Vor Jahresfrist dann floh sie dem Sachsen nach; denn sie hatte ihr Herz an ihn verloren, und in Engelland singen und sagen sie, daß die vornehme heidnische Magd, obwohl ihrem Willen und Gedanken nur zwei Worte zu Gebote standen: London und Gilbert, mit diesen den Weg zu ihrem Lieblinge gesucht und gefunden habe.«

»Höre, Hans«, gab der Chorherr einem aufsteigenden Zweifel Ausdruck, »du reitest das geflügelte Rößlein der Fabel nicht schlechter als dein brauner Freund, der Märchenerzähler in Cordova. Es fehlt nur noch, daß auch du darauf schwörest, du seiest dabeigewesen.«.

Der Bogner zuckte gleichmütig die Achseln.

»Nicht ich, lieber Herr; mein Meister aber in London, der ein pünktlicher und trockener Mann war, hat mir oft gesagt, wie er, ein junger Geselle, durch die Straßen der Stadt hinter der fahrenden Sarazenin hergelaufen sei. Denn diese habe jeden Vorübergehenden angehalten und ihn gefragt: ›Gilbert?‹ Dadurch sei sie stadtkundig geworden, so daß ihr am Ende viel Volk nachgezogen, um mit ihr ›Gilbert!‹ zu rufen. Die einen aus Mitleid mit dem schönen ausgehungerten Frauenbilde, das vor Kümmernis jede Speise zurückwies, die andern der Törin spottend, die einen Gilbert aus Tausenden in London, wo der Name gemein ist, herausfinden wollte. Endlich sei der wahre Gilbert an sein Fenster und vor seine Schwelle getreten, habe die Heidin bei der Hand ergriffen und an seinen Herd geführt.

Wann aber der Meister so erzählte, ermangelte er nie anzufügen:

›Fahrende Heidinnen, Hans, bringen uns Christen nichts Gutes. Wäre doch das Wüstenkind in seinem Zelte geblieben, statt: nach unserm Engelland zu schwimmen und uns hier den Kanzler auf die Welt zu setzen, den Verräter an seinem Volke!‹

Der Kanzler, der weltberühmte Kanzler von Engelland, die Wonne und Weisheit des Königs, die Bewunderung und der Neid der Normannen, der Haß und geheime Schrecken der Sachsen, war damals in aller Munde.

Sein rasch aufleuchtender Stern, die wie aus einem unerschöpflichen Füllhorn über ihn ausgeschütteten Gnaden und Würden, seine Türme, Burgen, Abteien, seine Zaubergärten und unbegrenzten Wälder, sein Gefolge von hundert und dann von tausend Rittern, die goldenen Geschirre seiner Rosse und Mäuler, die üppigen Tafeln seiner Feste und die unabsehbaren Reihen der Geladenen, seine köstlichen Gewande und blitzenden Steine – das alles gab den Leuten von London zu wundern und zu reden von Morgen bis Abend.

In der Werkstätte konnte ich mir während der Arbeit die Ohren nicht verhalten und so klangen sie mir unablässig von dem Sohne des Sachsen und der Sarazenin. Daß ihm seine Landsleute alle schwarzen Frevel nachredeten, setzte mich nicht in Erstaunen und lag in den Staatsverhältnissen, da der Kanzler der einzige Sachse war, der im Sonnenlichte der königlichen Gnade wandelte. Aber denkwürdig bleibt es immerhin, daß die Väter an demselben Manne keine gute Faser fanden, den die Söhne jetzt auf den Knieen anrufen.

Ein schlechter Sohn sei er gewesen, der den Geruch der väterlichen Ölfässer und Warenballen verabscheut habe. In den Dienst eines schwelgerischen normännischen Bischofs sei der Jüngling zuerst getreten, dort habe er französisch lispeln gelernt und kein ehrliches sächsisches Wort sei mehr über seine Lippen gekommen. Um seinen von Vaterseite sächsischen Ursprung zu verwischen, habe er von den Händen dieses Normannen, als ein Leichtfertiger, die ersten Weihen empfangen. Dann, reich geworden durch den Tod des Vaters, sei er über Meer gefahren, habe in Calais seine treuen sächsischen Diener verabschiedet, welsches Gesinde gedungen, köstliche Gewande gekauft und sich als Ritter aufgetan. Durch Aquitanien und Spanien sei er an die maurischen Höfe gezogen, von seinem mütterlichen heidnischen Blute getrieben, und beim Könige von Cordova in die höchste Gunst gekommen. Dort habe er mit Weisen aus dem Morgenlande Sterndeutung und geheime Wissenschaft getrieben, worin er seine Meister bald übertroffen, so daß es ihm nach seiner Heimkehr habe glücken können, König Heinrich durch höllische Sympathie unvergänglich an sich zu ketten.

Herr, darin war das Goldkorn der Wahrheit schwer zu finden.

Um so mehr wuchs meine Begierde, diese lebendige Fabel mit Augen zu schauen; aber lange mußt ich mich gedulden, denn Thomas Becket weilte damals mit dem Könige jenseits des Meerarmes in Aquitanien, das, wie Ihr wißt, zu dem Weibergute seiner Königin gehörte.

Endlich kam der Tag. Ich schnitzte in der Werkstatt an einem Bolzen. Da fängt es an, auf der Straße unruhig zu werden, zu treiben und zu summen. Meine Gesellen verlassen ihr Zeug, steigen auf Schemel und Bänke und drücken die Köpfe in die Fenster. Pauken und Zimbeln schmettern. Hinter den berittenen Spielleuten folgte ein Herold mit den drei Pardeln auf der Brust und bereitete den Weg dem Sohne der Heidin Grazia.

Ein schöner Mann war er und fürstlich, wie König Salomo. Mit den normännischen Herren konnte er sich wohl nicht messen an Frische des Antlitzes und Macht des Wuchses. Aber er lenkte mit unvergleichlichem Anstande seinen goldgeschirrten, tanzenden Araber und sein farbloses Antlitz besaß eine ernste Lieblichkeit.

Wie ich damals, mitten unter dem niedern Volke stehend, ihn bewunderte, ließ ich mir nicht einfallen, daß ich selbst über ein kurzes in den Dienst des Königs treten und dort diesem wundersamen Herrn täglich, ja stündlich begegnen würde.

Das begab sich aber folgendergestalt.

In der Werkstätte meines Meisters gingen die Normannen ein und aus, denn da gab es stets mit neuer Kunst erfundene oder vervollkommnete Armbruste zu prüfen. Leider blieb bei diesen Besuchen die schüchterne Hilde nicht immer verborgen. Sie war die Freude und der Wunsch meiner Augen; so konnte mir nicht entgehen, daß die der normännischen Ritter schärfer auf ihr hafteten als heilsam war. Einer von ihnen, den sie Gui Malherbe, das ist Veit Unkraut, hießen und der im Gefolge und an der reichen Tafel des Kanzlers sein schädliches Dasein fristete, ein frecher, ungebundener Edelknecht, aber gegen die Frauen von geschmeidigen Manieren, wurde mir täglich mehr zum Stachel und zum Ärgernis, und es fraß mir das Herz ab, ihn mit der sächsischen Magd auf der Grenzscheide verblümter Tändelei und nackter Herrenfrechheit spielen zu sehen, ohne ihm dafür mein Messer zwischen die Rippen stoßen zu dürfen. Mein Leben hätt ich es mir vielleicht kosten lassen; aber den Meister und das Mägdlein wollt ich nicht ins Verderben stürzen, wie es doch damit geschehen wäre.

Was soll ich da Worte machen, wo mein Herr Burkhard sich aus seiner Jugend erinnert, wie behend der Böse in solchen Fällen sein Netz auswirft und zuzieht!

Eines Tages wurden der Meister und ich auf ein etliche Meilen von London gelegenes Schloß gerufen, um einem normännischen Herrn die Waffenkammer einzurichten. Es wird ein verabredetes Spiel gewesen sein. Wir wurden unter allerlei Vorwand dort aufgehalten, und als wir nach London heimkehrten, war Jung Hilde verschwunden – gewaltsam entführt nach der Aussage der Nachbarn, die nächtlicherweile Pferdegetrappel und eine jammernde Stimme gehört hatten, willig folgend, wie die feigen Gesellen und furchtsamen Mägde logen, da sie der Meister zur Rede stellte.

Ich warf meinen Verdacht auf Gui Malherbe – was sage ich? die Sache war mir gewiß und so riet ich meinem Meister, dem Kanzler knieend den Weg zu verlegen, wenn er an unserer Werkstatt vorüberritte nach dem festen Turme von London, zu dessen Kastellan der König ihn erhoben hatte, und nicht zu weichen bis er ihm Gehör gebe und seinen normännischen Knecht zur Rechenschaft ziehe.

So geschah es eines Tages. Mein armer Meister warf sich vor dem prächtig geschirrten Zelter des Kanzlers in den Staub und heischte, seinen grauen Bart raufend, mit erstickter Stimme und mit tränenbedeckten Wangen Gerechtigkeit gegen den Räuber seines Kindes, der mit trotziger Miene, aber unruhigen Augen in der dritten Reihe hinter seinem prunkenden Gebieter herritt.

Ich kann es nie vergessen und sehe es jetzt noch, wie dieser gelassen und unbewegt, ohne eine Miene zu verziehen, den Geängstigten kaum mit einem dunkeln Blicke aus seinen halbgeschlossenen Augen streifte, das Pferd langsam an ihm vorüberlenkend.

Als dann der verzweifelnde Sachse auf die Füße sprang, die geballten Fäuste gegen ihn schüttelte und ihm nachschrie: ›Schade, Pfaffe, daß du kein Kind hast, das dir ein Normanne verderben kann!‹ da berührte Thomas Becket, wie von einem lästigen Insekt umschwärmt, leise sein arabisches Roß, um es in etwas raschere Gangart zu setzen. Ich aber drängte den alten Mann in sein Haus zurück und entzog ihn den höhnenden Blicken und verächtlichen Scherzreden der den Kanzler geleitenden Reiterschar.

Nun folgten jammervolle Tage, an die ich noch heute nur mit Bitterkeit zurückdenke; damals glaubte ich sie kaum zu überstehn. Es wurde nichts besser, als eines Tages die arme Hilde unversehens, da es dunkelte, in der verlassenen Werkstatt saß, den Vater erwartend, von dem sie wußte, daß er bei einbrechender Nacht mit eigenen Händen Laden und Türe verriegelte.

Ich habe nie erfahren, ob der Normanne Malherbe seine Gefangene freiwillig zurückgab, weil er ihrer müde geworden, oder ob der Kanzler in seiner verborgenen Weise einen Druck auf ihn ausgeübt hatte.

Eines dagegen sah ich deutlich: der Meister trieb mich in treuer Absicht aus dem Hause. Er war gesonnen, sein zertretenes und scheu gewordenes Kind einem Angelsachsen aus seiner Verwandtschaft, der in der Werkstatt arbeitete und Trustan Grimm hieß, einem ungeschlachten Rotkopf, zum Weibe zu geben.