Er ist mein treuer Knecht und wird dich hüten wie seinen Augapfel. Laß dich heut abend ohne Furcht zu Rosse heben. Es muß sein, ich will es, Grace! Ein kurzes, und wir sind unter einem warmen Himmel wiedervereinigt.‹
Er küßte sie, schwang sich zu Pferde und sprengte von dannen, wahrend ihm das Kind mit beiden Armen Grüße nachsendete. Mir aber war alles Blut aus dem Herzen gewichen. Die Wahrheit durchfuhr mich wie ein scharfer Strahl. Vernehmt es: der König hatte den Kanzler nicht bei einer prächtigen und ehrgeizigen Schönheit ausgestochen, Leid und Sünde! er hatte sich an des Thomas Becket unschuldigem Kinde vergriffen. Wißt: Gnade, wie sie der König genannt hatte, war des Kanzlers leibhaftiges Ebenbild, soweit ein junges unwissendes Antlitz einem erkälteten und welterfahrenen gleichen kann. Der edle Zug seiner Brauen, seine dunkeln, schwermütigen Augen, das ernste Lächeln seines Mundes, die Sanftmut seiner Gebärde – da war kein Zweifel: Gnade, zu jung, um des Kanzlers Schwester zu sein, war sein eigen Fleisch und Blut. Herr Heinrich, ein christlicher König, hatte schlimmer als heidnisch an einer unmündigen Seele und einem kaum reifen Leibe gesündigt.
Obgleich ein armer Knecht, zürnte ich mit meinem Herrn und meine Fäuste ballten sich, als hätte man mir das eigene Kind zerstört. Alsobald ergriff mich auch eine große Kümmernis und ich hätte blutige Tränen weinen mögen, daß mein König, den ich liebhatte, durch den Mord der Unschuld den göttlichen Zorn herausfordere. Ich suchte den hohen Herrn zu entschuldigen mit seinem starken Blute, seiner Allmacht, seinen blinden, unklugen Stunden, doch vergeblich! Es klang mir in den Ohren: dein Herr hat eine Todsünde begangen! Meine Sinne öffneten sich: ich sah Gnades Schutzengel, der sich aus Betrübnis und Scham mit beiden Händen ein weißes Tüchlein vor das Gesicht hielt, und hörte die Posaunen des Gerichtes mächtig erdröhnen.
Doch ich nahm mich zusammen. Die zwei Tiere, zwischen denen ich stand, wurden unruhig, ich faßte sie fester und meine Verzückung wich.
Das Kind des Kanzlers war in der Burg verschwunden. Äscher stand allein im Torweg und winkte mich zum ersten Male in sein kleines, in die dicke Ringmauer hineingebautes Wächterstübchen. Er sah scheu und elend aus und war so zerfahrenen Gemütes, daß er vergaß, mir die Speise und den Trank vorzusetzen, deren ich nach meinem Schrecken wahrlich bedürftig war. Während ich mir selbst zu einem Brote verhalf und den Weinkrug aus dem Wandschrank holte, gestand er zögernd, die von meinem Könige befohlene Flüchtung der schönen Gnade werde nicht ohne Gefahr sein. Er habe seinem Herrn, dem Kanzler, in aller Treu und Redlichkeit berichtet, das Waldschloß werde von dem Normannen Malherbe seit mehreren Tagen belauert und umkreist. Er erwarte stündlich den Kanzler, der mit Bewaffneten anlangen und eine Besatzung hinter diese Mauern legen werde.
›Hätte ich doch dem Teufel widerstanden‹, jammerte er in elender Reue, ›und meinem Herrn gleich den ersten Besuch des deinigen geoffenbart. Mein Leib wäre daraufgegangen – jetzt hab ich auch meine Seele verkauft! – Aber woher den Mut nehmen, mich der höchsten Gewalt zu widersetzen! Verwirrender Schrecken wandelt vor deinem Könige her! Fluch über die Stunde meiner Geburt! Alles, selbst die Kenntnis des Guten und Bösen, haben uns diese Normannen geraubt! . . . Aber auch mein Herr, der Kanzler, trägt eine Schuld. Er, welcher die verkörperte Weisheit ist, hat Gnade schlecht erzogen. Glaubst du mir's, Bogner? Kein Kruzifix, kein Meßbuch, keinen Heiligen halten wir im Hause! . . . Außer einem geringen Sankt Joseph dort in der Mauernische für uns Dienstleute. – Mit arabischen Lettern bedeckte Pergamente brachte er dem Kinde, heidnische Märchen, die den grausamen Weltlauf zu einem süßen Abenteuer verfälschen – und das Kind ergötzte sich bei Tag und Nacht an diesem schönen Lug und Trug. Auch Monna Lisa, die welsche Lautenspielerin ihre Zofe, hat den Kanzler in Gedanken oft darüber angeklagt Die Ärmste! Sie hielt den Gang des Königs knieend auf. Aber er füllte ihr die Hände und schob sie beiseite. Bei den Weibern ist dein Gebieter ein so herzgewinnender Herr, als für uns ein grausamer König – und so wurde die Torheit begangen.‹
Wahrend der greise Sachse also bänglich und unnütz jammerte hatte ich mich nach und nach mit Trank und Speise gestärkt und in meinem Gemüte ermuntert.
›Hans‹, sprach ich zu mir, ›sei kein altes Weib – nimm dich zusammen.
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