Dann scherzte er in übermütig vermessener Laune:
›Hast du etwas gegen mich auf dem Herzen, mein Thomas, und willst es mich entgelten lassen, tapferer Mann, ohne Gefahr deines Leibes und Lebens, wohlan, dazu kann Rat werden! Morgen send ich dich – in den Geschäften, die du weißt – nach Paris zu dem, der um dich wirbt! Laß sehen, ob es ihm gelingt, dich zu verführen und mit Schmeichelwort zu Falle zu bringen!‹
Wundert Euch nicht allzusehr über diese unvernünftige Scherzrede und die freche Sicherheit meines Königs. Sahet Ihr die zweie zusammensitzen, den gewaltigen Leib und den Löwenkopf des einen, die feinen Gliedmaßen und die milde Miene des andern, es wäre Euch verständlich gewesen.
Darauf entstand eine Stille. Ich glaubte, der Kanzler empfinde es bitter, daß Herr Heinrich, der so tief in seiner Schuld stand, ihm die Angeborenheit seines schmiegsamen und unterwürfigen Wesens, die doch der Majestät allein zugute kam, in grausamem Leichtsinne vorhalten mochte. Doch erwiderte Herr Thomas nach einer Weile ohne merkliche Ärgernis in ruhiger und – wie sage ich – philosophischer Rede:
›Was ich gegen dich auf dem Herzen habe, ob wenig oder viel, du hast Grund, mein Gebieter, an meiner Treue nicht zu zweifeln. So böse bin ich nicht und auch nicht so kurzsichtig und abenteuerlich, daß ich an dir zum Verräter würde. Doch hat deine scherzende Weisheit meinen wunden Punkt getroffen; denn du kennst meine unvollkommene Natur und mein zur Erniedrigung der Dienstbarkeit geschaffenes Wesen. Sei es frühe Gewohnheit des Herrendienstes, sei es die Eigenschaft meines Stammes und Blutes, ich kann dem gesalbten Haupte und den hohen Brauen der Könige keinen Widerstand leisten. – Und da du so glücklicher Laune bist und ein Wohlgefallen hast an deinem Knechte, erkühnt er sich, dir in dieser traulichen Einsamkeit einen Rat zu erteilen: Gib mich nie aus deiner Hand in die Hand eines Herrn, der mächtiger wäre als du! – Denn in der Schmach meiner Sanftmut müßte ich ihm allerwege Gehorsam leisten und seine Befehle ausführen auch gegen dich, o König von Engelland ... Aber ich rede töricht ... wo ist der König, der mächtiger wäre als du? Welche Herrschaft kann mit der deinigen hadern ohne ihren eigenen Schaden und Verlust? Siehe, es lebt keiner, der dich vor Gericht zöge! . . . Darum rede ich töricht und spreche von etwas, das nicht vorhanden ist, von einem Traum, einem Hauch, einem Nichts.‹
Der König mochte diese Rede nicht höher anschlagen, als der Kanzler, denn nachdem er ein bißchen gesonnen, gähnte er, wie zu einer unnützen und unangenehmen Betrachtung und befahl mir, ihm einen Becher Weines zu reichen. – Auch ich konnte mir aus der Rede des Kanzlers nichts machen und legte es mir erst später aus, daß der heimlich zu Tode Verwundete verdeckter und zweifelnder Weise von der dunkeln und langsamen Rache Gottes sprach.
Herr Heinrich erhob den Becher, betrachtete das schimmernde Gold des Rheinweins, als ergötze er seinen Geist an dessen Klarheit, leerte den starken Trank auf einen Zug und lachte, daß ihm die Augen übergingen.
›Wie du mir vorkommst, mein Thomas‹, lallte der Herr mit unsicherer Zunge, denn er hatte durstig getrunken und der Wein stieg ihm zu Kopfe, ›immer erhabener! . . . Meiner Treu – ich weiß nicht, was ich rede, aber nicht übel Lust hätte ich, dir ein Meßglöcklein um deinen Ziegenhals zu hängen und dich in Treufels Namen mit einem Ruck auf den Stuhl von Canterbury zu setzen! . . . Dort throne mir und orakle gegen den Heiligen Vater! . . .‹
Der Kanzler erhob sich rascher, als seine Gewohnheit war.
›Unter dieser Eiche ist nicht gut wohnen‹, sagte er. ›Es mag in der Vorzeit grausamer Zauber unter ihr getrieben worden sein! – Ihr Schatten verwirrt das Hirn.‹
Hier verstummte das Gespräch.
So ganz neben das Ziel traf übrigens mein Herr und König in der Laune seiner Trunkenheit nicht, wenn er meinte, der Kanzler ergebe sich zeitweilig tiefsinnigen und wunderbaren Betrachtungen. Ich selbst weiß davon zu erzählen. In der Vorhalle, wo ich oft meines Herrn gewärtig mich stundenlang aufhielt und auch der Kanzler zuweilen, ohne meiner zu achten, in tiefem Sinnen auf und nieder schritt, hing in einer düstren Ecke ein großer hölzerner Kruzifixus, ein grobes, mageres Werk, aber ein Haupt mit rührenden Zügen. Der König hielt ihn hoch in Ehren, weil sein Vorfahr, Wilhelm der Eroberer, ihn vor der Schlacht bei Hastings inbrünstig angebetet und durch seine Macht dann auch den Sieg erlangt hatte. Auf dieses Bildwerk hatte der Kanzler sich sonst wohl gehütet, seine verwöhnten Augen zu heften; denn er verabscheute das rieselnde Blut und das Häßliche. Aber in jener Zeit hörte ich zuweilen mit Verwundern, wie er mit dem gebräunten Kruzifixus Zwiesprache hielt. In arabischer Zunge, ich vernahm es deutlich, flüsterte er mit ihm. – Ich freute mich, daß er sich an den guten Tröster wandte, obschon mir dabei fast unheimlich zumute war; denn, Herr, ich hörte davon zu wenig und zu viel und Dinge, die ich nicht gern wiederholen mag, weil sie, wenn nicht Eure Seele gefährden, doch Eurer Frömmigkeit zum Ärgernis sein könnten Wußt ich doch nicht, inwieweit Herr Thomas das maurische Wesen von sich getan und ob er, wie wir, den Hochgelobten, der am Kreuze hängt, als den heiligen Gott selber anrufe.
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