Was aber meinen Christenglauben betrifft, Herr, so habe ich ihn gegen einen großen Philosophen behauptet, dem ich die Röhren, wodurch er den Gang der Gestirne beobachtete, vervollkommnen half. Allnächtlich zeigte er mir die langsam wandelnden Heere des Himmels und erklärte mir, wie von Ewigkeit her die menschlichen Geschicke an diese leuchtenden Zeichen und Figuren, diese Tiergestalten und Wagen geschmiedet seien, so daß keine Hand, weder menschliche noch göttliche, in die sich drehenden Speichen des Feuerrades greifen könne und kein Raum bleibe weder für die menschliche Wahl noch für den Zorn und die Gnade Gottes.
Ich aber glaubte ihm nicht und berief mich auf die Gewitterflut der Reue, wann ich meine Sünde vollbracht hatte.
Im übrigen fand und lernte ich in Granada, was ich dort zu suchen gekommen war. Es ist nur die Wahrheit, lieber Herr! die heidnischen Bogner sind unübertroffen. Haben sie doch vorzeiten mit klugem Witze aus dem Umfange des Bogens die gedrungene und handliche Gestalt der Armbrust gezogen, wie die Sage lautet und ich gerne glauben will: denn Gott hat den Heiden viele Kunst und Wissenschaft gegeben, Mathematik, Mechanik, Baukunde, alle Lehre, wo gezählt und gewogen wird, um ihnen, wie ich meine, vor dem ewigen Tode einen kurzen Stolz zu gönnen.«
Der Chorherr nickte billigend zu diesem weisen Worte und der Bogner fuhr fort:
»Drei Jahre verblieb ich in der Heidenstadt, die Tage verflogen mir im Wettlaufe der Arbeit und an den Abenden ergötzte ich mich, da mir nach und nach die arabische Zunge geläufig wurde, ohne Wein und Streit in den luftigen offenen Hallen, wo sie Marchen erzählen. Dort vernahm ich einmal aus dem Munde eines braunen, glutäugigen Burschen, dem sie am liebsten lauschten, denn er verstand es, die Gebärde beider Geschlechter und jeden Alters und Standes mit beweglichem Mienen- und Gliederspiele darzustellen, eine Geschichte, nicht besser und nicht schlechter als seine übrigen: sie scheint Euch abweges; aber ich lasse sie nicht liegen, denn sie gehört zur Sache.
Es ist das Märchen vom Prinzen Mondschein.
Ein junger Fremdling sei von einer gegen Mitternacht gelegenen Insel nach Cordova gekommen und habe sich dort bei dem Kalifen in Gunst gesetzt durch den Zauber seiner Gestalt und Rede und durch seine Meisterschaft im Schachspiele. Daneben habe er trotz seiner anmutigen Jugend eine solche Schärfe des Verstandes und politische Weisheit besessen, daß der von ihm beratene Kalife ohne Krieg und Blutvergießen durch die bloße Anwendung der Staatskunst in nicht langer Zeit der mächtigste der maurischen Könige geworden sei. Darum habe er den Prinzen Mondschein – so nannten die Cordovaner den Fremdling um der Blässe und Sanftmut seines Antlitzes willen – ganz närrisch liebgewonnen und ihm ohne Bedenken die schönste seiner Schwestern zum Weibe gegeben, Prinzessin Sonne, die, nachdem sie einmal den Fremdling erblickt, ihre leuchtenden Augen nicht mehr von ihm habe abwenden können. Sonne und Mond seien aber nicht über einen Jahreslauf zusammengeblieben, da die Geburt eines Mädchens der Prinzessin das Leben gekostet. Hierauf hatten hundert neidische Höflinge gegen den Fremden, dessen Stellung sie erschüttert glaubten, sich heimlich verschworen. Der Kluge habe sie entlarvt, doch in milder Gesinnung für ihr Leben gebeten. Da seien eines Tages von königlichen Sklaven zehn Maultiere, mit ebenso vielen Säcken beladen, durch die Pforten seines Palastes getrieben worden, und, als das Gesinde die Säcke geöffnet, seien die abgeschnittenen Köpfe seiner hundert Feinde auf den Marmorboden des Hofes gerollt. Der Beschenkte aber sei beim Anblicke der blutigen Gabe erblassend in seine Gemächer zurückgetreten und habe nach eingebrochener Nacht sein Kind aus der Wiege gehoben, ein Pferd bestiegen und die schlummernde Cordova verlassen. Mit ihm aber habe Glück und Macht dem König auf immer den Rücken gewandt.
Der Märchenerzähler verschwor sich im Feuer seines Vortrages, den Prinzen Mondschein persönlich gekannt und ihn oft auf den Plätzen von Cordova mit über der Brust gekreuzten Armen demütig begrüßt zu haben. Sie seien nicht sehr verschieden an Alter und nicht zehn Jahre seien vorüber seit jenen Begebenheiten.
Er war überzeugt, daß er die Wahrheit rede, aber ich nicht völlig; denn die Mauren, ehrwürdiger Herr, lügen mit mehr Aufrichtigkeit als wir, weil ihnen ihre rasche Einbildungskraft das Nichtgeschehene täuschend wie das Geschehene vorgaukelt.
Kurz vor meiner Abreise dann hörte ich den braunen Gesellen die Märe vom Prinzen Mondschein zum anderen Male erzählen und – diese Gerechtigkeit widerfahre ihm! – ohne merklichen Ausschmuck oder Umbau. Das fiel mir auf. Doch hatte ich nicht Zeit, ihn auszufragen, denn ich selber bereitete mich damals darauf vor, wie Prinz Mondschein, aus diesen fremden Sitten und Gebräuchen mich in der Stille nach der Christenheit heimzufinden.
Ich unternahm eine Meerfahrt nach Engelland, wo es mir bald gelang, bei dem vornehmsten Bogner in der Stadt London selbst Arbeit zu finden. Er hatte seine Werkstätte an der Themse unweit des festen Stadtturmes aufgetan und arbeitete mit vielen Gesellen. Da seine Kunst von König und Ritterschaft gesucht wurde, war sein Gut groß angewachsen und man hätte ihn einen angesehenen Mann nennen können, wäre er nicht, wie alle vom Handwerk, von sächsischem Geblüte gewesen. Die Sachsen aber werden seit der Eroberung von ihren normännischen Herren unehrlich gehalten und auf eine unchristliche Weise unterdrückt.«
»Oho!« unterbrach Herr Burkhard. »Ist das die Rede eines Mannes, der ein halbes Menschenalter hinter Herrn Heinrich getrabt und stolziert hat?«
Hans warf dem Chorherrn einen gescheiten Blick zu und erwiderte ohne langes Besinnen:
»Es kommt, o Herr, beim Urteilen wie beim Schießen lediglich auf den Standpunkt an. Damals, mitten unter den Sachsen lebend, drückte ich mich beiseite, oder zog die Mütze, wann ein Zug Normannen auf ihren gepanzerten Rossen vorübersprengte. Hernach, als ich selber droben saß, hätte es meine Ehre nicht gelitten, mich von einem Sachsen anders als barhaupt ansprechen zu lassen. Jetzt, da Sachsen und Normannen für mich verblichene Bilder sind, habe ich, nebst der Weisheit meiner grauen Haare, einen mittleren und mäßigen Stand und spreche: Macht und Eroberung sind von Gott gesetzt, und da die Normannen schärferes Blut und ungestümere Geister haben, so sind sie die Herrscher. Aber derselbe Gott hat Knechtsgestalt angenommen und uns alle mit seinem teuren Blute gekauft: darum mache der Herr sein Gesinde nicht bitter und vergreife sich nicht an dem Weibe und Kinde seines Knechts!
Solches aber geschah meinem Meister, dem zu seinem Unsegen eine schöne Tochter im Hause wuchs.
In Wahrheit, die goldhaarige Hilde war die schönste Magd in London und ich konnte kein Auge von ihr verwenden, wann sie uns nach der Vespermahlzeit, ohne sich allzu lange bitten zu lassen, ihre Balladen vorsang.«
Von Erinnerung überwältigt, wiegte der Bärtige seine breit vorragende Stirn und summte in unmelodischen Tönen:
»In London was Young Beichan born,
He longed strange countries for to see – «
»Wohin verläufst du dich, Hans?« rief Herr Burkhard, der das Englische nicht verstand, mit beginnendem Mißmut.
Der Armbruster fuhr aus seinem Traume auf und in den etwas abgespannten Zügen seines alten Zuhörers lesend, daß diesem der Einleitung zu viel und die Weile lang werde, sprach er ihn heftig an: »Wisset Ihr, Herr, von was diese Ballade, welche Jung Hilde uns vorsang, handelt? . . .
Von der Geburt eines Heiligen aus dem Schoße einer Sarazenin, desselben heiligen Thomas, dessen Geschichte Euch zu erzählen ich hier bin!«
Die plötzliche Wendung, mit welcher Hans sein Schifflein aus dem Fahrwasser des eigenen Lebens in die Strömung eines größeren hineinsteuerte, gab dem Chorherrn einen Stoß; er richtete sich in seinem Sessel so steil und so rasch in die Höhe, als sein Alter es zuließ, und rief erstaunt:
»Sarazenenblut in den Adern des heiligen Thomas, Lieber bist du bei guten Sinnen?«
»Hättet Ihr das Pergament geduldig gelesen, das Euch die Frau vom Münster, wie Ihr sagt, geliehen hat, Ihr würdet mich nicht mit so entsetzten Augen anschauen. Denn gerade dieser Punkt, will ich wetten, ist darin schön hervorgehoben. Hat sich doch die ganze Pfaffheit von London stark der Sache angenommen und die Heidin, bevor sie dieselbe in eine christliche Ehe treten ließ, sorgfältig bekehrt! Sie tauften sie auf den Namen Grazia oder Grace, was deutsch lautet: Gnade. Um der großen Gnade willen, welche die Mutter Gottes der Ungläubigen erwiesen!
In der Brautnacht der Sarazenin aber hatte eine prophetische Nonne zu London ein Gesicht und sah aus dem neuen Ehebunde eine weiße Lilie, das ist einen Heiligen, entsprießen und gen Himmel wachsen.
Und es geschah, wie die Nonne gesehen hatte.
Aber viel hat es gebraucht, bis aus dem Heidenkinde der Heilige herauswuchs: Blut und unendlichen Jammer, den Sturz eines Königs und wo nicht den Untergang, doch die Erschütterung eines Königreiches!
Ich will nun ganz nach der Ordnung, wie es Euch bequem ist, Herr, erzählen, wer die Eltern des Thomas Becket gewesen sind.
Die Geschichte ist mir vertraut; denn sie war die Freude der blonden Hilde, welche damals noch jung und unschuldig war und das Wunder natürlich fand, daß zweie, die sich liebten, über Land und Meer zusammenkamen.
Vor vielen Jahren begab es sich einmal, daß ein Handelsmann aus London mit Namen Gilbert Becket nach dem Morgenlande fuhr und dort von einem mit seinen Reitern und Herden in der Wüste ziehenden Fürsten überrascht und gebunden wurde. Die eigene Tochter des Heiden aber erbarmte sich seiner Bande und zerschnitt sie.
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