Der klarste Himmel schimmerte über den gelben Baumkronen und zwischen den hier und dort schon entlaubten Zweigen.
Das Herz pochte mir wie ein Hammer, als ich das schimmernde Schlößchen erblickte und, vom Pferde springend, die sonst so wohlverschlossene Pforte offenstehen sah. Kein Türhüter fragte nach meinem Begehr. Im Burghof war es still, nur der Wind flüsterte in den immergrünen Zweigen des fremden Holzes und der Springerinnen spielte plätschernd mit seinen goldenen Kugeln.
Ich hielt den Fuß an, mich nach einem lebendigen Wesen umschauend. Da ward ich eines Weibes gewahr, das an der Gartenmauer vor einem dort eingefügten Heiligenschreine kniete. Sie hielt das Haupt in beide Hände versenkt und bemerkte mein Kommen nicht. Ich aber berührte Monna Lisa hart an der Schulter. Sie wandte sich erschrocken und starrte mich mit von Tränen geröteten Augen an. Dann bedeutete sie mich mit beiden Händen, schleunig zu entweichen. Da wies ich ihr den Brief und verlangte, als Bote des Königs, unverzüglich vor den Kanzler geführt zu werden.
Zitternd, aber ohne Widerrede, stieg sie die Stufen zu den gelblichen Säulen des Kuppelbaues mir voran und öffnete die Tür: ›Sie liegt in der Kapelle – ich habe sie noch geputzt wie eine Königin‹, sagte sie furchtsam und verschwand.
Ich trat in den heitern Raum einer von oben erleuchteten kleinen Rundhalle. Rings der Mauer entlang lief ein kostbares Polster und in der Mitte stand ein vergoldetes Gitterhaus voll Geflatter und Gezwitscher. Bunte, fremdländische Vögel spielten da unter Zwergpalmen, aber nirgends war ein menschliches Wesen, das sich daran gefreut hätte.
Ich schritt über die farbigen Figuren des Mosaikhodens nach einer schmalen Marmortreppe, die zu einer Bogenpforte führte, öffnete und schlug scheu die innen darüber hangende Damastdecke zurück.
Mir wurde ein Anblick, der mir das Wort auf der Lippe bannte und den Atem in die Brust zurückdrängte. Ich schaute in das Halbdunkel der Burgkapelle. Aber da war kein Kruzifixus und kein ewiges Licht und statt eines heiligen Leichnams unter dem Altare lag in einem Schreine vor demselben, ebenso reich geschmückt, die tote Gnade. Ein Lichtstrom, der durch das einzige, hochgelegene Fenster sich ergoß, beleuchtete ihre überirdische Schönheit. Ihr Haupt ruhte auf einem Purpurkissen und trug ein Krönchen von blitzendem Edelgestein. Der zarte Körper verschwand in den von Goldstickerei und Perlen starrenden Falten ihres über die Wände des Schreins ausgebreiteten Gewandes. Die kleinen durchsichtigen Hände lagen auf der Brust gekreuzt und hielten keusch den schwarzen Schleier ihres Haares zusammen, der vom Scheitel fließend die zarten Wangen einrahmte und, die zwei Wunden des Halses bedeckend, sich unter dem blassen Marmorkreuz ihrer Arme wieder vereinigte.
Neben dem lieblichen Todesantlitz aber lag ein anderes hingesunken, von demselben Sonnenstrahle gebadet, lebloser und gestorbener als das der Leiche, ein Antlitz, über das die Sterbenot der Verzweiflung gegangen und von dem sie, nach getanem Werke, wieder gewichen. Es war der Kanzler, der mit zerrauftem Haar und aufgerissenem Gewande neben dem Sarge lag, die Arme auf den Rand desselben stützend.
Lautlose Stille herrschte. Nur ein Laubgeflüster regte sich im offenen Fenster und leichte Blätterschatten tanzten über das Purpurkissen und die beiden Angesichter.
Ich weiß nicht, wie es geschah, daß mir in dieser bangen Stunde das maurische Wesen in Granada durch den Sinn fuhr. Ich erzähle Euch eben die Sache, wie sie war. Was immer es sein mochte, die Einflüsterung eines lichten oder eines schwarzen Geistes, ich wurde getrieben, in arabischer Zunge einen Vers des Korans auszusprechen – Gott der Heilige rechne es mir nicht zu – der Anblick der erblaßten Gnade mag mich an das Paradies der Ungläubigen und seine Engel erinnert haben. – Der heidnische Spruch aber lautete so:
›Schön sind sie und lieblich, ja, sie sind schön wie Lilien und Hyazinthen. Sie senken die Lider und ihr reines Antlitz hat die Blässe des Straußeneis, das im Sande wohlgeborgen ist.‹
Kaum war der Spruch meinen Lippen entfahren, so ging mit dem Gesichte des Kanzlers eine Veränderung vor. Es glitt eine Bewegung der Freude und Liebe darüber hin. Er wandte sich langsam zu dem, der ihn mit diesem Koranvers getröstet hatte.
Ich nahm den Augenblick wahr, nahte mich ihm, bog das Knie und überreichte mit banger Furcht den königlichen Brief.
Eine Weile brauchte der Entrückte, sich in diese Welt zurückzufinden. Nun wurde er der drei Leoparden des königlichen Siegels ansichtig – die Hand, in welche ich das Schreiben gelegt hatte, zuckte, wie von einem Skorpion gestochen, und schleuderte es in heftigem Schmerze von sich. Gleich einem Manne, der auf der Folter liegt und unsagbare Qual erduldet, verzog er seine edeln Brauen. Die vorwurfsvollen Augen richteten sich auf mich und in ihrer Tiefe entglomm eine Flamme, grausam und gramvoll wie die Hölle. Dieser Blick traf mich mit der Gewalt eines Wurfgeschosses, ich entsetzte mich in der Seele und floh ohne Urlaub von dannen.
VII
Nun erschreckt Ihr, Herr, und vermutet, zu dieser Stunde sei die Feindschaft ausgebrochen zwischen dem König und Thomas Becket – Ihr würdet irren. Eine Weile zwar mieden sie einer des anderen Atem und Angesicht; doch in begründeter und ungezwungener Weise, weil Herr Heinrich jenseits des Meeres mit dem Kapetinger in Fehde stand und der Kanzler inzwischen in Engelland die Staatsgeschäfte besorgte.
Denn der Glaube meines Herrn an die Weisheit und Treue des Kanzlers blieb unerschüttert; ja dieser Felsenglaube war überhaupt nicht ins Wanken zu bringen.
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