Ich habe mich eines Bessern besonnen. Jene eitle Rede sei verweht, wie die Luft, in der sie verhallte. Du darfst nicht an den Hof, in diesen Pesthauch, wo nichts Reines gedeiht Aber in einem sprichst du recht: dem Könige gebührt Ehrfurcht und Gehorsam!

Doch genug! Meine Stunde ist um. Übergib dich kindlich und ohne weitere Gedanken meiner Sorge. Meinst du, daß ich dich liebe? Unermeßlich! Mein Einziges, mein Alles!‹

Und er drückte ihr einen sanften Kuß auf die Stirne.

 

Herr Thomas hatte sich erhoben. Er ließ seinen prüfenden Blick rings über die Zinnen gehen, ob jeder seiner Reisigen den befohlenen Posten wahre, und so durchdringend war dieser Blick daß ich mich in meinem dunklen Versteck auf den Boden gleiten ließ und nur noch die Worte vernahm: ›In drei Tagen denn! Bereite dich. Auf Wiedersehen!‹ und den an den Anführer der zehn gerichteten Befehl: ›Du lässest mir niemanden ein noch aus bei deinem eigenen Leben!‹

Als ich mich vorsichtig wieder in die Höhe richtete, war die Marmorbank leer. Thomas Becket mit seinem unglücklichen Kinde war verschwunden.

Mir hatte geschaudert, da ich den Mann, welchen ich als allwissend kannte, zum ersten Male als einen Getäuschten und Betrogenen erblickte; Entsetzen kam über mich, daß der väterliche Glaube an die teure Unschuld eines Kindes dem Teufel dazu hatte dienen müssen, den Scharfblick des Klügsten zu blenden und durch eine vollkommene Rüstung den vergifteten Pfeil zu treiben.

 

Nach einer Weile wurde draußen die arabische Stute des Kanzlers vorgeführt, Herr Thomas verritt und der Schlüssel knarrte in der Türe meines Gelasses. Äscher starrte mich mit seinen hilflosen, matten Augen an, ich sah, daß er völlig haltlos war, und ergriff die Herrschaft.

›Geh hinüber‹, sagte ich, ›bringe Monna Lisa, der Lautenspielerin, im Namen des Königs den Befehl, sie habe sich bei Todesstrafe mit ihrer jungen Herrin reisefertig zu machen und diese Nacht im Torgewölbe sich einzufinden, sobald deine Ampel erlischt. Geh!‹

Er kam mit der Antwort zurück, die Welsche leiste gehorsam. Ich hieß ihn, da es dämmerte, sein Licht anzünden und sich, die Kreide in der Hand, vor seine Rechentafel setzen, wenn etwa eine auf der gegenüberliegenden Zinne auf und nieder schreitende Wache einen mißtrauischen Blick in das helle Fenster schickte, und warf mich in eine Ecke auf sein Lager, denn ich war nach der Spannung des Tages der Ruhe bedürftig. Aber der stöhnende Alte verdroß mich mit seinem ängstlichen Gemurmel und seinen eintönigen Selbstanklagen. Ich gebot ihm Ruhe und fand doch den Schlaf nicht.

Wie es denn grausamerweise geschehen kann, daß, während das Herz von Angst zusammengepreßt ist, die kalten Gedanken unermüdlich und gleichgültig ihren besonderen Weg wandern, arbeiteten die meinigen daran herum, aus welchem Grunde der Kanzler sein unseliges Kind habe Grazia nennen müssen. Ob der gnädigen Bekehrung seiner eigenen so getauften Mutter zu Ehren, oder einer heidnischen Anwandlung nachgebend, weil Grazia wohl die himmlische Gnade bedeutet – die Gott uns allen schenken möge! – aber ebensogut die feinste Blüte menschlicher Art und Anmut.

Weiter gab es mir zu denken, daß Herr Thomas Gnade von seinem Liebling Richard erzählt und sich also wohl eine Weile in dem sträflichen Ehrgeiz gewiegt hatte, sein Kind an Herrn Heinrichs Hof und zu fürstlichen Ehren zu bringen. Darüber entschlummerte ich und der Traumgott betrog mich mit allerhand Gaukelspiel. Es ist ja bekannt, daß geträumte Trauer Freude bedeutet, geträumte Lust Tränen. – Mir war, als trete ich wieder aus dem Walde hinter Herrn Heinrich, dessen Antlitz sich plötzlich verjüngte und in das seines Sohnes Richard verwandelte. Der unbändige Königssohn pochte an das Tor des Waldschlosses und zertrümmerte die Pforte mit einem Schlage seiner gepanzerten Faust. Aber der treue Äscher warf sich ihm dreist in den Weg und Monna Lisa zürnte in tugendhaften Tränen. Doch siehe, da trat der Kanzler, Gnade an der Hand haltend, aus dem Innern des Schlosses, und die Rechte Richards ergreifend, führte er die beiden unter die Wölbung der Bäume. Diese aber verwandelte sich in die Wölbung der Halle von Windsor. Vor Heinrich und Ellenor, die elterlich blickten, kniete das von Schönheit duftende Brautpaar, Pauken und Drommeten schmetterten, ich warf meinen Filz in die Luft und schrie: ›Lang lebe Prinz Richard und Prinzessin Grazia!‹

Darüber erwachte ich und hörte den fahlen Sünder Äscher Gebete murmeln, und, an das Fenster tretend, erblickte ich das Licht in dem Burggemach, wo Monna Lisa mit dem unreifen Kebsweibe eines alten Königs auf das Erlöschen meiner Ampel harrte.

Es war eine böse Nacht, die schlimmste meines Lebens. Am Himmel wanderten schwarze lange Wolken und bedeckten die wachsende Mondsichel mit ihren schleppenden Gewändern. Eben verhallte auf den Zinnen der Schritt der Runde. Ich löschte die Ampel. ›Wir haben zwei Rosse, Äscher‹, sagte ich, ›du setzest Monna Lisa auf das deinige.‹ Wir tasteten uns die Wendeltreppe hinunter. Im Torwege standen zwei verhüllte Frauen. Eine von ihnen, die Schlanke, Dichtverschleierte, ward von Schluchzen erschüttert. Ich zog behutsam die Riegel zurück, schlich aus dem Tore und spähte über mich. Mir war, als hörte ich auf der Mauer die Sehne eines Bogens spannen, aber es regte sich nichts weiter – ich mußte mich getäuscht haben.

Drei Vaterunser lang, ich habe in meinem Leben keine inbrünstigeren gebetet, wartete ich.