Ich bin einmal hinter seinen Fersen eine Sturmleiter hinaufgeklettert und habe ihn innerhalb der erstiegenen Ringmauer jener französischen Burg mit einem wütigen Pikarden handgemein werden sehen, totenblaß in der Tat und die Zähne aufeinanderbeißend. Aber er täuschte die feindliche Waffe und jagte dem Recken richtig zielend das Schwert durch das Herz, freilich um es dann, als sein Gegner in der Lache seines Blutes lag, mit Ekel und Abscheu zu betrachten und wegzuwerfen. ›Bogner, gib mir ein reines!‹ gebot er mir. Und doch war dieses Schwert ein Meisterstück fremder Schmiedekunst, das Euch die Maschen jedes Panzers durchschnitt wie Tuch. Ich habe es aufgehoben und lange Jahre zu meiner eigenen Sicherheit gebraucht.

Herr Thomas konnte kein Blut vergießen.

In den Bezirken seiner weiten Besitztümer spielte und weidete das Wild in den Waldlichtungen wie im Paradiese, und wann er seine Forste besuchte, näherten sich die Rehe und freuten sich, ihm aus der Hand zu fressen.

Auch das Todesurteil eines Menschen vermochte er ohne Erblassen nicht zu unterschreiben, und eine Hinrichtung, wie solche in einem ordentlichen Staatswesen häufig sind, mit anzusehen, überstieg seine Kraft, während mein Herr und König sich gerne herabließ, ihnen, als die verkörperte Gerechtigkeit, vorzustehen. Oft gab es Herrn Heinrich zu lachen, wann er mit seinem Kanzler an einem Rabensteine vorüberritt und Herr Thomas mit Unlust das Haupt abwendete, nicht wegen der Geister, die dort heimisch sind (denn der Kanzler war ein ungläubiger Mann), sondern aus Grauen, wie er einmal fallenließ, vor der gequälten Menschheit, deren zerrissene Glieder dort auf dem Rade zuckten.

Sogar das Urteil einer landkundigen und ihrer teuflischen Frevel geständigen Zauberfrau und Hexe zu unterschreiben, weigerte sich der Kanzler und setzte sich dadurch, der sonst so kluge Mann, einer heidnischen Laune wegen, in Widerspruch mit ganz Engelland: König, Adel, Volk und Pfaffheit.

Das war die schwarze Mary, die in einem Dorfe unfern von London ihr Wesen trieb, Gewitter braute, Seuchen ausgehen ließ, Vieh und Kindlein würgte, bis sie zuletzt von einem geistlichen Gerichte gefoltert und, nachdem sie willig bekannt, um ihre reuige Seele aus dem ewigen Brande zu retten, zum zeitlichen Feuer begnadigt wurde.

Da geschah es, daß der verzärtelte Kanzler die Unholdin in ihrem ekeln Kerker aufsuchte und sich ihre verlassene Jugend und ihren spätern Umgang mit dem Teufel erzählen ließ. Könnet Ihr es mir nun glauben, daß Herr Thomas der schwarzen Mary, die unter heißen Tränen nach der reinigenden Flamme schrie, den Satan auszureden suchte und ihr vorhielt, sie betrüge andere und sich selbst? Und je handgreiflicher sie ihm alles schilderte, um so ungläubiger wurde der Heide. Herr Thomas riß den Prozeß vor den König; dieser aber wollte nichts von Gnade hören, sondern sagte majestätisch: ›Kanzler, ich bin das christliche Gewissen von Engelland, ich kann nicht!‹ Da sprach der Kanzler gelassen: ›Was vermag ich gegen die hohe Weisheit des Jahrhunderts, welche, o Herr, die deinige ist!‹ und unterschrieb das Todesurteil.

Später, als er den Saal verließ, wendete er sich zu mir, der neben der Schwelle stand, und sagte: ›Die Mary ist eine Hexe, wie ich ein Heiliger! Alter Hans, es gibt Augenblicke, da mir gleichermaßen graut vor dem, was die Menschen sind, und vor dem, was sie sich zu sein einbilden.‹

Diese Rede habe ich nie verstanden; aber ich muß vermuten, daß Herr Thomas in hochmütiger Philosophie nicht an die Künste Satans glaubte.

Als hernach die schwarze Mary hinausgeführt und gerichtet werden sollte, fanden sie ihren Kerker leer, und da Herr Heinrich mit drohendem Finger den Kanzler darüber zur Rede stellte, meinte dieser, das sei ein Blendwerk, so gut wie alles Frühere – und damit war die Sache abgetan.

Später lief die Rede, die schwarze Mary sei nicht mit solchem Gestank abgefahren, sondern führe auf einer entlegenen Meierei des Kanzlers ein stilles und eingezogenes Leben. Wenn sie aufrichtig in sich gegangen ist, sei es ihr wohl gegönnt! Ich will Euch nur gestehen, daß auch mich ein Mitleid mit der Sünderin überfallen hatte, als ich sie auf ihrem modrigen Strohhaufen sitzen und unter den verwirrten Strähnen ihrer Haare hervor mit schwarzen, irren Augen zu dem Kanzler aufblicken sah, als ich sie über ihre unbeschirmte Jugend klagen hörte und über die Unbill, die man ihr angetan, als sie noch unschuldig war. Wußte doch auch ich ein Lied davon zu singen!

Ihr sehet nun, Herr, denn ich habe es in meiner Ehrlichkeit an den Tag gelegt, daß der Kanzler, als er die Hexe besuchte, mich als einen verläßlichen Mann hatte mitreiten lassen.«

Der Chorherr blickte den Armbruster prüfend an. »Du bist es, Hans«, rief er, »der das arge Weib geflüchtet hat!«

»Meint Ihr wirklich, Herr?« versetzte Hans, und es war, als ob er unter seinem Barte den Mund verzöge. Dann lenkte er seitwärts:

»Eine schlimmere Hexe, die zu jener Zeit in Engelland lebte, konnte auch nicht verbrannt werden, und aus triftigen Gründen.

Mein Herr und König war mit ihr verheiratet.

Warum Herr Heinrich mit Frau Ellenor in die Ehe getreten war, dem geschiedenen Weibe des Königs von Frankreich, das offenbart sich jedem, der die Weltkarte betrachtet und darauf die Länder zählt, die sie ihm zubrachte; das ist Gascogne, Saintonge und Poitou mit unzähligen Burgen und Städten. Sie soll in ihrer Jugend lieblich und bescheiden gewesen sein. Ich will ihr diese Märzblume nicht aus der Krone nehmen. Zur Zeit, da ich das Knie vor ihr bog, hatte sie einen schwarzen Helm von üppigen Haaren, unstete, beschäftigte Augen und stets gejagte Füße. Auch hielt sie Herr Heinrich beiseits, bald in einer Abtei, denn sie war zeitweise andächtig, bald in einer abgelegenen Burg mit wenig Gesinde, das zuweilen ein ehrgeiziger nachgeborener Sohn oder ein eitler Fahrender, der mit einer Vornehmen zu tun haben wollte, vergrößerte.

Der Kanzler begegnete ihr, wo er ihr nicht ausweichen konnte, mit tiefer Ehrerbietung, während ich glaube, daß sie ihm zuwider war; denn er liebte an Frauen das Zarte und Anständige. So vergnügte er sein Auge – wenngleich der große falsche Prophet den Seinigen diese bildlichen Ergötzungen untersagt hat – oft an den weißen und ruhigen Gliedmaßen der keuschen Marmorweiber, die er in seinen Palästen aufgestellt hatte. Ihr habet wohl noch keine gesehen. Sie werden aus dem Schutte zerstörter Griechentempel hervorgezogen, und der Herr von Byzanz hatte dem Kanzler für eine politische Gefälligkeit deren einige zugeschickt. Es sind tote Steine ohne Blick und Kraft der Augen, aber betrachtet man sie länger, so fangen sie an zu leben, und nicht selten bin auch ich vor diesen kalten Geschöpfen stehengeblieben, um zu ergründen, ob sie heitern oder traurigen Gemütes sind.

An Frau Ellenor dagegen, die nicht von Marmor war, hatte der Kanzler kein Wohlgefallen, und ihrerseits haßte sie ihn von Herzen. Möglich, daß er ihr einmal, wie der unschuldige Joseph der Ägypterin, seinen Purpurmantel in den Händen zurückließ; denn sie hatte, obschon sie eine Rechtgläubige war – in diesem Punkte hab ich ihr nie etwas nachreden hören – eine Anmutung zu den Heiden; wie sie es denn auch vorzeiten mit einem sarazenischen Flaumbarte gehalten hatte, da sie ihren gottesfürchtigen ersten Gemahl auf seiner Kreuzfahrt nach dem gelobten Lande begleitete.

Es kann Euch das nicht unbekannt sein, denn es ist über den Erdkreis erschollen.

Oder sie hafte ihn auch nur, weil er sie auf allen ihren Wegen im Auge behielt, als eine Gefahr und drohende Verwirrung des Königreiches. Bedenket wohl, lieber Herr, daß ihre drei Länder den Herren Heinrich, Gottfried, Richard und Hans, des Königs vier Söhnen, als Muttererbe zugehörten. So bemühte sich die Weisheit des Kanzlers, Frau Ellenor in erträglicher Gangart und mäßiger Zügelung zu halten, nicht zu locker, damit sie nicht durch die Launen ihres heißen Blutes Schande über den König und Engelland bringe, nicht zu hart, damit sie sich nicht bäume in jähem Unmut und sich losreiße mit ihren Ländern und Söhnen.

Diese Söhne aber ließ Herr Thomas nicht von seiner Seite und war ihnen ein zärtlicher Vater und stündlicher Lehrer. Wenn die Natur der Zucht nicht öder spottete als ihr gehorchte, die vier Kinder von Engelland hätten nicht ihresgleichen gefunden, eine so große Liebe und herrliche Weisheit hat der Kanzler an sie gewendet. Aber Junker Heinrich schätzte an ihm nur den Wurf seines Kleides und die edle Beredsamkeit seiner Gebärde; denn er war ein Geck und ein Schauspieler. Junker Gottfried dagegen vergaß über Nacht, was er gestern geliebt oder geschworen hatte, und konnte, von unsteter Art, keine Ergötzung und keinen Ernst zu Ende führen.

Den dritten des Königs, Richard, das Löwenherz, hatte Herr Thomas besonders lieb und auch mir war er ins Herz gewachsen. Das Spiel seiner Natur war ehrlich wie ein Stoß ins Hifthorn und überquoll wie der Schaum am Gebiß eines jungen Renners. Da blieb kein Widerstand, man mußte ihm gut sein – aber Klugheit war nicht in ihm, nicht eines Pfennigs wert; wie er denn auch zu dieser laufenden Stunde für eine Tat seines jähen Blutes unten in Österreich eingetürmt liegt.

Junker Hans, der vierte – Gott behüte meine Zunge, gegen ihn zu reden, denn er steht jetzt zunächst dem Throne! – aber einen nichtsnutzigern, bösern Buben trug die Erde nicht; und diese meine Hand hat mir oft gegen ihn gezuckt, wenn er an mir oder einem andern Gottesgeschöpf seine Tücke ausließ – wenn er mir eine kunstreiche Armbrust mutwillig schändete oder stumme Tiere marterte.

Wie er lachte! Ich habe Tag meines Lebens, auch in Schenken und auf Märkten, nicht gemeiner lachen hören.

Wißt, der Kanzler sah zuweilen nach, wann ich die viere schießen lehrte, und erzählte ihnen dann wohl während einer Rast, zu Lust und Warnung, Tierfabeln, die mich, als einen Weidmann, besonders ergötzten. Da redeten und handelten Geflügelte und Vierfüßige, je nach ihrer Natur, oder wenigstens nach der Art, die ihnen von den Menschen beigelegt wird. Auch dieses kluge Spiel haben die Araber erfunden, um ungestraft die Fehler ihrer Machthaber unter der Tiermaske zu tadeln und zu verspotten.

Kam nun eines dieser Fabelgeschöpfe zu Schande und Schaden im Munde des Kanzlers, plumpte Braun der Bär in die Grube, hing Isegrim in der Falle und dergleichen, so schlug der kleine Hans unversehens eine gellende, teuflische Lache auf, daß ich, obwohl mit seinem Wesen vertraut, zusammenschrak und der Kanzler, der doch ein Freund der Klugheit war, das Kind mit traurigen Augen betrachtete.