Eine Bracke heulte, dann wurde wieder alles still.

Jetzt holte ich die zitternde Gnade, hob sie auf meinen Arm und lief mit ihr, was ich konnte, dem Walde zu. Plötzlich wurde es licht und lichter um uns. Ein Wolkenbild ward vom Winde so hastig getrieben, daß der Mond aus seiner Schleppe hervorrollte.

Ein Pfiff und sausender Schwung! Hätte doch der Pfeil mich getroffen! Das leichte Wesen in meinen Armen ergriff krampfhaft meinen Hals. Warmes Blut überströmte mich und die hervordringende Spitze des Pfeiles, der dem Kinde des Kanzlers die Kehle durchbohrt hatte, ritzte meine Wange. Ein ersticktes Röcheln, und es war mit Gnade zu Ende!

Ich ließ die junge Leiche der mir auf den Fersen folgenden Monna Lisa in die Arme gleiten, und während das leichtsinnige Weib ein durchdringendes Geschrei ausstieß, erreichte ich den Wald von Pfeilen umschwirrt und gefolgt von dem keuchenden Atem Äschers.

Ich hatte mich auf das eine Roß geschwungen, Äscher auf das andere. Wir brausten über den nächtlichen Waldweg, und ich und Äscher, der im Sattel wankte, wir drückten unsere Häupter in die fliegenden Mähnen der Pferde, damit wir nicht abgestreift würden von den kahlen Ästen, welche, als trauerten sie, schwarz und tiefer als sonst herabhingen.

Doch wir erreichten glücklich die mondhelle, große Lichtung, an deren Ende der Weg sich senkt. Hier flogen unsere geängstigten Tiere. Da höre ich einen mißtönigen Schrei hinter mir. Ich wende mich und sehe Äschers Rappen, sonst ein frommes Tier, bolzgerade aufsteigen mit gesträubten Mähnen und plötzlich in wilder Angst sich rückwärts überschlagen. Ein vorüberhuschender weißer Schein hatte ihn erschreckt. Es mag eine blanke Hirschkuh gewesen sein, wie sie der Kanzler der Seltenheit wegen in seinen gefriedeten Forsten hegte. Neben einem Haufen Feldsteine wälzte sich das Roß und lag ein Toter mit entstelltem Gesicht. Da stieg mir das Haar zu Berge. Ich trieb mein Tier an, ohne mich mehr nach dem verendenden Rappen, noch dem gerichteten ungetreuen Knechte umzusehen.

 

VI

 

Ich wandte mich nach Dover, um Herrn Heinrich über das Meer in die Normandie zu folgen; doch widrige Winde hatten ihn aufgehalten. Ich fand ihn noch dort und die Stunde, ihm das Unheil zu berichten, traf mich früher, als ich geglaubt, und noch auf englischem Boden.

Der Herr brach in schwere Jammertränen aus und verschloß sich in seiner Kammer. Ich aber legte mich auf die Schwelle meines Königs, wie ich von jeher in gefahrvollen Stunden zu tun gewohnt war. Drinnen floh ihn der Schlaf und ich hörte ihn nächtlicherweile mit harten Tritten auf und nieder schreiten. Dazwischen wehklagte er erbärmlich und redete zu sich selber laut und ungestüm, so daß ich seine von Seufzern unterbrochene Rede wohl vernehmen konnte.

›War sie nicht meine Wonne!‹ klagte er. ›Ich hätte mein zartes Lämmchen auf eine sichere Weide gebracht! . . . Aber was kann ich gegen die böse Art meiner Königin und die Dummheit meiner Knechte! Was kann ich gegen die Tücke des Schicksals? . . . Mir und dem Kanzler – uns beiden – ist auf der Waldwiese groß Herzeleid gewachsen ... Aber ich will ihm mein Gemüt schreiben ... er soll es wissen, daß ich ihn mit Gunst und Gnaden überschütten will, mehr als je zuvor, und daß er meinem Herzen und meinem Throne für immer der Nächste bleibt.‹

Gegen Morgen wurde er ruhiger und im ersten Frühlichte rückte er sich Tisch und Sitz zurecht und schien einen Brief zu beginnen, je und je einen Satz vor sich hermurmelnd, bevor er ihn niederschrieb. – Zuletzt hörte ich seines Siegels schweren Druck.

Er rief mich und übergab mir ein Schreiben.

›Dieses hast du in des Kanzlers eigene Hände zu legen‹, sagte er, ›suche ihn, bis du ihn findest.‹

 

Dergestalt fuhr der König über Meer, ich mit meinem Briefe nach London, und der war keine leichte Bürde, das dürft Ihr mir glauben. Ob ich auch im Gehorsam meines Herrn gehandelt, war mein Gewissen schwer bedrückt und hatte ich eine heilige Furcht, vor den Kanzler zu treten; denn dieser mußte jetzt die wahre Ursache von Gnades Untergang ans Licht gezogen haben.

In London, wo ich ihn zuerst suchte, war er nicht. Auf welchem seiner vielen Schlösser er sich befinde, konnte oder wollte mir sein städtisches Gesind nicht sagen: ich hatte es auch nicht nötig, denn ich wußte es.

Auf einem frischen Pferde jagte ich am hellen Tage – was war noch zu verbergen? – denselben Weg, den ich oft genug in Dämmer und Mondlicht gemacht hatte.