Wurzeln, worüber die gelben Wasser eines ausgetretenen Baches sich wälzten. Ich ließ mein Hifthorn schmettern, doch von keiner Seite kam Antwort. Da befahl mir der König, nach derjenigen vorzuschreiten, wo der Wald sich lichte. Ich tat es und bahnte für ihn Pfad mit dem Jagdschwert. Bald sah ich die Glut der sinkenden Sonne purpurn vor mir auf den Stämmen blinken. Ich wandte mich um nach dem Könige, er aber drang ungeduldig an mir vorüber der rötlichen Helle entgegen, so heftig, daß ich Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben.

Da sah ich ihn plötzlich verwundert den Schritt hemmen. Am Waldsaume stand er unter den tröpfelnden Zweigen und lugte, die Augen mit der erhobenen Rechten beschattend, unverwandt in die untergehende Sonne hinaus. Ich hob mich auf den Zehen und reckte das Haupt über seine Schulter empor, und was ich erblickte, erschien mir als eine Verblendung und Zauberei, die in den nächsten Augenblicken zerfließen müsse.

Auf einer goldgrünen Waldwiese stand ein Schlößchen, wie ich seinesgleichen wohl im Königreiche Granada gesehen hatte. Es war von hohen glatten Mauern aus gelbem Steine umgeben, über welchen eine kleine blauschimmernde Kuppel emporstieg und schlanke dunkle Baumspitzen ragten, die ich Zypressen genannt hätte, wären wir unter einem südlicheren Himmel gewesen.

Das zierliche, feste Bauwerk war frisch und neu und glänzte im letzten Lichte wie ein Juwel.

Der König verlor kein Wort, sondern ging mit raschen Schritten auf die schmale Pforte zu und klopfte mit dem Griffe seines Schwertes an. Nichts regte sich drinnen. Nun begann auch ich gegen das Holz des tief in einer Mauerwölbung verborgenen Tores zu hämmern. Da glaubte ich in der schmalen Spalte eines Seitenfensterchens ein altes Gesicht erscheinen und verschwinden zu sehen, und bald darauf wurden die Riegel geräuschlos zurückgezogen.

Ein grauer Sachse öffnete und bog stumm und zitternd das Knie vor dem König. ›Du, Äscher?‹ sprach ihn Herr Heinrich an und fuhr ungeduldig lachend fort: ›Du wirst deinen König doch nicht draußen stehen lassen? Ich bin naß und hungrig! Wem gehört denn dieser schmucke Schrein? Dem Kanzler? Oder stehst du nicht mehr in seinen Diensten? – Bei Sankt Jörg, ich muß glauben, der strenge Herr habe sich mit einer Waldfei eingelassen! Welche Melusine hat ihm zu Lust und Ruhe dies da hingezaubert? Flugs melde mich ihrer elfischen Lieblichkeit!‹

Nun erkannte auch ich den Alten und erinnerte mich, daß ich ihn einst in London mitten im Trosse des Kanzlers an unsrer Bognerwerkstatt vorübertraben sah. Dort war er mir aufgefallen durch sein schwermütiges Aussehen und seine schwarzen zusammengewachsenen Brauen unter weißem Haupthaar. Am Hofe hatte ich ihn hinter Herrn Thomas nicht wieder wahrgenommen.

Der Sachse blickte den König mit flehenden Augen an und stammelte, das könne ihm das Leben kosten.

›Bei meinem Königswort, das soll es nicht. Mich kann das Gebot, das du erhalten, nicht angehen!‹ drängte Herr Heinrich und setzte seinen Fuß über die Schwelle, während er mir einen Wink gab, draußen zu verharren.

Äscher in seiner übergroßen Bestürzung wußte nicht, wohin zuerst sich wenden, bis ihn mein Herr mit majestätischen Worten zurechtwies:

›Schließe dies Tor und melde deiner Herrin den Besuch und die Gnade ihres Königs!‹

Ich setzte mich wartend nieder und lehnte den Rücken gegen die Mauer. Mir war behaglich zumut in der Abendkühle und die Rast nicht unlieb. Das Abenteuer schien mir ergötzlich. Ich lachte unter meinem Bart über Herrn Heinrichs letzte erhabene Rede und lobte es in meinem Geiste, daß der Herr diesmal, in Anbetracht seines Hungers und seiner reifen Jahre, nicht als singender Troubadour vor der Pforte geblieben, sondern der Dame des Schlößchens, kurz und gut, seine Würde und königliche Herrlichkeit offenbaren ließ.

Ich elender Tor!

 

Als sich nach geraumer Zeit die Pforte wieder öffnete und Herr Heinrich aus dem Bürglein trat, war es, obwohl das Jahr in der Sommermitte stand, tiefe Nacht geworden. Der Sachse schritt uns mit der Fackel den schmalen Pfad voran, auf welchem wir bald einen einsamen Meierhof erreichten, wo man uns Pferde und einen Führer gab.

Als wir im Frührot in das Tor der Burg einritten, aus welcher gestern der König zur Jagd gezogen war, und ich ihm den Bügel hielt, gab er mir aus leuchtenden Augen einen Blick und während seine Linke mir den Mund zuschloß, warf mir seine Rechte eine mit Edelsteinen besetzte Spange zu, die er sich vom Hute gerissen.

Das Gold, das er im Beutel trug, hatte er alles dem alten Äscher in die Hände geschüttet.

Das war der Anfang. Aber von der Sonnenwende jenes Jahres bis zu seinen fallenden Blättern habe ich den König oft durch jenen friedlichen Forst begleitet und den Ritt häufiger noch allein gemacht, um seinen Besuch anzusagen oder die Zeichen seiner brünstigen Liebe, seltene Perlen des Meeres und was der Erdenschoß Kostbares gibt, seiner verborgenen Buhle zu überbringen. Ohne daß ich diese je erblickt oder den Burghof betreten hätte! Nur an der Pforte verkehrte ich mit dem alten Äscher, der freilich jedesmal, wenn er meiner ansichtig wurde, erbärmlich seufzte, aber weder den Gehorsam weigerte, noch je zurückwies, was aus der königlichen Hand auf seine Seite fiel.

Ich hatte strenges Verbot, auf diesen Pfaden mich bei Tageslichte blicken zu lassen; auch gehörten sie zu den einsamsten, die ich je geritten bin. Keiner lebendigen Seele bin ich darauf begegnet, als etwa im Morgengrauen einem ätzenden Wilde und zweimal, da ich mich verspätet hatte, einsamen Waldfahrern.

Der Mond hatte gewechselt seit Beginn dieses Abenteuers, als eines Tages mein brauner Hans sich einen Hinterfuß verstauchte.