Da erfaßte mich plötzlich eine große Kümmernis und ein Erbarmen mit meinem siechen Mütterlein und auch mit dem blutigen Leiden unseres Heilandes, den die Juden grausam gemartert haben, und ich schlug den Manasse hart mit Fausten, daß er starb. Gott rechne mir diesen Mord nicht zu! Als ich ihn beging, war ich, wenn auch schon von Mannesgestalt und Stärke, noch ein Kind und dazu von weicher und heftiger Gemütsart. Der Jude indessen hatte in der Stadt und unter dem umliegenden Adel viele Freunde und ich wäre verloren gewesen ohne die geöffnete Klosterpforte von Allerheiligen. Und da ich froh sein mußte, daß sie sich fest hinter mir schloß, wurde ich unverhofft geistlich und nach Jahresfrist ein Mönch. In alledem hatte ich aufrichtig gehandelt und war kein Falsch an mir gewesen; aber ich taugte schlecht zum Mönche und hatte den Wuchs meiner Natur und das Erdreich ihres Gedeihens nicht vorausgekannt. Mißversteht mich nicht, Herr! Nicht das sündige Blut unserer Stammeltern allein meine ich, sondern mehr noch den zündenden Funken, der aus der Schöpferhand Gottvaters in den Ton, aus welchem ich geformt bin, herübergesprungen ist, das ist: Kraft, Verstand, Unternehmung, Baukunst und Wanderlust. Aber von menschlicher Kunst und Wissenschaft war zu Allerheiligen nichts zu lernen, als der Poet Virgilius, den ich auch heute noch großenteils auswendig weiß.

Der Prior rühmte an diesem Poeten, daß er ein frommer Heide gewesen und Gott ihm zum Lohne seiner Tugenden prophetische Krad eingehaucht, so daß in seinen Versen die hochgelobte Mutter mit dem Kinde sich spiegle und deutlich zu erkennen sei. Daher kam es, daß die Rolle, aus der ich lernte, ganz von Messerstichen durchlöchert war. In der Johannisnacht, da ich von Allerheiligen schied und bevor ich den Sprung über die Mauer tat, habe auch ich hineingestochen zu dreien Malen, nach inbrünstiger Anrufung der drei heiligen Namen, und die Worte getroffen: sagittas, calamo, arcui. Und Virgilius hatte wahr gesprochen: mit Pfeil und Bogen hab ich all mein Lebtag zu tun gehabt.

So genoß ich denn meiner raschen Füße wieder und eilte durch das Waldgebirg dem Elsaß zu, den großen Bogen des Rheines mit einer geraden Linie abschneidend. Gegen Mittag kam ich vor einem festen Orte auf eine Wiese, wo von allerlei Volk ein Bogenschießen abgehalten wurde. Ich war schon unterwegs wie berauscht von dem Odem der Erde und der Lust, meine Glieder zu brauchen, und da ist es nicht zu verwundern, daß ich mir in dem Lustlager und Getümmel der Schießenden von den ausgelassenen Gesellen, die der verlaufene Mönch ergötzte, einen Bogen in die Hand geben ließ und dann, mit vorgestrecktem Fuße Stand fassend, Schuß um Schuß ans Ziel schickte. Mein Blick, sei Euch gesagt, ist scharf und sicher von Natur und hat mich von Kindheit an nie betrogen.

Ich glaube, daß sie mich, der den Becher verlernt hatte, trunken machten, daß ich in der Glut die Ärmel aufstreifte und die Kutte bis an die Schenkel schürzte, und mir steht dunkel und ärgerlich vor Augen, daß ich zuletzt unter Spott und Gelächter mit nackten Armen und Beinen im Narrentriumphe herumgetragen wurde.

Am frühen Morgen, in der Knechtstracht, die mir ein guter Gesell geschenkt, weiterwandernd, betrachtete ich nicht ohne Scham den Stand meiner Dinge. Ein beflecktes Wappen lag rechts und eine zerrissene Kutte links hinter mir am Wege. Nichts blieb mir als das Handwerk und ich suchte mir eines, das mich von ritterlichen Leuten und Dingen nicht ganz entferne und seinen Mann ernähre in Kriegs- und Friedenszeiten. Da erhellte sich mir die Losung des Virgilius und ich beschloß, ein Bogner und Armbruster zu werden. Aller Anfang ist schwer, lieber Herr; und neben den müßigen Gewöhnungen des Wegelagerers und des Mönches hatte ich noch viel Torheit eines weichen Herzens zu überwinden. Ich mußte zu festem Stande kommen; denn, ob ich schon einen Juden getötet und ein Klostergelübde gebrochen, so hätte mich doch mein frommes Gemüt fast in eine dritte Missetat gestürzt. Dies will ich Euch noch erzählen – vom übrigen werde ich kurz sein.

Ich war, gen Straßburg wandernd, unter eine Bande von fahrenden Schülern geraten und wir zechten in einer Schenke gegegenüber den Mauerwerken und Turmspitzen der berühmten Stadt. Da fiel mir ein, wie mein Mütterlein mir weiland viel geredet hatte von einer frommen Muhme, die in einem Straßburger Kloster ein heiliges Leben geführt und deren Fürsprache im Himmel sie, wenn das Wasser des Elends ihr bis an den Mund stieg, mit Nutzen anzurufen pflegte. Solches dachte ich auf meinen irrenden Wegen auch zu tun. Also ging ich einen der Fahrenden, der ein helles offenes Gesicht hatte und, wie er sagte, die Stadt von früher her wohl kannte, mit freundlichen Worten an, ob er mir das Kloster nicht weisen könne, wo meine Muhme Willibirg im Geruche der Heiligkeit gestorben sei.

›Lieber‹, antwortete er, ›siehest du dort den achteckigen Turm mit dem farbigen Dache? Und daneben das lange Gebäude an der Stadtmauer? Dort hat deine Muhme gewaltet.‹

Da warf ich mich auf die Kniee und rief, nach dem Hause hinüberblickend, die heilige Frau inbrünstig an, mir zu allem guten und heilsamen Werke behilflich zu sein. Was höre ich hinter mir? ein unterdrücktes Gekicher, ein toll ausbrechendes Gelächter, und rasch den Kopf wendend, sehe ich den Fahrenden, der die Zipfel seines Gewandes zu zwei langen Ohren gestaltet hatte, die er neben den meinigen winken und wedeln läßt. Zu gleicher Zeit lachten die anderen unbändig: ›Der Esel betet zum Hause der schönen Frauen hinüber! . . .‹ Aber schon lag der Schalk unter meinen Knieen, während ich schwere Tränen fallen ließ über die Bosheit und Schlechtigkeit der Welt und ihn würgte, daß ihm der Lebensodem ausgegangen wäre, wenn ihn mir die anderen nicht entrissen hätten.

In Straßburg trat ich in die erste Lehre bei einem Bogner, der mich ehrlich hielt und mir die Handgriffe, soviel er sie wußte, rechtschaffen beibrachte. Doch war er ein Mann des Brauches und der Gewohnheit, der den Kopf eigensinnig schüttelte zu den Verfeinerungen und Ausbildungen, deren das Wesen und die Gestalt der Armbrust fähig ist und die damals aus Engelland und Flandern, besonders aber aus dem heidnischen Granada bis zu uns in das deutsche Reich hereindrangen. Mir aber, der einen jungen und neugierigen Geist hatte, ließ es, nach den einmal überwundenen Anfängen, keine Rast noch Ruhe; denn lieber Herr, in jeder, auch der geringsten Kunst ist ein Ziel der Vollendung verborgen, das uns ruft und lockt, ihm Tag und Nacht sehnsüchtig nachzuziehen.

Oft hab ich damals im Traume eine Armbrust gebaut und einen Bolzen gebildet, die noch weiter trugen als das sarazenische Schießzeug, aber im Frühlicht verblichen meine Fündlein wie höhnische Irrwische; denn es waren plumpe Tastungen oder willkürliche Gedanken, da ich wohl einige Griffe, aber noch nicht die Gründe und Gesetze meiner Kunst erkannt hatte.

So beschloß ich zu wandern und bei den Meistern zu lernen. Durch Frankreich und Aquitanien wanderte ich und überstieg den Pyrenäenberg und erblickte jeden Abend in den roten Wolken des Sonnenniederganges die Wunderstadt Granada, wohin mich meine Seele zog, bis sie zuletzt wahr und wirklich vor mir auf dem Abendhimmel stand. Und es war mir vergönnt, die Weltpracht, die sie dort aufgerichtet haben, zu betrachten, das durchbrochene Schmuckwerk ihrer Paläste, die Palmen und Zypressen ihrer Zaubergärten und die aufsteigenden Strahlen ihrer rauschenden Wasserkünste.«

»Und du bist unbeschnitten an Leib und Glauben wieder zurückgekehrt, armer Hans?« warf Herr Burkhard ein.

»Zweifelt nicht daran und mit einem weit klügeren Kopfe auf den Schultern, als ich ihn hingetragen hatte.