Dabei wollte er mich nicht zusehen lassen. So lag er mir täglich an, eine bessere Stellung zu suchen, und da ich in jener Zeit, um Groll und Gram zu verwinden, eine Armbrust erfand, die weiter trug und sich leichter spannen ließ als alle damaligen – ein braves Werk, wenn ich es auch später abermals übertroffen habe – so redete er mir zu, meine Erfindung König Heinrich, der ein Förderer und Pfleger der edeln Wurf- und Schießkunst war, persönlich zu überbringen und zu empfehlen. Ich sah, er meinte es gut mit mir, und ich befolgte seinen Rat.
IV
Als ich auf Schloß Windsor zum ersten Male vor den König von Engelland trat, zitterte mir das Herz im Leibe, denn er war von gewaltigem Wuchs und herrischer Gebärde und seine blauen unbeschatteten Augen brannten wie zwei Flammen. Er blickte mich zuerst ungnädig an, begriff aber sogleich, warum es sich handelte, mehr aus der dargebotenen Armbrust als aus meinen stockenden Worten, nahm, spannte sie, legte den Pfeil, trat an das geöffnete Fenster und schoß nach einer Krähe, welche sich auf die, da es windstill war, bewegungslose Fahne des Schloßturms gesetzt hatte; und ein helles Lachen ging über sein Antlitz, wie sich die Fahne drehte und das Tier flatternd in die Dachrinne stürzte.
Noch einmal prüfte er mit dem Finger Senne und Drücker, dann warf er mir einen befriedigten Blick zu. ›Das ist mit Kunst gemacht, mein Junge‹, lobte er mein Werk. ›Da, trag es in meine Rüstkammer und melde dich beim Waffenmeister als meinen Dienstmann; denn du bleibst um mich, Deutscher, und magst mir die Armbrust auf die Birsch nachtragen.‹
Da war keine Widerrede, auch wenn mein eigenes Herz nicht danach gelüstet hätte, den Königsdienst zu versuchen als das Höchste im Weltspiel.
Während Herr Heinrich noch zu mir sprach, kam sein dritter, der halbwüchsige Herr Richard, hereingesprungen mit dem Jubelrufe: ›Vater, die normännischen Hengste sind da! Prächtiges Blut!‹ und Herr Heinrich ließ sich von seinem Lieblinge fortziehen.
Jetzt erhob sich aus einer tiefen Nische, wo er, ohne von mir erblickt zu werden, vor einem mit Schriftstücken belegten Marmortisch gesessen hatte, ein vornehmer, bleicher Mann in köstlichen Gewanden und trat, diese schön und langsam bewegend, zu mir, als trüge er Verlangen, auch seinerseits über meine Erfindung sich unterrichten zu lassen. Es war der Kanzler. Ich wiederholte meine Lehre mit mehr Verwirrung – könnet Ihr es glauben? – als vor dem Könige; denn mir wurde bange, da er, aufmerksam lauschend, mich ganz ausreden ließ, und mir schien, als ertöne meine einsame Rede viel zu keck und laut in der hochgewölbten Halle.
›Eure Gnade‹, endigte ich, ›ist ein Gelehrter und hat wohl kein Gefallen an Kriegszeug?‹
Er senkte die dunkeln Augen und antwortete leutselig: ›Ich liebe das Denken und die Kunst und mag es leiden, wenn der Verstand über die Faust den Sieg davonträgt und der Schwächere den Stärkeren aus der Ferne trifft und überwindet.‹
Mit diesem schönen und einsichtigen Lobe der Armbrust, lieber Herr, köderte mich der Kanzler ohne es zu wollen, und ich hätte ihm meine Lust an seiner Weisheit mit dankbaren Worten bezeigt, hätte ich meine Scheu vor seinem blassen und übermenschlich klugen Antlitz verwinden können.
In die Rüstkammer tretend, fand ich dort den Waffenmeister, einen eisgrauen Normannen, der mich wohl um Kopfeslänge überragte. Herr Rollo empfing mich hochfahrend und geringschätzig, beschäftigte sich dann aber eingehend mit meiner Erfindung; denn er war in Engelland der beste Kenner alles Rüstzeuges. Er brummte etwas Beifälliges zwischen den Zähnen und kam endlich dahin, meine Gedanken zu billigen. Als er mich dann um meine Heimat befragte und erfuhr, ich stamme von unweit des schwäbischen Meeres her, schenkte er mir aus seinen harten Runzeln einen aufmerksamen Blick.
›Treue Leute, die Schwaben, und deren sind wir hier zu Hofe bedürftig‹, sagte er. ›Hältst du dich aufrichtig, Deutscher, so mangelt es hier nicht an Gnaden und Lohn. Du trittst in eines gewaltigen Herren Dienst.‹
Und er hob an, das Wesen der normännischen Könige mit großen Worten zu preisen und mir ihre Reiche und Herrschaften aufzuzählen. ›Diesseits und jenseits des Meeres sind sie mächtig‹, rühmte er, ›und was sie ergreifen, das lassen sie nimmermehr los.‹
Dabei zeigte er mir die Panzerhemden und Kronhelme des Eroberers und seines Sohnes, welche, an den Mauern der langgestreckten Halle, zuvorderst in einer endlosen Reihe von Rüstungen und Waffenstücken hingen.
›Eines nur‹, fuhr er kopfschüttelnd fort und wehrte mir, einen verrosteten Pfeil zu berühren, der unter der Rüstung des zweiten Königs auf den Steinfliesen lag, ›eines nur, das letzte, mißrät ihnen. Die hohen Herren haben allesamt ein böses Sterben. Dieser Bolz – Gott und der Teufel wissen, wer ihn abschoß – hat Herrn Wilhelm dem Rothaarigen mitten im lustigen Jagen den Lebensfaden zerschnitten. Aber was tut's? Glänzende Sonnen gehen blutig unter.‹
So ritt ich denn von nun an in Jagd und Fehde hinter meinem Herrn und Könige her und fand ihn, wie er sich mir am ersten Tage gezeigt hatte: von wechselnden Launen wie April harsch, ungeduldig, aufbrausend, schrecklich im Zorn, aber auch wieder von mitteilsamem Gemüte, zugänglich und leutselig, so daß man zur guten Stunde einen Scherz wagen durfte und es geschehen konnte, daß der erhabene Herr mit seinem Gesinde lachte, bis ihm die hellen Tränen über die Backen liefen.
Daß ich aber aus dem Stalle und der Gewehrkammer in das Vorzimmer gelangte und mich zuletzt auf die Schwelle der königlichen Schlafkammer wie ein Rüde betten durfte, das geschah nicht sprungweise, sondern allmählich von Schritt zu Schritte.
König Heinrich war ein gewaltiger Nimrod, der es liebte, in gestrecktem Jagen auf den Fährten eines Hirsches zu fliegen, sein Gefolge weit hinter sich lassend, und der dann, von wenig Bedürfnissen wie er war, bei einbrechender Nacht mit dem ersten besten Lager vorliebnahm. Da war ich, auf meinem schnaubenden Tiere mich dicht hinter ihm haltend, oft der einzige in der Nahe, ihn zu bedienen und brachte ihn auch trunken zu Bette wann er, nach dem Schweiße der Jagd, dem Becher zugesetzt hatte. So gewohnte er sich an meinen Dienst und mich, und, wenn ich mich auch nicht mit bösen Listen einschmeichelte, war ich doch witzig genug geworden, um mir mein gutes Spiel nicht täppisch zu verderben.
Dreierlei aber kam mir dabei zugute: daß ich weder Normanne noch Sachse war, daß ich von niemandem als meinem Herrn Miet und Gabe nahm – einzig den Kanzler, dem keiner etwas weigern durfte, zuzeiten und unter Umständen ausgenommen – und daß ich, ohne gerade den dummen Hans zu spielen, mich etwas einfältiger stellte, als ich von Natur war, und etwas neuer, als mich die Erfahrung gelassen hatte. Dergestalt fand Heinrich ein Wohlgefallen an meiner schwäbischen Treuherzigkeit.
Doch auch Herr Thomas half mir weiter in der Gunst des Königs dadurch, daß er seine Blicke gnädig auf mir ruhen ließ – denn der König sah mit den Augen seines Kanzlers – und dadurch, daß er mir zuweilen ein scherzendes, sinnvolles Wort zuwarf, welches er in seiner Ehrerbietung an Herrn Heinrich nicht richten durfte und von welchem er doch wünschte, daß dieser es vernehmen möge.
Das Wohlwollen des Kanzlers aber fiel mir zu an einem Tage da er und ich den Finger an den Mund legten.
Im ersten Jahre meines Königsdienstes nämlich begab es sich, daß: Herr Heinrich an einem schwülen Sommernachmittage in seinem Gemache sich zum Schlummer gelegt hatte, als der Kanzler in dringenden Geschäften ihn aufsuchte. Ich trat Herrn Thomas entgegen und flüsterte, den Finger auf die Lippen legend: ›Herrlichkeit, der König schläft ...‹ Nun müsset Ihr wissen, ehrwürdiger Herr, daß die Heiden in Granada, vornehm und gering, die fromme Gewöhnung haben, jedesmal wann von Schlummer und Schlaf geredet wird, hinzuzufügen: ›Gelobt sei, der nicht schläft noch schlummert!‹ So tun sie von Kindesbeinen an, ohne sich mehr dabei zu denken, als wir Schwaben bei unser ›Grüß Gott!‹ Da ich unter den Heiden lebte, hatte ich mir diesen Spruch gleicherweise angewöhnt, um mir auf eine unschuldige Art etwas Landesfarbe zu geben. War ich nun selber schlummertrunken, oder erinnerte mich der im verhängten Zimmer noch blasser als sonst erscheinende Kanzler an einen Mauren, oder tat ich es aus bloßer Gewohnheit, deren Macht stark ist – kurz, ich sagte: ›Herrlichkeit, der König schläft – gelobt sei, der nicht schläft noch schlummert!‹
Da lächelte der Kanzler wider seinen Willen, bis zuletzt die ganze Reihe seiner Perlenzähne schimmerte, und fragte mich dann in ernsthaftem Tone: ›Wie kommt ein Deutscher zu diesem Gruße?‹
Ich erzählte ihm, das Erwachen des Königs erwartend, daß ich drei Jahre in Granada die Bognerkunst erlernt hätte, und erzählte ihm auch die Geschichte des Prinzen Mondschein. Das war freilich ein gewagter Mutwille und hätte mir zum Schlimmen gereichen können. Aber die Versuchung zu ergründen, ob Prinz Mondschein und der Kanzler ein und dieselbe Person seien und zu erproben, ob der ewig Ruhige nicht wenigstens diesmal sich überraschen lasse, war für mich zu stark. Herr Thomas aber verzog keine Miene. Er hielt eine Weile, wie er zu tun pflegte, die Augen sinnend gesenkt, dann erhob er sie auf mich und legte langsam den weißen Finger auf den Mund. Ich dagegen bog das Knie vor ihm und meldete ihn dann dem Könige, der in seiner Kammer eben ein Geräusch gemacht hatte.
Da mich nun die beiden Herren leiden mochten und mir gleicherweise trauten, werdet Ihr an das Wunder glauben, daß ich der seltnen Gunst genoß, hinter dem Stuhle meines Königs zu stehen, wann er mit dem Kanzler in Staatsgeschäften zusammensaß. Herr Heinrich ließ sich dann von mir einen perlenden weißen Wein einschenken, der aus Frankreich kam, während er mit listigen Augen und innigem Vergnügen den scharfsinnigen Auseinanderlegungen und verwickelten Schachzügen seines Kanzlers folgte, und dieser sonnte sich, wie eine schlanke weiße Schlange, in den Strahlen der fürstlichen Gunst.
König Heinrich betrachtete den von ihm aus dem Nichts Gehobenen mit Wohlgefallen als sein Geschöpf; aber das Geschöpf, ehrwürdiger Herr, war dem Schöpfer unentbehrlich geworden und unterjochte ihn mit seinem sanften Eigensinne.
Oft habe ich dabeigestanden, wann der Kanzler den König, dessen zur Jagd gesattelte Pferde schon im Schloßhofe wieherten und stampften, noch beim Überschreiten der Schwelle aufhielt, seine Rollen vor ihm entfaltete und den Unbändigen durch den Zwang seiner milden Worte nötigte, ihm Gehör zu schenken, und ich mußte mich wundern, wie er, den Stift in der einen und das Pergament in der andern Hand, Herrn Heinrichs hingeworfenen Bescheid wiederholte und entwickelte, denselben in eine schöne, geschmeidige Rede verwandelnd, daß es nur so strömte, wie flüssiges Gold.«
»Auch deine Rede strömt, daß ich mich wundern muß«, stichelte der greise Chorherr.
»Gebt Raum meiner Rede«, rief Hans, »und laßt mich Euch den wundersamsten Mann beschreiben, welchen die Erde getragen hat, das Vorbild und die Mode des Jahrhunderts. Der vornehmste Adel von Engelland gab ihm seine Söhne als Edelknaben in die Lehre, und welcher Jungherr den Ritterschlag nicht von der Hand des emporgekommenen Sachsen empfangen hatte, galt nicht für voll unter dieser hochmütigen und wegwerfenden Jugend.
Es hat mich oft ergötzt, wann die schmucken Knaben, welche ihre blühenden Lippen nie mit einem englischen Worte verunreinigt hätten, an den farblosen des Thomas Becket hingen, dem freilich die französische Herrensprache zierlicher vom Munde klang, als nicht einem unter ihnen; wie sie sich jede seiner Redensarten und Wendungen sorgfältig merkten, die Feinheit seiner Scherze bewunderten, den Schnitt seiner Kleidung nachzeichneten und seine Ruhige Gebärde nachahmten, als das Höchste höfischer Vollendung.
Eines aber, mein ich, mangelte dem Kanzler: das Ungestüm und die Schärfe eines männlichen Blutes.
Nicht, daß er feige gewesen wäre! Eine Memme hätte sich keinen Tag am Hofe König Heinrichs gehalten; denn die Normannen sind kitzlig im Ehrenpunkt wie kein anderer Adel. Gleich fährt das Schwert aus der Scheide und verloren ist unter ihnen, wer den Stich eines Blickes oder einer Klinge nicht parieren und zurückgeben kann.
Obzwar ein halber Kleriker, war Herr Thomas in jeder ritterlichen Übung und Waffe wohlerfahren, wobei ihm sein biegsamer Wuchs zustatten kam, und zog wohl auch, wenn es die Staatsgeschäfte erlaubten, mit dem König zu Felde.
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