Unheil ist geschehen; aber noch ist eine Möglichkeit daß es zum Bessern umschlage. Wer weiß, ob Königin Ellenor nicht vor ihrer Zeit mit dem Tode oder nach ihrer Zeit mit einem Fahrenden abgeht! So würde der Herr frei und machte seine Gnade zur Königin. Ist sie doch zwiefach aus fürstlichem Geblüte! Besorge du das Heutige und bringe das Kind über Meer!‹

Wißt, Herr, das sagte ich, um mich zu trösten. Aber, glaubet mir, all meine im Herrendienst schwer erworbene Habe, meine Kunst und die Hälfte meines Blutes hätte ich daran gegeben, um Herrn Heinrich von seiner Tat und mich von meiner Dienstleistung dabei loszukaufen. Diese Sünde sank so schwer in die göttliche Waagschale, daß ihr Gewicht den Herrn und den Knecht wohl erdrücken konnte.

Herr Heinrich hatte den Glauben eines Kindes mißbraucht. Gnade war von beiden Eltern her heidnischen Blutes und die unterwürfigen arabischen Weiber beugen sich vor dem Szepter bis in den Staub. Der König ist ihnen an Gottes und des Gesetzes Statt und mehr als Vater und Mutter. So begriff ich, daß Gnade das böse Geheimnis des Königs vor dem Vater bewahrt hatte.

Wie heiß und unbesonnen mußte der Kanzler sein Töchterlein lieben, um es, der sonst nach allen Seiten Umblickende und das Keimen der Dinge Belauschende, in seine und damit in die Nähe des normännischen Hofes gebracht zu haben – so klügelte ich weiter. Und wie schwer wird er es bereuen! – Doch ich raffte mich schleunig auf, um das Nötige zu beschicken.

Ich nahm drei runde Brote unter den Arm und führte meine zwei Rosse, die draußen angebunden standen, in eine nahe Waldschlucht neben ein klares Wässerlein, speiste sie, ließ sie saufen und knüpfte ihre Zügel an zwei Fichtenstämme. Es tat mir wohl, für zwei kluge und treue Geschöpfe zu sorgen, die nichts wußten von Verrat und Sünde.

Als ich aus der Schlucht wieder emporstieg, schreckte mich ein Hornruf, der aus einer andern Ecke des Waldes erscholl, und auf welchen das Flattern eines Tüchleins von der die blaue Kuppel umgebenden Zinne antwortete.

Schleunig durcheilte ich den mich von der Burgmauer trennenden Raum und schlich, in ihren Schatten gedrückt, nach der Pforte durch die mich der erbleichte Äscher zitternd hineinzog. Seine kleine Pförtnerstube blickte durch drei schmale Luken in das Freie, in die Torwölbung und in den Burghof.

Wohl ein Dutzend Reisige sprengten aus dem Walde. Voran der Kanzler, den ich an seinem wunderschlanken arabischen Grauschimmel erkannte und an der feierlichen Art, wie er ihn lenkte. Er war in voller Rüstung mit gesenktem Visier. Vor dem Tore, wo sie abstiegen, ließ er von einigen die Tiere in der Richtung der Meierei wegführen; die übrigen folgten ihm, nicht zu meiner Freude, durch die Pforte und erhielten im Hofe den Befehl, sich rings auf die Mauerzinnen zu verteilen.

Ich hatte meinen Standort gewechselt, den Kanzler im Auge behaltend, dem jetzt Äscher Rechenschaft abzulegen schien, und der dann in der Burgwohnung verschwand. Der alte Pförtner trug den Schlüssel meines Versteckes am Gurt, ich war in der Falle und legte mich auf die Lauer.

Mir gerade gegenüber, in der Mitte des Burghofs, stand der Kuppelbau, von dem Halbrunde seiner mit immergrünen üppigen Sträuchern bewachsenen Terrasse umgeben. Nach einer Weile trat Herr Thomas, Gnade an der Hand haltend, durch die hohe Bogentür und ließ sich mit ihr auf einer weiß schimmernden Marmorbank nieder neben einer rot geäderten Schale, über welcher emporschießende Wasserstrahlen sich in der Luft kreuzten Und aus solcher Nähe blickte ich in die besorgte, aber nicht argwöhnische Miene des Herrn und in Gnades rätselhaftes Gesichtchen, daß ich plötzlich den Kopf zurückbog, obgleich die Mauer, durch die ich auslugte, außen von Eppich übersponnen war.

Jetzt winkte der Kanzler die Zofe, welche mit gesenkten Augen unter der Tür stand, hinweg – wohl jene welsche Monna Lisa, deren Tugenden ich eben aus Äschers Munde kennengelernt hatte. Eine Weile saßen sie schweigend und Grace blickte, um den väterlichen Augen auszuweichen, in das perlende Wasser.

 

Dann begann der Kanzler in arabischer Sprache:

›Mein Kind, du wirst nur noch wenige Tage hierbleiben und es ist nicht unmöglich, daß du in dieser kurzen Zeit noch durch einen Überfall geängstigt wirst. Aber fürchte dich nicht. Ich lasse dir zehn tapfere Leute, welche diese Mauern gegen feindliche Überraschung zu halten vollkommen imstande sind. Du wirst dich nach und nach an Waffenlärm gewöhnen müssen, mein scheuer Vogel. Das ist das Los jeder Burgfrau in der Willkür und Zuchtlosigkeit dieser Tage.

Und es ist die Zeit gekommen, daß ich mich von dir, meine Wonne, trenne und dich vermähle. Nicht zwar unter diesem feuchten Himmel, sondern jenseits des Meeres in einem sonnigen Lande von mildern Sitten. Wenn es sein kann und dich dein Stern dahin führt, nicht weit von deinen Pflegeeltern im Poitou. Du gedenkst doch immer noch des ehrlichen Calas, dem sie, weil er Arabisch versteht, nachreden, daß er aus maurischem Geblüte stamme, der aber sein Vaterunser betet nicht anders als wir beide; Ist doch kaum ein Jahr vergangen, daß der Alte, dich hieher bringend, mit Tränen sich von dir getrennt hat!

Ich weiß nicht, ob es gut war‹, sagte er, die Stirne faltend.

›Sollt ich mich‹, fuhr er fort, wie sich selbst entschuldigend, da Grace schwieg, ›nicht eine kurze Spanne meines Lebens an deiner keuschen Jugend ohne Teilung erfreuen?

Doch ist nun die letzte Frist verflossen, die ich mir gönnen konnte, und der Augenblick des Scheidens da.

Ich darf dieses liebe Haupt nicht gefährden!‹ und er legte ihr die schmale Hand auf den Scheitel.

›Der Herr verreist morgen nach dem Festlande und ich folge ihm in wenig Tagen. Du aber begleitest mich, dicht verschleiert, mit deinen Frauen und weichst nicht von meiner Seite, bevor ich dich in die Hut eines tapfern und feinen Mannes gebe.

Der König wird mir doch einen Tag, wenn er von seinen unreinen Freuden trunken ist, für meine reinen gönnen. Dieser König!‹ sagte er mit verächtlichen Lippen, als erblickte er ihn leibhaftig vor sich. – Wahrhaftig, ich wunderte mich, ihn so reden zu hören.

›Erschrick mir nicht‹, fuhr er fort, denn Graces Hand, die er festhielt, zuckte in der seinigen, ›ich verstehe zu wählen. Ich werde zusehen, wem ich dich anvertraue, und auch aus der Ferne meine Hand schirmend über dir halten, denn ich bin mächtig in allen normännischen Landen.

Und in ein Kloster begehrst du dich nicht einzuschließen? Nein, sagen mir deine Blicke, du hast keine Sünde zu büßen und Licht und Sonne nötig.‹

Wäre der weise Herr Thomas nicht in seinen eigenen Gedanken befangen gewesen, er hätte die Seelenangst seines Kindes bemerken müssen; aber seine Augen waren gehalten und Gnade, die nach Worten rang, brachte endlich ein schwaches Flüstern hervor:

›Wer ist es, Vater, der mich hier gefährdet?‹

›Wer?‹ wiederholte der Kanzler mit leise bebender Stimme und wie mit dem Entschlusse, seinem Kinde den Lauf und die Bosheit der Welt nicht länger zu verbergen, sagte er ohne Hehl: ›Eine besudelte Königin. Sie haßt mich, ihre Späher haben ihr von deinem Dasein berichtet und ich will nicht, daß Frau Ellenor von dir wisse und an dir herumrate – ihre Gedanken schon verunreinigen.‹ Grace erblaßte, woran ich ersah, daß Herr Heinrich vor ihr sein Eheweib, an dem nichts zu Rühmen war, klüglich mochte beschwiegen haben.

Sie raffte sich aber zusammen und flüsterte wieder: ›So sprachest du, mein Herr und Vater, nicht immer. Hattest du nicht beschlossen, mich einst vor das Angesicht des Königs zu stellen, und rühmtest du nicht seine Gunst als die eines gütigen und majestätischen Herrn? Auch Herrn Richard hast du vor mir gelobt ...‹

›Sprach ich so‹, erwiderte Herr Thomas ernsthaft, ›so sprach ich töricht und beirrt von meinem väterlichen Wohlgefallen an dir.