Ihm selbst hinwiederum hatte sich der kleine Hans, der es mit den beiden Ältesten hielt, an den Rücken gekrallt und biß ihn in den Hals. Ich griff zuerst nach dem Kleinen, der Wildkatze, und löste dann die Herren Heinz und Gottfried aus den streitbaren Fausten des Löwenherzens.

Da warf sich Herr Richard mit flammendem Zorne nach mir herum und schrie mich an: ›In Teufels Namen, Armbruster, willst du uns unser Hauserbe rauben?‹ – ›Welches Erbe, Beausire?‹

fragte ich verblüfft. – ›Uns zu hassen!‹ rief er. ›Darauf leistet keiner von uns Verzicht.‹ – Mich erfaßte ein tiefes Verbärmnis über diesen Worten eines Unmündigen. Ich zog ihn beiseite und redete ihm christlich zu, wie süß: es sei, wenn Brüder einträchtig beisammen wohnen. Herr Richard aber brach in stürmische Tränen aus und schluchzte: ›Er hat mich heute nur nicht angeschaut!‹ Und ich erriet, daß er von Herrn Thomas sprach. ›Wenn der Kanzler sich weniger mit Euch abgibt‹, tröstete ich: ›so ist es dringender Staatsgeschäfte halb Eurem Herrn Vater zu Nutz und Lieb.‹ Da schüttelte Jung Richard trotzig den Kopf, leuchtete mich mit seinen großen blauen Augen an und rief: ›Das lügst du, Armbruster! Der Kanzler liebt den Vater nicht!‹

Aber nicht nur untereinander verfolgten sich die viere; sondern – wehe – sie begannen auch der Majestät ihres Vaters die schuldige Ehrerbietung zu versagen. Ich weiß noch, wie es mir ins Herz schnitt, was ich sehen und hören mußte, als ich einst meinen Herrn und König in seine Schlafkammer geleitete. Er hatte sich den Kopf an den Staatsgeschäften zerarbeitet und den Leib mit einer Hirschjagd ermüdet; so hatte er denn sein schweres Haupt über dem Schlaftrunke geneigt und schnarchend in seine auf den Tisch gelegten Arme versinken lassen.

Wir begegneten auf dem Gange den schlimmern seiner Söhne, dem ältesten und dem jüngsten. Erfrechte sich da nicht der kleine Hans, der, wäre der Herr bei unverhüllten Sinnen gewesen, sich vor ihm verkrochen hätte, schwankend, als spotte er eines Trunkenen, hinter den königlichen Tritten herzuziehen, und der andere, der Kleidernarr, wandte sich von seinem Erzeuger mit einem hochmütigen Pfui. Nachdem ich meinen Herrn wohl versorgt hatte, traf ich Junker Heinrich noch auf dem Gange. Da ließ ich ihn hart an, nannte ihn einen schwarzen Ham und drohte, ihn bei dem Kanzler zu verklagen. ›Herr Thomas verachtet den Vater‹, versetzte der Knabe. ›Wie hielte der feine Berberhengst mit dem borstigen Eber Freundschaft?‹ Entsetzt hielt ich ihm die Hand auf den Mund; er aber warf die langen weichen Locken aus dem Gesicht und entsprang mit einem scharfen Gelächter.

Ich mußte mich über die feine Witterung wundern, welche oft kindliche Unerfahrenheit von den verborgenen Dingen des Gemütes hat. Denn, wahrlich, es war nicht Herr Thomas, der sich etwas merken ließ von seinem Widerwillen gegen den König, oder der es in irgendeinem Falle an williger Ehrfurcht hätte fehlen lassen.

Allabendlich saß dieser Unentbehrliche am königlichen Tische und erheiterte den Herrn mit den feinen Spielen seiner Rede.

Noch seh ich, wie er lächelnd in seinem Stuhle zurücklehnte und der frohe König lauschend an seinen kaum bewegten Lippen hing. Ich stand hinter dem Stuhle meines Herrn und betrachtete zuweilen mit stiller Furcht dieses unkörperliche Antlitz, das im Ampelschein wie im Tageslicht gleich blaß war und auf welchem für mich jener Todeszug, der mich daraus angestarrt hatte, als es damals neben Graces Haupt auf dem Sargkissen lag, auch in der belebten Laune des Bankettes nie mehr völlig verschwinden wollte.

Habt Ihr das aus Byzanz gekommene Bild gesehen, das die Mönche in Allerheiligen zu Schaffhausen als ihren besten Schatz hüten? Es ist ein toter Salvator mit eingesunkenen Augen und geschlossenen Lidern; aber betrachtet man ihn länger, so ändert er durch eine List der Zeichnung und Verteilung der Schatten die Miene und sieht Euch mit offenen Schmerzensaugen traurig an. Eine unehrliche Kunst, Herr! Denn der Maler soll nicht zweideutig, sondern klar seine Striche ziehen.

Mit dem Kanzler aber ging es mir umgekehrt. Wenn ich sein Antlitz länger betrachtete und er gerade schwieg, so war es, als schlössen sich seine Lider und es sitze ein Gestorbener mit dem Könige zu Tische.

Ich bin dessen nicht gewiß, Herr, aber ich muß es glauben, daß mein König in jenen Tagen sich gegen den Kanzler mag ausgelassen haben über die Trauer, die er ihm wider Willen bereitet. Wenn auch nur mit wenigen oder verdeckten Worten hat er ihm wohl sein Leid bezeugt und gebeichtet. Ich denke, daß er die Last von sich abzuwälzen suchte und zwar auf diese meine Schultern hier, was ich ihm nicht verüble, denn so ist der Lauf der Welt, und zu befahren hatte ich dabei nichts. Der Kanzler war viel zu weise, um das Werkzeug mit der Hand, die es führt, zu verwechseln, und viel zu hoch, um einen Knecht seiner Rache zu würdigen.

Versteht mich! Herr Heinrich mag das Spiel des Zufalls und mich verklagt und verlästert haben, was das böse Sterben des Kindes angeht; den Raub desselben und die Fleischeslust rechnete er sich nicht hoch an, denn er kannte in diesen Dingen kein Recht und kein Gesetz. Auch trug er die Tat damals leicht, glaub ich, weil unser aller Richter sie ihm noch nicht in ihrer vollen Schwere zugewogen hatte.

 

In jenen Tagen begab es sich, daß der Kanzler einmal gegen Abend dem König auf die Jagd nachgeritten kam und die Herren unter einer weithin schattenden Eiche sich lagerten. Ich saß an der lichten Seite des Stammes und kraute einem Jagdhunde hinter den Ohren. Der König kannte meine Treue und war gewohnt, meinetwegen sich keinen Zwang anzutun, und Herr Thomas sah über mich hinweg, oder wann er mir einen Blick schenkte, war es kein unfreundlicher, denn jener von mir neben Gnades Sarg gesprochene Koranvers hatte ihm gefallen und wohlgetan. So war ich Zeuge eines wunderbaren und dem Menschenverstand unglaubwürdigen Gespräches, das aber so wörtlich wahr und gewiß ist, als daß ich hier bei Euch sitze.

Die beiden Herren beredeten sich über ein Schreiben des Königs von Frankreich, das Herr Thomas aus seinem Gewande hervorgezogen hatte. Er unterhielt nämlich einen geheimen Briefwechsel mit dem Kapetinger in Paris, dem dazumal sein Kanzler, der Abt Sugerius, gestorben war und der, um einen Ersatz zu finden, Herrn Thomas, als den klügsten Mann der Erde, gerne seinem Herrn abtrünnig gemacht und in den eigenen Dienst gelockt hätte. Dieser tat nicht unwillig und erfuhr unter der ungesucht ihm in die Hand gefallenen Larve auf einem kurzen und sichern Wege alles, was er von den Anschlägen des fremden Königs gegen den seinigen und die normännische Krone durchaus wissen mußte.

In dem Briefe, den der Kanzler Herrn Heinrich übergeben hatte, mochte der König von Frankreich ihm wieder hart zusetzen, in seine Dienste überzutreten, denn mein Herr ergötzte sich mit wahrhaft königlicher Lust an dem Schreiben.

›Schau, schau!‹ spottete er, ›zehntausend Pfund bietet er dir. Er will es sich etwas kosten lassen. Aber daraus wird nichts, mein Vetter Frankreich. Diesen preiswürdigen Mann laß ich nimmermehr fahren!‹ Und er legte die Hand liebevoll auf die Schulter seines Günstlings.